Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter den Werken des Tommaso, gemeinhin Giottino,
deren Ghiberti erwähnt, erhielt sich die Kappelle Bardi zur
äußersten Linken des Chores von sta Croce zu Florenz, worin
Darstellungen aus der Legende des Silvester und anderer Hei-
ligen, bis auf unsere Zeit hinab in sehr gutem Stande. Sie
rechtfertigt die Lobsprüche, welche Ghiberti und Vasari diesem
Künstler ertheilt haben; die Wunderbegebenheiten sind glück-
lich ausgedrückt; die Heiligen haben Ernst und Würde genug,
um das nöthige Zutrauen zu erwecken, der Haufen aber zeigt
so viel Spannung, Zweifel, Zuversicht, Erstaunen, als irgend
bey solchen Ereignissen vorauszusetzen ist.

In der Ausführung dieser Mauergemälde glaubte ich bey
wiederholter Betrachtung wahrzunehmen, daß Giottino sich
ernstlich bemüht habe, die gleichmäßig gedrängte und lebendige
Anordnung, die breiten, undurchschnittenen Lichtmassen des
Giotto nicht allein beyzubehalten, vielmehr sie weiterzubilden.
Sichtlich war er bereits tiefer in die Gesetze der Erscheinung
eingedrungen, kannte er bereits, wie glückliche Wendungen der
Arme und Häupter darlegen, die menschliche Gestalt ungleich
besser, als Giotto und selbst als Taddeo, der jenen wohl in
der Anmuth übertrifft, doch in der Zeichnung, im Charakter,
im Ausdruck ernster und feyerlicher Stimmungen, weit hinter
ihm zurückgeblieben ist.

Diese Mauergemälde möchten mehr, als irgend andere
unter den noch vorhandenen Denkmalen der Malerey des vier-
zehnten Jahrhundertes für das Vorbild jener ernsten Auf-
fassung und gehaltenen Darstellung heiliger Handlungen gel-

mei Iohannis not. de 1363. = 1396. fo. 71. -- Lanzi sto. pitt. sc.
Fior. Ep.
1. verfolgte ihn nur bis 1352.

Unter den Werken des Tommaſo, gemeinhin Giottino,
deren Ghiberti erwaͤhnt, erhielt ſich die Kappelle Bardi zur
aͤußerſten Linken des Chores von ſta Croce zu Florenz, worin
Darſtellungen aus der Legende des Silveſter und anderer Hei-
ligen, bis auf unſere Zeit hinab in ſehr gutem Stande. Sie
rechtfertigt die Lobſpruͤche, welche Ghiberti und Vaſari dieſem
Kuͤnſtler ertheilt haben; die Wunderbegebenheiten ſind gluͤck-
lich ausgedruͤckt; die Heiligen haben Ernſt und Wuͤrde genug,
um das noͤthige Zutrauen zu erwecken, der Haufen aber zeigt
ſo viel Spannung, Zweifel, Zuverſicht, Erſtaunen, als irgend
bey ſolchen Ereigniſſen vorauszuſetzen iſt.

In der Ausfuͤhrung dieſer Mauergemaͤlde glaubte ich bey
wiederholter Betrachtung wahrzunehmen, daß Giottino ſich
ernſtlich bemuͤht habe, die gleichmaͤßig gedraͤngte und lebendige
Anordnung, die breiten, undurchſchnittenen Lichtmaſſen des
Giotto nicht allein beyzubehalten, vielmehr ſie weiterzubilden.
Sichtlich war er bereits tiefer in die Geſetze der Erſcheinung
eingedrungen, kannte er bereits, wie gluͤckliche Wendungen der
Arme und Haͤupter darlegen, die menſchliche Geſtalt ungleich
beſſer, als Giotto und ſelbſt als Taddeo, der jenen wohl in
der Anmuth uͤbertrifft, doch in der Zeichnung, im Charakter,
im Ausdruck ernſter und feyerlicher Stimmungen, weit hinter
ihm zuruͤckgeblieben iſt.

Dieſe Mauergemaͤlde moͤchten mehr, als irgend andere
unter den noch vorhandenen Denkmalen der Malerey des vier-
zehnten Jahrhundertes fuͤr das Vorbild jener ernſten Auf-
faſſung und gehaltenen Darſtellung heiliger Handlungen gel-

mei Iohannis not. de 1363. = 1396. fo. 71. — Lanzi sto. pitt. sc.
Fior. Ep.
1. verfolgte ihn nur bis 1352.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0100" n="82"/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118983342 ">Giottino</persName></hi>.</head><lb/>
              <p>Unter den Werken des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118983342">Tomma&#x017F;o</persName>, gemeinhin <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118983342">Giottino</persName>,<lb/>
deren <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539086">Ghiberti</persName> erwa&#x0364;hnt, erhielt &#x017F;ich die Kappelle Bardi zur<lb/>
a&#x0364;ußer&#x017F;ten Linken des Chores von &#x017F;ta Croce zu <placeName>Florenz</placeName>, worin<lb/>
Dar&#x017F;tellungen aus der Legende des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119221292">Silve&#x017F;ter</persName> und anderer Hei-<lb/>
ligen, bis auf un&#x017F;ere Zeit hinab in &#x017F;ehr gutem Stande. Sie<lb/>
rechtfertigt die Lob&#x017F;pru&#x0364;che, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539086">Ghiberti</persName> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> die&#x017F;em<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler ertheilt haben; die Wunderbegebenheiten &#x017F;ind glu&#x0364;ck-<lb/>
lich ausgedru&#x0364;ckt; die Heiligen haben Ern&#x017F;t und Wu&#x0364;rde genug,<lb/>
um das no&#x0364;thige Zutrauen zu erwecken, der Haufen aber zeigt<lb/>
&#x017F;o viel Spannung, Zweifel, Zuver&#x017F;icht, Er&#x017F;taunen, als irgend<lb/>
bey &#x017F;olchen Ereigni&#x017F;&#x017F;en vorauszu&#x017F;etzen i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>In der Ausfu&#x0364;hrung die&#x017F;er Mauergema&#x0364;lde glaubte ich bey<lb/>
wiederholter Betrachtung wahrzunehmen, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118983342 ">Giottino</persName> &#x017F;ich<lb/>
ern&#x017F;tlich bemu&#x0364;ht habe, die gleichma&#x0364;ßig gedra&#x0364;ngte und lebendige<lb/>
Anordnung, die breiten, undurch&#x017F;chnittenen Lichtma&#x017F;&#x017F;en des<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> nicht allein beyzubehalten, vielmehr &#x017F;ie weiterzubilden.<lb/>
Sichtlich war er bereits tiefer in die Ge&#x017F;etze der Er&#x017F;cheinung<lb/>
eingedrungen, kannte er bereits, wie glu&#x0364;ckliche Wendungen der<lb/>
Arme und Ha&#x0364;upter darlegen, die men&#x017F;chliche Ge&#x017F;talt ungleich<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118539477">Giotto</persName> und &#x017F;elb&#x017F;t als <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118716077">Taddeo</persName>, der jenen wohl in<lb/>
der Anmuth u&#x0364;bertrifft, doch in der Zeichnung, im Charakter,<lb/>
im Ausdruck ern&#x017F;ter und feyerlicher Stimmungen, weit hinter<lb/>
ihm zuru&#x0364;ckgeblieben i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e Mauergema&#x0364;lde mo&#x0364;chten mehr, als irgend andere<lb/>
unter den noch vorhandenen Denkmalen der Malerey des vier-<lb/>
zehnten Jahrhundertes fu&#x0364;r das Vorbild jener ern&#x017F;ten Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung und gehaltenen Dar&#x017F;tellung heiliger Handlungen gel-<lb/><note xml:id="fn12f" prev="#fn12i" place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">mei Iohannis not. de 1363. = 1396. fo. 71. &#x2014; <persName ref="http://d-nb.info/gnd/17414444X">Lanzi</persName> sto. pitt. sc.<lb/>
Fior. Ep.</hi> 1. verfolgte ihn nur bis 1352.</note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0100] Giottino. Unter den Werken des Tommaſo, gemeinhin Giottino, deren Ghiberti erwaͤhnt, erhielt ſich die Kappelle Bardi zur aͤußerſten Linken des Chores von ſta Croce zu Florenz, worin Darſtellungen aus der Legende des Silveſter und anderer Hei- ligen, bis auf unſere Zeit hinab in ſehr gutem Stande. Sie rechtfertigt die Lobſpruͤche, welche Ghiberti und Vaſari dieſem Kuͤnſtler ertheilt haben; die Wunderbegebenheiten ſind gluͤck- lich ausgedruͤckt; die Heiligen haben Ernſt und Wuͤrde genug, um das noͤthige Zutrauen zu erwecken, der Haufen aber zeigt ſo viel Spannung, Zweifel, Zuverſicht, Erſtaunen, als irgend bey ſolchen Ereigniſſen vorauszuſetzen iſt. In der Ausfuͤhrung dieſer Mauergemaͤlde glaubte ich bey wiederholter Betrachtung wahrzunehmen, daß Giottino ſich ernſtlich bemuͤht habe, die gleichmaͤßig gedraͤngte und lebendige Anordnung, die breiten, undurchſchnittenen Lichtmaſſen des Giotto nicht allein beyzubehalten, vielmehr ſie weiterzubilden. Sichtlich war er bereits tiefer in die Geſetze der Erſcheinung eingedrungen, kannte er bereits, wie gluͤckliche Wendungen der Arme und Haͤupter darlegen, die menſchliche Geſtalt ungleich beſſer, als Giotto und ſelbſt als Taddeo, der jenen wohl in der Anmuth uͤbertrifft, doch in der Zeichnung, im Charakter, im Ausdruck ernſter und feyerlicher Stimmungen, weit hinter ihm zuruͤckgeblieben iſt. Dieſe Mauergemaͤlde moͤchten mehr, als irgend andere unter den noch vorhandenen Denkmalen der Malerey des vier- zehnten Jahrhundertes fuͤr das Vorbild jener ernſten Auf- faſſung und gehaltenen Darſtellung heiliger Handlungen gel- *) *) mei Iohannis not. de 1363. = 1396. fo. 71. — Lanzi sto. pitt. sc. Fior. Ep. 1. verfolgte ihn nur bis 1352.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/100
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/100>, abgerufen am 23.11.2024.