X. Ueber die besseren Maler des vierzehnten Jahr- hundertes. Zur Mehrung und Berichtigung ihrer Geschichte.
Wir haben gesehn, daß Giotto, wie verdient er in ande- ren Beziehungen seyn möge, doch nicht ohne Zwang als der- jenige zu bezeichnen ist, welcher die leitenden Ideen der mo- dernen Kunst mit besonderem Ernste, oder in nur ihm eigen- thümlicher Tiefe erfaßt, oder seinen Zeitgenossen eine vorherr- schende, oder gar ganz ausschließliche Richtung auf das Er- habene mitgetheilt habe. Ganz im Gegentheil begründete sich das Ansehn, welches er bey seinen Zeitgenossen erworben, auf Durchbrechung der Schranken des Herkommens, auf Hintan- setzung der altchristlichen Typen, in denen doch, wie wir wissen, die herrlichsten Keime enthalten sind. Er leitete die neuere Kunst zuerst auf die vielseitigste Beobachtung menschlicher Ver- hältnisse, auf Darstellung nicht bloß des Ernsten und Großar- tigen, auch des Launigen und Gemüthlichen, welches die ältesten Christen ganz ausschlossen. Hätten nun seine Zeitgenossen und Nachfolger diese Richtung mit einiger Consequenz verfolgt, so würde die neuere Kunst wohl um ein Jahrhundert früher ihre Darstellung bis zum Vollendeten durchgebildet haben. -- In- deß verfiel man vornehmlich zu Florenz, eben weil man dort in einer blinden Verehrung des Giotto befangen war, nach
X. Ueber die beſſeren Maler des vierzehnten Jahr- hundertes. Zur Mehrung und Berichtigung ihrer Geſchichte.
Wir haben geſehn, daß Giotto, wie verdient er in ande- ren Beziehungen ſeyn moͤge, doch nicht ohne Zwang als der- jenige zu bezeichnen iſt, welcher die leitenden Ideen der mo- dernen Kunſt mit beſonderem Ernſte, oder in nur ihm eigen- thuͤmlicher Tiefe erfaßt, oder ſeinen Zeitgenoſſen eine vorherr- ſchende, oder gar ganz ausſchließliche Richtung auf das Er- habene mitgetheilt habe. Ganz im Gegentheil begruͤndete ſich das Anſehn, welches er bey ſeinen Zeitgenoſſen erworben, auf Durchbrechung der Schranken des Herkommens, auf Hintan- ſetzung der altchriſtlichen Typen, in denen doch, wie wir wiſſen, die herrlichſten Keime enthalten ſind. Er leitete die neuere Kunſt zuerſt auf die vielſeitigſte Beobachtung menſchlicher Ver- haͤltniſſe, auf Darſtellung nicht bloß des Ernſten und Großar- tigen, auch des Launigen und Gemuͤthlichen, welches die aͤlteſten Chriſten ganz ausſchloſſen. Haͤtten nun ſeine Zeitgenoſſen und Nachfolger dieſe Richtung mit einiger Conſequenz verfolgt, ſo wuͤrde die neuere Kunſt wohl um ein Jahrhundert fruͤher ihre Darſtellung bis zum Vollendeten durchgebildet haben. — In- deß verfiel man vornehmlich zu Florenz, eben weil man dort in einer blinden Verehrung des Giotto befangen war, nach
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X.
Ueber die beſſeren Maler des vierzehnten Jahr-
hundertes. Zur Mehrung und Berichtigung
ihrer Geſchichte.
Wir haben geſehn, daß Giotto, wie verdient er in ande-
ren Beziehungen ſeyn moͤge, doch nicht ohne Zwang als der-
jenige zu bezeichnen iſt, welcher die leitenden Ideen der mo-
dernen Kunſt mit beſonderem Ernſte, oder in nur ihm eigen-
thuͤmlicher Tiefe erfaßt, oder ſeinen Zeitgenoſſen eine vorherr-
ſchende, oder gar ganz ausſchließliche Richtung auf das Er-
habene mitgetheilt habe. Ganz im Gegentheil begruͤndete ſich
das Anſehn, welches er bey ſeinen Zeitgenoſſen erworben, auf
Durchbrechung der Schranken des Herkommens, auf Hintan-
ſetzung der altchriſtlichen Typen, in denen doch, wie wir wiſſen,
die herrlichſten Keime enthalten ſind. Er leitete die neuere
Kunſt zuerſt auf die vielſeitigſte Beobachtung menſchlicher Ver-
haͤltniſſe, auf Darſtellung nicht bloß des Ernſten und Großar-
tigen, auch des Launigen und Gemuͤthlichen, welches die aͤlteſten
Chriſten ganz ausſchloſſen. Haͤtten nun ſeine Zeitgenoſſen und
Nachfolger dieſe Richtung mit einiger Conſequenz verfolgt, ſo
wuͤrde die neuere Kunſt wohl um ein Jahrhundert fruͤher ihre
Darſtellung bis zum Vollendeten durchgebildet haben. — In-
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/94>, abgerufen am 23.11.2024.
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