Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

schon spitzen Bogen, in ihren noch sehr sparsamen *) Gesim-
sen und Schmucktheilen aller Art häufig ganz die alten, zum
Theil antiken Motive. **) Allmählich jedoch neigen sich auch
diese letzten mehr und mehr zum Kantigen, Gespitzten und
Scharfen, schließen sich dem Entwurfe der Strebepfeiler, der
vorspringenden Kappellen, der Thürme an, welche um diese
Zeit beginnen, ihre alte Stellung verlassend, ganz mit den
Giebelseiten der Kirchen sich zu verschmelzen, oder, wie man
sagt, in ihnen aufzugehn.

Diese Uebergänge an deutschen und ausländischen Bau-
werken nachzuweisen, ist, nach den Arbeiten der englischen
Architecten und Alterthumsforscher, oder Mollers, Boisseree's
und Anderer, zwar nicht mehr schwierig, liegt indeß nicht in
meiner Aufgabe.

Das Princip der gothischen Bauart kann angegriffen,
ihre Anwendung auf die Forderungen unserer Zeit bestritten
werden. Niemand indeß wird läugnen wollen, daß sie, nach
dem Verfalle der alten Bildung die erste ganz eigenthümliche,
daß sie eine systematisch durchgebildete Bauart sey, welche
(mag man es billigen, oder tadeln) Mittel aufgefunden hatte,
die römische Construction aus schweren Werkstücken zu ent-
behren, den Mauerguß an deren Stelle zu setzen, die Arbeit
des Steinmetzen auf Solches einzuschränken, was in den Bau-

*) Wie an der Kirche der heil. Elisabeth, zu Marburg.
**) Merkwürdig ist in dieser Beziehung ein Seitenthor des Do-
mes zu Lübeck, welches zu den alten noch vorgothischen Theilen des
Gebäudes führt. Die verdoppelten Wülste um den Spitzbogen, die ver-
kröpften Säulchen, auf welche jene sich stützen, sind hier durchaus mit
Sculptur bedeckt, deren Motive häufiger dem griechischen, als dem rö-
mischen Alterthume angehören.
15 *

ſchon ſpitzen Bogen, in ihren noch ſehr ſparſamen *) Geſim-
ſen und Schmucktheilen aller Art haͤufig ganz die alten, zum
Theil antiken Motive. **) Allmaͤhlich jedoch neigen ſich auch
dieſe letzten mehr und mehr zum Kantigen, Geſpitzten und
Scharfen, ſchließen ſich dem Entwurfe der Strebepfeiler, der
vorſpringenden Kappellen, der Thuͤrme an, welche um dieſe
Zeit beginnen, ihre alte Stellung verlaſſend, ganz mit den
Giebelſeiten der Kirchen ſich zu verſchmelzen, oder, wie man
ſagt, in ihnen aufzugehn.

Dieſe Uebergaͤnge an deutſchen und auslaͤndiſchen Bau-
werken nachzuweiſen, iſt, nach den Arbeiten der engliſchen
Architecten und Alterthumsforſcher, oder Mollers, Boiſſerée’s
und Anderer, zwar nicht mehr ſchwierig, liegt indeß nicht in
meiner Aufgabe.

Das Princip der gothiſchen Bauart kann angegriffen,
ihre Anwendung auf die Forderungen unſerer Zeit beſtritten
werden. Niemand indeß wird laͤugnen wollen, daß ſie, nach
dem Verfalle der alten Bildung die erſte ganz eigenthuͤmliche,
daß ſie eine ſyſtematiſch durchgebildete Bauart ſey, welche
(mag man es billigen, oder tadeln) Mittel aufgefunden hatte,
die roͤmiſche Conſtruction aus ſchweren Werkſtuͤcken zu ent-
behren, den Mauerguß an deren Stelle zu ſetzen, die Arbeit
des Steinmetzen auf Solches einzuſchraͤnken, was in den Bau-

*) Wie an der Kirche der heil. Eliſabeth, zu Marburg.
**) Merkwürdig iſt in dieſer Beziehung ein Seitenthor des Do-
mes zu Lübeck, welches zu den alten noch vorgothiſchen Theilen des
Gebäudes führt. Die verdoppelten Wülſte um den Spitzbogen, die ver-
kröpften Säulchen, auf welche jene ſich ſtützen, ſind hier durchaus mit
Sculptur bedeckt, deren Motive häufiger dem griechiſchen, als dem rö-
miſchen Alterthume angehören.
15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0249" n="227"/>
&#x017F;chon &#x017F;pitzen Bogen, in ihren noch &#x017F;ehr &#x017F;par&#x017F;amen <note place="foot" n="*)">Wie an der Kirche der heil. Eli&#x017F;abeth, zu <placeName>Marburg</placeName>.</note> Ge&#x017F;im-<lb/>
&#x017F;en und Schmucktheilen aller Art ha&#x0364;ufig ganz die alten, zum<lb/>
Theil antiken Motive. <note place="foot" n="**)">Merkwürdig i&#x017F;t in die&#x017F;er Beziehung ein Seitenthor des Do-<lb/>
mes zu <placeName>Lübeck</placeName>, welches zu den alten noch vorgothi&#x017F;chen Theilen des<lb/>
Gebäudes führt. Die verdoppelten Wül&#x017F;te um den Spitzbogen, die ver-<lb/>
kröpften Säulchen, auf welche jene &#x017F;ich &#x017F;tützen, &#x017F;ind hier durchaus mit<lb/>
Sculptur bedeckt, deren Motive häufiger dem griechi&#x017F;chen, als dem rö-<lb/>
mi&#x017F;chen Alterthume angehören.</note> Allma&#x0364;hlich jedoch neigen &#x017F;ich auch<lb/>
die&#x017F;e letzten mehr und mehr zum Kantigen, Ge&#x017F;pitzten und<lb/>
Scharfen, &#x017F;chließen &#x017F;ich dem Entwurfe der Strebepfeiler, der<lb/>
vor&#x017F;pringenden Kappellen, der Thu&#x0364;rme an, welche um die&#x017F;e<lb/>
Zeit beginnen, ihre alte Stellung verla&#x017F;&#x017F;end, ganz mit den<lb/>
Giebel&#x017F;eiten der Kirchen &#x017F;ich zu ver&#x017F;chmelzen, oder, wie man<lb/>
&#x017F;agt, in ihnen aufzugehn.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Ueberga&#x0364;nge an deut&#x017F;chen und ausla&#x0364;ndi&#x017F;chen Bau-<lb/>
werken nachzuwei&#x017F;en, i&#x017F;t, nach den Arbeiten der engli&#x017F;chen<lb/>
Architecten und Alterthumsfor&#x017F;cher, oder <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118734563">Mollers</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11851301X">Boi&#x017F;&#x017F;er<hi rendition="#aq">é</hi>e&#x2019;s</persName><lb/>
und Anderer, zwar nicht mehr &#x017F;chwierig, liegt indeß nicht in<lb/>
meiner Aufgabe.</p><lb/>
          <p>Das Princip der gothi&#x017F;chen Bauart kann angegriffen,<lb/>
ihre Anwendung auf die Forderungen un&#x017F;erer Zeit be&#x017F;tritten<lb/>
werden. Niemand indeß wird la&#x0364;ugnen wollen, daß &#x017F;ie, nach<lb/>
dem Verfalle der alten Bildung die er&#x017F;te ganz eigenthu&#x0364;mliche,<lb/>
daß &#x017F;ie eine &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch durchgebildete Bauart &#x017F;ey, welche<lb/>
(mag man es billigen, oder tadeln) Mittel aufgefunden hatte,<lb/>
die ro&#x0364;mi&#x017F;che Con&#x017F;truction aus &#x017F;chweren Werk&#x017F;tu&#x0364;cken zu ent-<lb/>
behren, den Mauerguß an deren Stelle zu &#x017F;etzen, die Arbeit<lb/>
des Steinmetzen auf Solches einzu&#x017F;chra&#x0364;nken, was in den Bau-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0249] ſchon ſpitzen Bogen, in ihren noch ſehr ſparſamen *) Geſim- ſen und Schmucktheilen aller Art haͤufig ganz die alten, zum Theil antiken Motive. **) Allmaͤhlich jedoch neigen ſich auch dieſe letzten mehr und mehr zum Kantigen, Geſpitzten und Scharfen, ſchließen ſich dem Entwurfe der Strebepfeiler, der vorſpringenden Kappellen, der Thuͤrme an, welche um dieſe Zeit beginnen, ihre alte Stellung verlaſſend, ganz mit den Giebelſeiten der Kirchen ſich zu verſchmelzen, oder, wie man ſagt, in ihnen aufzugehn. Dieſe Uebergaͤnge an deutſchen und auslaͤndiſchen Bau- werken nachzuweiſen, iſt, nach den Arbeiten der engliſchen Architecten und Alterthumsforſcher, oder Mollers, Boiſſerée’s und Anderer, zwar nicht mehr ſchwierig, liegt indeß nicht in meiner Aufgabe. Das Princip der gothiſchen Bauart kann angegriffen, ihre Anwendung auf die Forderungen unſerer Zeit beſtritten werden. Niemand indeß wird laͤugnen wollen, daß ſie, nach dem Verfalle der alten Bildung die erſte ganz eigenthuͤmliche, daß ſie eine ſyſtematiſch durchgebildete Bauart ſey, welche (mag man es billigen, oder tadeln) Mittel aufgefunden hatte, die roͤmiſche Conſtruction aus ſchweren Werkſtuͤcken zu ent- behren, den Mauerguß an deren Stelle zu ſetzen, die Arbeit des Steinmetzen auf Solches einzuſchraͤnken, was in den Bau- *) Wie an der Kirche der heil. Eliſabeth, zu Marburg. **) Merkwürdig iſt in dieſer Beziehung ein Seitenthor des Do- mes zu Lübeck, welches zu den alten noch vorgothiſchen Theilen des Gebäudes führt. Die verdoppelten Wülſte um den Spitzbogen, die ver- kröpften Säulchen, auf welche jene ſich ſtützen, ſind hier durchaus mit Sculptur bedeckt, deren Motive häufiger dem griechiſchen, als dem rö- miſchen Alterthume angehören. 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/249
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/249>, abgerufen am 27.11.2024.