dieses Bildes, nicht in der eigenthümlich knickerigen Art des Fra Bartolommeo (man hat von ihm eben dort einen gan- zen Band interessanter Handzeichnungen), sondern in Raphaels florentinischer Weise die Feder zu führen. Schon hiedurch wird der Antheil des letzten an der Gesammtproduction höchst wahrscheinlich. Sieht man nun ferner die schwebenden, halb- wüchsigen Engel in der mittleren Höhe des Bildes jenen der Lunette in S. Severo, der Glorie in der Disputa so genau entsprechen, denselben allgemeinen Zug der Gestalt, dasselbe Schönheitsgefühl, so kann es nicht fehlen, daß man dabey an Raphael erinnert werde. In früheren Jahren beschnitt Fra Bartolommeo seine Formen, in späteren gab er ihnen zu viel Ausladung; zn keiner Zeit war seine Zeichnung ganz frey von Willkühr und Manier. Wie hätte er denn eben hier ein Gefühl, eine Kenntniß der Formen darlegen können, welche, wären sie sein Eigenthum, ihn dem Raphael ganz gleich stel- len würden? Allein es kommt auch die malerische Behand- lung in Betracht. Beide Engel sind gegenwärtig ihrer Vela- turen gänzlich beraubt, so daß zu Tage liegt, wie die Unter- lagen behandelt worden. Ihre Schattenseiten, in der Carna- tion, sind stark impastirt, leicht grau im Tone. Dieß ist Ra- phaels Methode; Fra Bartolommeo aber ging in den Schat- ten der Carnation von braunen Lazuren aus, welche er auch in der Folge durch Halblazuren und Lazuren verstärkte, nie mit einem sie ganz verdeckenden Impasto überlegte.
Raphael hat noch zu Rom eine andere Arbeit des Frate beendigt, mit diesem zu Florenz in den freundlichsten Verhält- nissen gelebt, mit ihm über technische Dinge sich ausgetauscht; es ist demnach in den eben mitgetheilten Bemerkungen nichts mit den Nachrichten des Vasari Unvereinbares. Dem letzten
dieſes Bildes, nicht in der eigenthuͤmlich knickerigen Art des Fra Bartolommeo (man hat von ihm eben dort einen gan- zen Band intereſſanter Handzeichnungen), ſondern in Raphaels florentiniſcher Weiſe die Feder zu fuͤhren. Schon hiedurch wird der Antheil des letzten an der Geſammtproduction hoͤchſt wahrſcheinlich. Sieht man nun ferner die ſchwebenden, halb- wuͤchſigen Engel in der mittleren Hoͤhe des Bildes jenen der Lunette in S. Severo, der Glorie in der Diſputa ſo genau entſprechen, denſelben allgemeinen Zug der Geſtalt, daſſelbe Schoͤnheitsgefuͤhl, ſo kann es nicht fehlen, daß man dabey an Raphael erinnert werde. In fruͤheren Jahren beſchnitt Fra Bartolommeo ſeine Formen, in ſpaͤteren gab er ihnen zu viel Ausladung; zn keiner Zeit war ſeine Zeichnung ganz frey von Willkuͤhr und Manier. Wie haͤtte er denn eben hier ein Gefuͤhl, eine Kenntniß der Formen darlegen koͤnnen, welche, waͤren ſie ſein Eigenthum, ihn dem Raphael ganz gleich ſtel- len wuͤrden? Allein es kommt auch die maleriſche Behand- lung in Betracht. Beide Engel ſind gegenwaͤrtig ihrer Vela- turen gaͤnzlich beraubt, ſo daß zu Tage liegt, wie die Unter- lagen behandelt worden. Ihre Schattenſeiten, in der Carna- tion, ſind ſtark impaſtirt, leicht grau im Tone. Dieß iſt Ra- phaels Methode; Fra Bartolommeo aber ging in den Schat- ten der Carnation von braunen Lazuren aus, welche er auch in der Folge durch Halblazuren und Lazuren verſtaͤrkte, nie mit einem ſie ganz verdeckenden Impaſto uͤberlegte.
Raphael hat noch zu Rom eine andere Arbeit des Frate beendigt, mit dieſem zu Florenz in den freundlichſten Verhaͤlt- niſſen gelebt, mit ihm uͤber techniſche Dinge ſich ausgetauſcht; es iſt demnach in den eben mitgetheilten Bemerkungen nichts mit den Nachrichten des Vaſari Unvereinbares. Dem letzten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0094"n="72"/>
dieſes Bildes, nicht in der eigenthuͤmlich knickerigen Art des<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118968580">Fra Bartolommeo</persName> (man hat von ihm eben dort einen gan-<lb/>
zen Band intereſſanter Handzeichnungen), ſondern in <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName><lb/>
florentiniſcher Weiſe die Feder zu fuͤhren. Schon hiedurch<lb/>
wird der Antheil des letzten an der Geſammtproduction hoͤchſt<lb/>
wahrſcheinlich. Sieht man nun ferner die ſchwebenden, halb-<lb/>
wuͤchſigen Engel in der mittleren Hoͤhe des Bildes jenen der<lb/>
Lunette in S. Severo, der Glorie in der Diſputa ſo genau<lb/>
entſprechen, denſelben allgemeinen Zug der Geſtalt, daſſelbe<lb/>
Schoͤnheitsgefuͤhl, ſo kann es nicht fehlen, daß man dabey<lb/>
an <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> erinnert werde. In fruͤheren Jahren beſchnitt<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118968580">Fra Bartolommeo</persName>ſeine Formen, in ſpaͤteren gab er ihnen<lb/>
zu viel Ausladung; zn keiner Zeit war ſeine Zeichnung ganz<lb/>
frey von Willkuͤhr und Manier. Wie haͤtte er denn eben hier<lb/>
ein Gefuͤhl, eine Kenntniß der Formen darlegen koͤnnen, welche,<lb/>
waͤren ſie ſein Eigenthum, ihn dem <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> ganz gleich ſtel-<lb/>
len wuͤrden? Allein es kommt auch die maleriſche Behand-<lb/>
lung in Betracht. Beide Engel ſind gegenwaͤrtig ihrer Vela-<lb/>
turen gaͤnzlich beraubt, ſo daß zu Tage liegt, wie die Unter-<lb/>
lagen behandelt worden. Ihre Schattenſeiten, in der Carna-<lb/>
tion, ſind ſtark impaſtirt, leicht grau im Tone. Dieß iſt <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Ra-<lb/>
phaels</persName> Methode; <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118968580">Fra Bartolommeo</persName> aber ging in den Schat-<lb/>
ten der Carnation von braunen Lazuren aus, welche er auch<lb/>
in der Folge durch Halblazuren und Lazuren verſtaͤrkte, nie<lb/>
mit einem ſie ganz verdeckenden Impaſto uͤberlegte.</p><lb/><p><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> hat noch zu <placeName>Rom</placeName> eine andere Arbeit des Frate<lb/>
beendigt, mit dieſem zu <placeName>Florenz</placeName> in den freundlichſten Verhaͤlt-<lb/>
niſſen gelebt, mit ihm uͤber techniſche Dinge ſich ausgetauſcht;<lb/>
es iſt demnach in den eben mitgetheilten Bemerkungen nichts<lb/>
mit den Nachrichten des <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vaſari</persName> Unvereinbares. Dem letzten<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[72/0094]
dieſes Bildes, nicht in der eigenthuͤmlich knickerigen Art des
Fra Bartolommeo (man hat von ihm eben dort einen gan-
zen Band intereſſanter Handzeichnungen), ſondern in Raphaels
florentiniſcher Weiſe die Feder zu fuͤhren. Schon hiedurch
wird der Antheil des letzten an der Geſammtproduction hoͤchſt
wahrſcheinlich. Sieht man nun ferner die ſchwebenden, halb-
wuͤchſigen Engel in der mittleren Hoͤhe des Bildes jenen der
Lunette in S. Severo, der Glorie in der Diſputa ſo genau
entſprechen, denſelben allgemeinen Zug der Geſtalt, daſſelbe
Schoͤnheitsgefuͤhl, ſo kann es nicht fehlen, daß man dabey
an Raphael erinnert werde. In fruͤheren Jahren beſchnitt
Fra Bartolommeo ſeine Formen, in ſpaͤteren gab er ihnen
zu viel Ausladung; zn keiner Zeit war ſeine Zeichnung ganz
frey von Willkuͤhr und Manier. Wie haͤtte er denn eben hier
ein Gefuͤhl, eine Kenntniß der Formen darlegen koͤnnen, welche,
waͤren ſie ſein Eigenthum, ihn dem Raphael ganz gleich ſtel-
len wuͤrden? Allein es kommt auch die maleriſche Behand-
lung in Betracht. Beide Engel ſind gegenwaͤrtig ihrer Vela-
turen gaͤnzlich beraubt, ſo daß zu Tage liegt, wie die Unter-
lagen behandelt worden. Ihre Schattenſeiten, in der Carna-
tion, ſind ſtark impaſtirt, leicht grau im Tone. Dieß iſt Ra-
phaels Methode; Fra Bartolommeo aber ging in den Schat-
ten der Carnation von braunen Lazuren aus, welche er auch
in der Folge durch Halblazuren und Lazuren verſtaͤrkte, nie
mit einem ſie ganz verdeckenden Impaſto uͤberlegte.
Raphael hat noch zu Rom eine andere Arbeit des Frate
beendigt, mit dieſem zu Florenz in den freundlichſten Verhaͤlt-
niſſen gelebt, mit ihm uͤber techniſche Dinge ſich ausgetauſcht;
es iſt demnach in den eben mitgetheilten Bemerkungen nichts
mit den Nachrichten des Vaſari Unvereinbares. Dem letzten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/94>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.