vielleicht: SANZIVS INVENIT. Dem Jahre nach kann das Bild, dessen durchscheinende Anlage geistreicher ist, als die Beendigung, unfertig in Perugia zurückgeblieben, von ei- nem anderen Künstler übermalt seyn. -- In casa Donnini, eine Federzeichnung zur Anbetung der Könige in der vatica- nischen Gallerie.
Nicht so ganz absichtslos habe ich die Jugendwerke Ra- phaels nach bestimmten historischen Gründen und allgemeinen Analogieen, sowohl den Zeitpunkt ihrer Entstehung, als ihre Classe feststellend, in diese Uebersicht zusammengedrängt. Denn, indem aus seiner Jugendzeit historisch so Weniges, auch die- ses nicht umständlich bekannt ist, giebt es kein anderes Mit- tel, das Princip seiner künstlerischen Entwickelung zu entdek- ken, aus welchem für die Gegenwart, wie für alle kommende Zeiten unschätzbare Lehren sich ableiten lassen.
Wir haben gesehn, daß Raphael nicht, wie die gemeine Kunsthistorie ihn darstellt, in einer ersten und zweyten Manier befangen war, daß er vielmehr die Erfahrungen älterer, über- haupt anderer, Meister für sein eigenes Bestreben benutzend, ohne sich selbst je aufzugeben, zu verläugnen, jene auf das Mannichfaltigste in sich abspiegelte, daher in so viel verschie- denen technischen Umwandlungen sich zeigte, daß man wohl auch mit der doppelten Zahl nicht auskommen dürfte, wollte man durchaus darauf beharren, seine Jugendarbeiten nach Manieren abzutheilen. Wir haben ihn in die Richtung un- gemischt umbrischer Maler, auf welche Niemand bisher Rück- sicht genommen, mit größter Hingebung eingehen gesehn; zu- gleich, oder auch um etwas später, in die Richtung des Pie- tro Perugino; bald wiederum selbstständiger; darauf von Neuem hingerissen, theils von den älteren, theils von neueren
vielleicht: SANZIVS INVENIT. Dem Jahre nach kann das Bild, deſſen durchſcheinende Anlage geiſtreicher iſt, als die Beendigung, unfertig in Perugia zuruͤckgeblieben, von ei- nem anderen Kuͤnſtler uͤbermalt ſeyn. — In casa Donnini, eine Federzeichnung zur Anbetung der Koͤnige in der vatica- niſchen Gallerie.
Nicht ſo ganz abſichtslos habe ich die Jugendwerke Ra- phaels nach beſtimmten hiſtoriſchen Gruͤnden und allgemeinen Analogieen, ſowohl den Zeitpunkt ihrer Entſtehung, als ihre Claſſe feſtſtellend, in dieſe Ueberſicht zuſammengedraͤngt. Denn, indem aus ſeiner Jugendzeit hiſtoriſch ſo Weniges, auch die- ſes nicht umſtaͤndlich bekannt iſt, giebt es kein anderes Mit- tel, das Princip ſeiner kuͤnſtleriſchen Entwickelung zu entdek- ken, aus welchem fuͤr die Gegenwart, wie fuͤr alle kommende Zeiten unſchaͤtzbare Lehren ſich ableiten laſſen.
Wir haben geſehn, daß Raphael nicht, wie die gemeine Kunſthiſtorie ihn darſtellt, in einer erſten und zweyten Manier befangen war, daß er vielmehr die Erfahrungen aͤlterer, uͤber- haupt anderer, Meiſter fuͤr ſein eigenes Beſtreben benutzend, ohne ſich ſelbſt je aufzugeben, zu verlaͤugnen, jene auf das Mannichfaltigſte in ſich abſpiegelte, daher in ſo viel verſchie- denen techniſchen Umwandlungen ſich zeigte, daß man wohl auch mit der doppelten Zahl nicht auskommen duͤrfte, wollte man durchaus darauf beharren, ſeine Jugendarbeiten nach Manieren abzutheilen. Wir haben ihn in die Richtung un- gemiſcht umbriſcher Maler, auf welche Niemand bisher Ruͤck- ſicht genommen, mit groͤßter Hingebung eingehen geſehn; zu- gleich, oder auch um etwas ſpaͤter, in die Richtung des Pie- tro Perugino; bald wiederum ſelbſtſtaͤndiger; darauf von Neuem hingeriſſen, theils von den aͤlteren, theils von neueren
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vielleicht: SANZIVS INVENIT. Dem Jahre nach kann
das Bild, deſſen durchſcheinende Anlage geiſtreicher iſt, als
die Beendigung, unfertig in Perugia zuruͤckgeblieben, von ei-
nem anderen Kuͤnſtler uͤbermalt ſeyn. — In casa Donnini,
eine Federzeichnung zur Anbetung der Koͤnige in der vatica-
niſchen Gallerie.
Nicht ſo ganz abſichtslos habe ich die Jugendwerke Ra-
phaels nach beſtimmten hiſtoriſchen Gruͤnden und allgemeinen
Analogieen, ſowohl den Zeitpunkt ihrer Entſtehung, als ihre
Claſſe feſtſtellend, in dieſe Ueberſicht zuſammengedraͤngt. Denn,
indem aus ſeiner Jugendzeit hiſtoriſch ſo Weniges, auch die-
ſes nicht umſtaͤndlich bekannt iſt, giebt es kein anderes Mit-
tel, das Princip ſeiner kuͤnſtleriſchen Entwickelung zu entdek-
ken, aus welchem fuͤr die Gegenwart, wie fuͤr alle kommende
Zeiten unſchaͤtzbare Lehren ſich ableiten laſſen.
Wir haben geſehn, daß Raphael nicht, wie die gemeine
Kunſthiſtorie ihn darſtellt, in einer erſten und zweyten Manier
befangen war, daß er vielmehr die Erfahrungen aͤlterer, uͤber-
haupt anderer, Meiſter fuͤr ſein eigenes Beſtreben benutzend,
ohne ſich ſelbſt je aufzugeben, zu verlaͤugnen, jene auf das
Mannichfaltigſte in ſich abſpiegelte, daher in ſo viel verſchie-
denen techniſchen Umwandlungen ſich zeigte, daß man wohl
auch mit der doppelten Zahl nicht auskommen duͤrfte, wollte
man durchaus darauf beharren, ſeine Jugendarbeiten nach
Manieren abzutheilen. Wir haben ihn in die Richtung un-
gemiſcht umbriſcher Maler, auf welche Niemand bisher Ruͤck-
ſicht genommen, mit groͤßter Hingebung eingehen geſehn; zu-
gleich, oder auch um etwas ſpaͤter, in die Richtung des Pie-
tro Perugino; bald wiederum ſelbſtſtaͤndiger; darauf von
Neuem hingeriſſen, theils von den aͤlteren, theils von neueren
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/97>, abgerufen am 16.07.2024.
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