Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Stimme geführt, ohne Reiz und Gehalt, weshalb die Gesellschaft nach und nach vom Tische aufstand. Einzelne traten an den Kamin, Andere in die nächste Fensterblende, der untergehenden Sonne nachzusehen.

Es ist nicht ungewöhnlich, die Sonne, besonders an kühlen Abenden, sich selbst und das Gewölke umher düster und gleichsam blutig röthen zu sehen. Uns ist eine solche Erscheinung eben nur eine optische, für welche wir Gründe angeben, überzeugende, wenigstens zufriedenstellende. Allein den Stier der Weide erfüllt der Anblick des blutig gerötheten Abendhimmels mit Grimm und Entsetzen; und selbst die Menschen, ehe sie sich daran gewöhnt, ihr Phantasieleben der Vernunft unterzuordnen, glaubten darin Vorzeichen zu sehen von blutigen Thaten, Mord und Verbrechen. Jenerzeit war der Glaube an die Vorbedeutung dieser und anderer Himmelszeichen ganz allgemein, wohnte er selbst bei Solchen, die, alle sittliche Schranken durchbrechend, die Religion in ihrem strengeren Sinne verachteten und haßten, daher in der Welt für ungläubige Spötter galten. Es entstand am Fenster ein unheimliches Geflüster, hörbar genug, um den Savello aus seinen verworrenen Gedanken zu erwecken. Er verließ schnell den Sessel, auf welchen er nach aufgehobener Tafel sich hingeworfen hatte, näherte sich dem Fenster, um für einen Augenblick gleich den Uebrigen hinauszustarren. Dann kehrte er schweigend zurück an die Stelle, welche er eben verlassen hatte. Kein Zug des unbewegten Angesichts verrieth seinen Unheilsgenossen,

Stimme geführt, ohne Reiz und Gehalt, weshalb die Gesellschaft nach und nach vom Tische aufstand. Einzelne traten an den Kamin, Andere in die nächste Fensterblende, der untergehenden Sonne nachzusehen.

Es ist nicht ungewöhnlich, die Sonne, besonders an kühlen Abenden, sich selbst und das Gewölke umher düster und gleichsam blutig röthen zu sehen. Uns ist eine solche Erscheinung eben nur eine optische, für welche wir Gründe angeben, überzeugende, wenigstens zufriedenstellende. Allein den Stier der Weide erfüllt der Anblick des blutig gerötheten Abendhimmels mit Grimm und Entsetzen; und selbst die Menschen, ehe sie sich daran gewöhnt, ihr Phantasieleben der Vernunft unterzuordnen, glaubten darin Vorzeichen zu sehen von blutigen Thaten, Mord und Verbrechen. Jenerzeit war der Glaube an die Vorbedeutung dieser und anderer Himmelszeichen ganz allgemein, wohnte er selbst bei Solchen, die, alle sittliche Schranken durchbrechend, die Religion in ihrem strengeren Sinne verachteten und haßten, daher in der Welt für ungläubige Spötter galten. Es entstand am Fenster ein unheimliches Geflüster, hörbar genug, um den Savello aus seinen verworrenen Gedanken zu erwecken. Er verließ schnell den Sessel, auf welchen er nach aufgehobener Tafel sich hingeworfen hatte, näherte sich dem Fenster, um für einen Augenblick gleich den Uebrigen hinauszustarren. Dann kehrte er schweigend zurück an die Stelle, welche er eben verlassen hatte. Kein Zug des unbewegten Angesichts verrieth seinen Unheilsgenossen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043"/>
Stimme geführt, ohne Reiz und Gehalt,                weshalb die Gesellschaft nach und nach vom Tische aufstand. Einzelne traten an den                Kamin, Andere in die nächste Fensterblende, der untergehenden Sonne nachzusehen.</p><lb/>
        <p>Es ist nicht ungewöhnlich, die Sonne, besonders an kühlen Abenden, sich selbst und                das Gewölke umher düster und gleichsam blutig röthen zu sehen. Uns ist eine solche                Erscheinung eben nur eine optische, für welche wir Gründe angeben, überzeugende,                wenigstens zufriedenstellende. Allein den Stier der Weide erfüllt der Anblick des                blutig gerötheten Abendhimmels mit Grimm und Entsetzen; und selbst die Menschen, ehe                sie sich daran gewöhnt, ihr Phantasieleben der Vernunft unterzuordnen, glaubten darin                Vorzeichen zu sehen von blutigen Thaten, Mord und Verbrechen. Jenerzeit war der                Glaube an die Vorbedeutung dieser und anderer Himmelszeichen ganz allgemein, wohnte                er selbst bei Solchen, die, alle sittliche Schranken durchbrechend, die Religion in                ihrem strengeren Sinne verachteten und haßten, daher in der Welt für ungläubige                Spötter galten. Es entstand am Fenster ein unheimliches Geflüster, hörbar genug, um                den Savello aus seinen verworrenen Gedanken zu erwecken. Er verließ schnell den                Sessel, auf welchen er nach aufgehobener Tafel sich hingeworfen hatte, näherte sich                dem Fenster, um für einen Augenblick gleich den Uebrigen hinauszustarren. Dann kehrte                er schweigend zurück an die Stelle, welche er eben verlassen hatte. Kein Zug des                unbewegten Angesichts verrieth seinen Unheilsgenossen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0043] Stimme geführt, ohne Reiz und Gehalt, weshalb die Gesellschaft nach und nach vom Tische aufstand. Einzelne traten an den Kamin, Andere in die nächste Fensterblende, der untergehenden Sonne nachzusehen. Es ist nicht ungewöhnlich, die Sonne, besonders an kühlen Abenden, sich selbst und das Gewölke umher düster und gleichsam blutig röthen zu sehen. Uns ist eine solche Erscheinung eben nur eine optische, für welche wir Gründe angeben, überzeugende, wenigstens zufriedenstellende. Allein den Stier der Weide erfüllt der Anblick des blutig gerötheten Abendhimmels mit Grimm und Entsetzen; und selbst die Menschen, ehe sie sich daran gewöhnt, ihr Phantasieleben der Vernunft unterzuordnen, glaubten darin Vorzeichen zu sehen von blutigen Thaten, Mord und Verbrechen. Jenerzeit war der Glaube an die Vorbedeutung dieser und anderer Himmelszeichen ganz allgemein, wohnte er selbst bei Solchen, die, alle sittliche Schranken durchbrechend, die Religion in ihrem strengeren Sinne verachteten und haßten, daher in der Welt für ungläubige Spötter galten. Es entstand am Fenster ein unheimliches Geflüster, hörbar genug, um den Savello aus seinen verworrenen Gedanken zu erwecken. Er verließ schnell den Sessel, auf welchen er nach aufgehobener Tafel sich hingeworfen hatte, näherte sich dem Fenster, um für einen Augenblick gleich den Uebrigen hinauszustarren. Dann kehrte er schweigend zurück an die Stelle, welche er eben verlassen hatte. Kein Zug des unbewegten Angesichts verrieth seinen Unheilsgenossen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:26:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:26:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/43
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/43>, abgerufen am 23.04.2024.