und doch wieder so erdenfremd, so emporgehoben über das Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über die Leiden und Freuden dieser Welt!
Ende Mai.
"Wer sich der Einsamkeit ergiebt, ist bald allein," singt Göthe's Harfner. In gewissem Sinne ist es wahr; aber eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬ fahren. Denn so oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und mich durch die Umstände wohl verschanzt und geborgen glaubte, traten auch bald wieder Ereignisse ein, die mich, entweder rasch und gewaltsam, oder leise und unmerklich zur Gesellig¬ keit zurückführten. So ist auch jetzt mein still vergnügtes Dasein nicht mehr ganz so einsam und abgeschieden, wie ich es mir für diesen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des Hauses ist nämlich mit seiner Frau, die eben erst Mutter ge¬ worden, und dem sechsjährigen Töchterchen eines verstorbenen Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat seine Aufgabe an der Strecke gelös't und wird nun wieder im Bureau verwendet. Da ging es sogleich lebhaft und geräuschvoll in meiner Nähe zu. Kisten und Kasten waren abgeladen worden; man brachte a llerlei Möbel und Geräthschaften zum Lüften und Scheuern
und doch wieder ſo erdenfremd, ſo emporgehoben über das Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über die Leiden und Freuden dieſer Welt!
Ende Mai.
„Wer ſich der Einſamkeit ergiebt, iſt bald allein,“ ſingt Göthe's Harfner. In gewiſſem Sinne iſt es wahr; aber eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬ fahren. Denn ſo oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und mich durch die Umſtände wohl verſchanzt und geborgen glaubte, traten auch bald wieder Ereigniſſe ein, die mich, entweder raſch und gewaltſam, oder leiſe und unmerklich zur Geſellig¬ keit zurückführten. So iſt auch jetzt mein ſtill vergnügtes Daſein nicht mehr ganz ſo einſam und abgeſchieden, wie ich es mir für dieſen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des Hauſes iſt nämlich mit ſeiner Frau, die eben erſt Mutter ge¬ worden, und dem ſechsjährigen Töchterchen eines verſtorbenen Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat ſeine Aufgabe an der Strecke gelöſ't und wird nun wieder im Bureau verwendet. Da ging es ſogleich lebhaft und geräuſchvoll in meiner Nähe zu. Kiſten und Kaſten waren abgeladen worden; man brachte a llerlei Möbel und Geräthſchaften zum Lüften und Scheuern
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0100"n="84"/>
und doch wieder ſo erdenfremd, ſo emporgehoben über das<lb/>
Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über<lb/>
die Leiden und Freuden dieſer Welt!</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Ende Mai.</hi></p><lb/><p>„Wer ſich der Einſamkeit ergiebt, iſt bald allein,“ſingt<lb/>
Göthe's Harfner. In gewiſſem Sinne iſt es wahr; aber<lb/>
eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬<lb/>
fahren. Denn ſo oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und<lb/>
mich durch die Umſtände wohl verſchanzt und geborgen glaubte,<lb/>
traten auch bald wieder Ereigniſſe ein, die mich, entweder<lb/>
raſch und gewaltſam, oder leiſe und unmerklich zur Geſellig¬<lb/>
keit zurückführten. So iſt auch jetzt mein ſtill vergnügtes<lb/>
Daſein nicht mehr ganz ſo einſam und abgeſchieden, wie ich<lb/>
es mir für dieſen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des<lb/>
Hauſes iſt nämlich mit ſeiner Frau, die eben erſt Mutter ge¬<lb/>
worden, und dem ſechsjährigen Töchterchen eines verſtorbenen<lb/>
Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat ſeine Aufgabe an der<lb/>
Strecke gelöſ't und wird nun wieder im Bureau verwendet.<lb/>
Da ging es ſogleich lebhaft und geräuſchvoll in meiner Nähe<lb/>
zu. Kiſten und Kaſten waren abgeladen worden; man brachte<lb/>
a llerlei Möbel und Geräthſchaften zum Lüften und Scheuern<lb/></p></div></body></text></TEI>
[84/0100]
und doch wieder ſo erdenfremd, ſo emporgehoben über das
Treiben und Trachten, über die Sorgen und Hoffnungen, über
die Leiden und Freuden dieſer Welt!
Ende Mai.
„Wer ſich der Einſamkeit ergiebt, iſt bald allein,“ ſingt
Göthe's Harfner. In gewiſſem Sinne iſt es wahr; aber
eigentlich hab' ich mein Leben lang gerade das Gegentheil er¬
fahren. Denn ſo oft ich jeden Verkehr abgebrochen hatte und
mich durch die Umſtände wohl verſchanzt und geborgen glaubte,
traten auch bald wieder Ereigniſſe ein, die mich, entweder
raſch und gewaltſam, oder leiſe und unmerklich zur Geſellig¬
keit zurückführten. So iſt auch jetzt mein ſtill vergnügtes
Daſein nicht mehr ganz ſo einſam und abgeſchieden, wie ich
es mir für dieſen Sommer erwarten durfte. Der Sohn des
Hauſes iſt nämlich mit ſeiner Frau, die eben erſt Mutter ge¬
worden, und dem ſechsjährigen Töchterchen eines verſtorbenen
Amtscollegen hier eingetroffen. Er hat ſeine Aufgabe an der
Strecke gelöſ't und wird nun wieder im Bureau verwendet.
Da ging es ſogleich lebhaft und geräuſchvoll in meiner Nähe
zu. Kiſten und Kaſten waren abgeladen worden; man brachte
a llerlei Möbel und Geräthſchaften zum Lüften und Scheuern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/100>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.