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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Bei diesen anmuthigen Haschversuchen war sie endlich auch mir
nahe gekommen; schon fühlte ich die Berührung ihrer Hände
-- als sie plötzlich, unter dem Tuche bis zum dunkeln Carmin
des Pfirsichs erröthend, von mir abließ und mit einer raschen
Wendung ihren Schwager zu fassen bekam, der ihr wohl nicht
ganz ohne Absicht in die Arme lief. Während ihm die Augen
verbunden wurden, sagte er, die Frauenzimmer möchten sich
jetzt in Acht nehmen; denn er wäre gesonnen, keine von ihnen
ohne herzhaften Kuß wieder loszulassen. Marianne schien
sogleich verstanden zu haben, auf wen diese Rede eigentlich
gemünzt war; denn sie legte bedeutsam den Finger an den
Mund und huschte lautlos an das äußerste Ende des Gartens.
Der Schalk aber, dem die Binde nicht allzu fest sitzen mochte,
bewegte sich zum Schein noch ein wenig zwischen den Uebrigen
hin und her; dann eilte er ihr nach, und da er, wie man
bemerken konnte, recht wohl sah, so hatte die junge Frau Mühe,
seinen Nachstellungen zu entkommen. Aber es gelang ihr doch,
im entscheidenden Momente auszubiegen und, indem sie ein
paar Blumenbeete und eine niedere Hecke von Stachelbeerstau¬
den übersprang, in den Kreis zurückzulaufen. Dort angelangt,
erblaßte sie plötzlich, griff mit beiden Händen zum Herzen,
wankte und fiel wie leblos zu Boden. Alles stürzte erschrocken
auf sie zu; man löste ihr den Gürtel und benetzte ihre Schlä¬
fen mit Wasser. Sie kam auch alsbald wieder zu sich, fuhr
mit der Hand über die Stirne und ließ sich, matt und kraft¬

Bei dieſen anmuthigen Haſchverſuchen war ſie endlich auch mir
nahe gekommen; ſchon fühlte ich die Berührung ihrer Hände
— als ſie plötzlich, unter dem Tuche bis zum dunkeln Carmin
des Pfirſichs erröthend, von mir abließ und mit einer raſchen
Wendung ihren Schwager zu faſſen bekam, der ihr wohl nicht
ganz ohne Abſicht in die Arme lief. Während ihm die Augen
verbunden wurden, ſagte er, die Frauenzimmer möchten ſich
jetzt in Acht nehmen; denn er wäre geſonnen, keine von ihnen
ohne herzhaften Kuß wieder loszulaſſen. Marianne ſchien
ſogleich verſtanden zu haben, auf wen dieſe Rede eigentlich
gemünzt war; denn ſie legte bedeutſam den Finger an den
Mund und huſchte lautlos an das äußerſte Ende des Gartens.
Der Schalk aber, dem die Binde nicht allzu feſt ſitzen mochte,
bewegte ſich zum Schein noch ein wenig zwiſchen den Uebrigen
hin und her; dann eilte er ihr nach, und da er, wie man
bemerken konnte, recht wohl ſah, ſo hatte die junge Frau Mühe,
ſeinen Nachſtellungen zu entkommen. Aber es gelang ihr doch,
im entſcheidenden Momente auszubiegen und, indem ſie ein
paar Blumenbeete und eine niedere Hecke von Stachelbeerſtau¬
den überſprang, in den Kreis zurückzulaufen. Dort angelangt,
erblaßte ſie plötzlich, griff mit beiden Händen zum Herzen,
wankte und fiel wie leblos zu Boden. Alles ſtürzte erſchrocken
auf ſie zu; man löſte ihr den Gürtel und benetzte ihre Schlä¬
fen mit Waſſer. Sie kam auch alsbald wieder zu ſich, fuhr
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[95/0111] Bei dieſen anmuthigen Haſchverſuchen war ſie endlich auch mir nahe gekommen; ſchon fühlte ich die Berührung ihrer Hände — als ſie plötzlich, unter dem Tuche bis zum dunkeln Carmin des Pfirſichs erröthend, von mir abließ und mit einer raſchen Wendung ihren Schwager zu faſſen bekam, der ihr wohl nicht ganz ohne Abſicht in die Arme lief. Während ihm die Augen verbunden wurden, ſagte er, die Frauenzimmer möchten ſich jetzt in Acht nehmen; denn er wäre geſonnen, keine von ihnen ohne herzhaften Kuß wieder loszulaſſen. Marianne ſchien ſogleich verſtanden zu haben, auf wen dieſe Rede eigentlich gemünzt war; denn ſie legte bedeutſam den Finger an den Mund und huſchte lautlos an das äußerſte Ende des Gartens. Der Schalk aber, dem die Binde nicht allzu feſt ſitzen mochte, bewegte ſich zum Schein noch ein wenig zwiſchen den Uebrigen hin und her; dann eilte er ihr nach, und da er, wie man bemerken konnte, recht wohl ſah, ſo hatte die junge Frau Mühe, ſeinen Nachſtellungen zu entkommen. Aber es gelang ihr doch, im entſcheidenden Momente auszubiegen und, indem ſie ein paar Blumenbeete und eine niedere Hecke von Stachelbeerſtau¬ den überſprang, in den Kreis zurückzulaufen. Dort angelangt, erblaßte ſie plötzlich, griff mit beiden Händen zum Herzen, wankte und fiel wie leblos zu Boden. Alles ſtürzte erſchrocken auf ſie zu; man löſte ihr den Gürtel und benetzte ihre Schlä¬ fen mit Waſſer. Sie kam auch alsbald wieder zu ſich, fuhr mit der Hand über die Stirne und ließ ſich, matt und kraft¬

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/111>, abgerufen am 24.11.2024.