Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

stolzer Höhe gelegen, mit weit ausblickenden Zinnen vor Dir
aufsteigen. Auch eines Mannes wirst Du erwähnt finden,
der in diesem einsamen, jetzt dem Fürsten S . . . . gehörenden
Prachtbau der Vergangenheit als Archivar lebt. Ich hatte
ihn eines Tages mit der Bitte aufgesucht, mich in dem histo¬
risch merkwürdigen Archive und in der reichhaltigen Bibliothek
ein wenig umsehen zu dürfen, und entsinne mich deutlich, daß
ich Dir damals geschrieben habe, wie sehr ich ihn um sein
stilles, abgeschiedenes Dasein beneide. Als ich aber näher mit
ihm bekannt wurde, da merkte ich bald, daß ihm, was mir
wünschenswerth erschien, Unmuth und Unzufriedenheit bereite.
Er hatte früher ein öffentliches Lehramt bekleidet; war aber,
mißliebiger Anschauungen wegen, von der Regierung entfernt
und durch die Noth gezwungen worden, diese Stelle anzuneh¬
men, welche seinem lebhaften, auf erfolgreiches Wirken gerich¬
teten Geist ebenso wenig zusagen konnte, als sie ihm in ihrer
geringen Ansehnlichkeit seiner Kenntnisse und Fähigkeiten wür¬
dig erschien. Er gestand mir offen, daß er Alles aufbiete,
wieder los zu kommen; und da ich ihm hingegen meine Nei¬
gung zu einem solchen Posten mittheilte, so versprach er mir, mich
dem Fürsten vorzuschlagen, sobald er eine passende Lebensstel¬
lung würde gefunden haben. Nun bekam ich dieser Tage (ich
hatte seiner Zusage längst nicht mehr gedacht) von ihm einen
Brief, worin er mir schreibt, daß er endlich einen ehrenvollen
Ruf in's Ausland erhalten, und mich fragt, ob ich noch ge¬

ſtolzer Höhe gelegen, mit weit ausblickenden Zinnen vor Dir
aufſteigen. Auch eines Mannes wirſt Du erwähnt finden,
der in dieſem einſamen, jetzt dem Fürſten S . . . . gehörenden
Prachtbau der Vergangenheit als Archivar lebt. Ich hatte
ihn eines Tages mit der Bitte aufgeſucht, mich in dem hiſto¬
riſch merkwürdigen Archive und in der reichhaltigen Bibliothek
ein wenig umſehen zu dürfen, und entſinne mich deutlich, daß
ich Dir damals geſchrieben habe, wie ſehr ich ihn um ſein
ſtilles, abgeſchiedenes Daſein beneide. Als ich aber näher mit
ihm bekannt wurde, da merkte ich bald, daß ihm, was mir
wünſchenswerth erſchien, Unmuth und Unzufriedenheit bereite.
Er hatte früher ein öffentliches Lehramt bekleidet; war aber,
mißliebiger Anſchauungen wegen, von der Regierung entfernt
und durch die Noth gezwungen worden, dieſe Stelle anzuneh¬
men, welche ſeinem lebhaften, auf erfolgreiches Wirken gerich¬
teten Geiſt ebenſo wenig zuſagen konnte, als ſie ihm in ihrer
geringen Anſehnlichkeit ſeiner Kenntniſſe und Fähigkeiten wür¬
dig erſchien. Er geſtand mir offen, daß er Alles aufbiete,
wieder los zu kommen; und da ich ihm hingegen meine Nei¬
gung zu einem ſolchen Poſten mittheilte, ſo verſprach er mir, mich
dem Fürſten vorzuſchlagen, ſobald er eine paſſende Lebensſtel¬
lung würde gefunden haben. Nun bekam ich dieſer Tage (ich
hatte ſeiner Zuſage längſt nicht mehr gedacht) von ihm einen
Brief, worin er mir ſchreibt, daß er endlich einen ehrenvollen
Ruf in's Ausland erhalten, und mich fragt, ob ich noch ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0124" n="108"/>
&#x017F;tolzer Höhe gelegen, mit weit ausblickenden Zinnen vor Dir<lb/>
auf&#x017F;teigen. Auch eines Mannes wir&#x017F;t Du erwähnt finden,<lb/>
der in die&#x017F;em ein&#x017F;amen, jetzt dem Für&#x017F;ten S . . . . gehörenden<lb/>
Prachtbau der Vergangenheit als Archivar lebt. Ich hatte<lb/>
ihn eines Tages mit der Bitte aufge&#x017F;ucht, mich in dem hi&#x017F;to¬<lb/>
ri&#x017F;ch merkwürdigen Archive und in der reichhaltigen Bibliothek<lb/>
ein wenig um&#x017F;ehen zu dürfen, und ent&#x017F;inne mich deutlich, daß<lb/>
ich Dir damals ge&#x017F;chrieben habe, wie &#x017F;ehr ich ihn um &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;tilles, abge&#x017F;chiedenes Da&#x017F;ein beneide. Als ich aber näher mit<lb/>
ihm bekannt wurde, da merkte ich bald, daß ihm, was mir<lb/>
wün&#x017F;chenswerth er&#x017F;chien, Unmuth und Unzufriedenheit bereite.<lb/>
Er hatte früher ein öffentliches Lehramt bekleidet; war aber,<lb/>
mißliebiger An&#x017F;chauungen wegen, von der Regierung entfernt<lb/>
und durch die Noth gezwungen worden, die&#x017F;e Stelle anzuneh¬<lb/>
men, welche &#x017F;einem lebhaften, auf erfolgreiches Wirken gerich¬<lb/>
teten Gei&#x017F;t eben&#x017F;o wenig zu&#x017F;agen konnte, als &#x017F;ie ihm in ihrer<lb/>
geringen An&#x017F;ehnlichkeit &#x017F;einer Kenntni&#x017F;&#x017F;e und Fähigkeiten wür¬<lb/>
dig er&#x017F;chien. Er ge&#x017F;tand mir offen, daß er Alles aufbiete,<lb/>
wieder los zu kommen; und da ich ihm hingegen meine Nei¬<lb/>
gung zu einem &#x017F;olchen Po&#x017F;ten mittheilte, &#x017F;o ver&#x017F;prach er mir, mich<lb/>
dem Für&#x017F;ten vorzu&#x017F;chlagen, &#x017F;obald er eine pa&#x017F;&#x017F;ende Lebens&#x017F;tel¬<lb/>
lung würde gefunden haben. Nun bekam ich die&#x017F;er Tage (ich<lb/>
hatte &#x017F;einer Zu&#x017F;age läng&#x017F;t nicht mehr gedacht) von ihm einen<lb/>
Brief, worin er mir &#x017F;chreibt, daß er endlich einen ehrenvollen<lb/>
Ruf in's Ausland erhalten, und mich fragt, ob ich noch ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0124] ſtolzer Höhe gelegen, mit weit ausblickenden Zinnen vor Dir aufſteigen. Auch eines Mannes wirſt Du erwähnt finden, der in dieſem einſamen, jetzt dem Fürſten S . . . . gehörenden Prachtbau der Vergangenheit als Archivar lebt. Ich hatte ihn eines Tages mit der Bitte aufgeſucht, mich in dem hiſto¬ riſch merkwürdigen Archive und in der reichhaltigen Bibliothek ein wenig umſehen zu dürfen, und entſinne mich deutlich, daß ich Dir damals geſchrieben habe, wie ſehr ich ihn um ſein ſtilles, abgeſchiedenes Daſein beneide. Als ich aber näher mit ihm bekannt wurde, da merkte ich bald, daß ihm, was mir wünſchenswerth erſchien, Unmuth und Unzufriedenheit bereite. Er hatte früher ein öffentliches Lehramt bekleidet; war aber, mißliebiger Anſchauungen wegen, von der Regierung entfernt und durch die Noth gezwungen worden, dieſe Stelle anzuneh¬ men, welche ſeinem lebhaften, auf erfolgreiches Wirken gerich¬ teten Geiſt ebenſo wenig zuſagen konnte, als ſie ihm in ihrer geringen Anſehnlichkeit ſeiner Kenntniſſe und Fähigkeiten wür¬ dig erſchien. Er geſtand mir offen, daß er Alles aufbiete, wieder los zu kommen; und da ich ihm hingegen meine Nei¬ gung zu einem ſolchen Poſten mittheilte, ſo verſprach er mir, mich dem Fürſten vorzuſchlagen, ſobald er eine paſſende Lebensſtel¬ lung würde gefunden haben. Nun bekam ich dieſer Tage (ich hatte ſeiner Zuſage längſt nicht mehr gedacht) von ihm einen Brief, worin er mir ſchreibt, daß er endlich einen ehrenvollen Ruf in's Ausland erhalten, und mich fragt, ob ich noch ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/124
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/124>, abgerufen am 14.05.2024.