vorüber zu einer höher gelegenen flachen Mulde hinan. "Das ist mein Platz," sagte sie, indem sie sich mitten unter Bruch¬ steinen und Geröll auf den Boden niederließ. "Ich bin nicht gern bei denen dort. Sie sind ein wüstes, hämisches Volk. Aber Du kannst bei mir bleiben, wenn es Dir recht ist." Er erwiederte nichts und setzte sich still neben sie. "Siehst Du, diese Trümmer müssen in kleine Stücke zerschlagen werden. Das dort," setzte sie hinzu und deutete mit der Hand auf einen kleinen Berg von angehäuftem Schotter, "das hab' ich in dieser Woche zu Stande gebracht." Er zog einen größeren Kalkstein an sich heran und schlug mit dem Hammer darauf. Der Stein blieb ganz. "Stärker!" rief Tertschka und führte nun selbst einen Streich, daß die Stücke umherflogen. Er sah sie verwundert an und erprobte noch einmal seine Kraft. Diesmal mit besserem Erfolg, und so begannen die Beiden, ohne mehr ein Wort zu wechseln, ihr Tagwerk. Der Ort, wo sie saßen, erschloß eine prachtvolle Fernsicht über die mäch¬ tigen Hebungen und Senkungen der weithin ausgebreiteten Gebirgsnatur. Hart an der Bahn und in gleicher Höhe mit ihr klebte die Burgruine Klamm wie ein Geiernest an einer bewaldeten Felsenzacke; tief unten in einer engen Thalschlucht, lang gestreckt und mit röthlichen Dächern, lag der Markt Schottwien. Dahinter ragte dunkel der Sonnwendstein auf und von den grünen Matten an seinem Fuße herüber schim¬ merte, mit Bäumen umpflanzt, die freundliche Kirche,
vorüber zu einer höher gelegenen flachen Mulde hinan. „Das iſt mein Platz,“ ſagte ſie, indem ſie ſich mitten unter Bruch¬ ſteinen und Geröll auf den Boden niederließ. „Ich bin nicht gern bei denen dort. Sie ſind ein wüſtes, hämiſches Volk. Aber Du kannſt bei mir bleiben, wenn es Dir recht iſt.“ Er erwiederte nichts und ſetzte ſich ſtill neben ſie. „Siehſt Du, dieſe Trümmer müſſen in kleine Stücke zerſchlagen werden. Das dort,“ ſetzte ſie hinzu und deutete mit der Hand auf einen kleinen Berg von angehäuftem Schotter, „das hab' ich in dieſer Woche zu Stande gebracht.“ Er zog einen größeren Kalkſtein an ſich heran und ſchlug mit dem Hammer darauf. Der Stein blieb ganz. „Stärker!“ rief Tertſchka und führte nun ſelbſt einen Streich, daß die Stücke umherflogen. Er ſah ſie verwundert an und erprobte noch einmal ſeine Kraft. Diesmal mit beſſerem Erfolg, und ſo begannen die Beiden, ohne mehr ein Wort zu wechſeln, ihr Tagwerk. Der Ort, wo ſie ſaßen, erſchloß eine prachtvolle Fernſicht über die mäch¬ tigen Hebungen und Senkungen der weithin ausgebreiteten Gebirgsnatur. Hart an der Bahn und in gleicher Höhe mit ihr klebte die Burgruine Klamm wie ein Geierneſt an einer bewaldeten Felſenzacke; tief unten in einer engen Thalſchlucht, lang geſtreckt und mit röthlichen Dächern, lag der Markt Schottwien. Dahinter ragte dunkel der Sonnwendſtein auf und von den grünen Matten an ſeinem Fuße herüber ſchim¬ merte, mit Bäumen umpflanzt, die freundliche Kirche,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0153"n="137"/>
vorüber zu einer höher gelegenen flachen Mulde hinan. „Das<lb/>
iſt mein Platz,“ſagte ſie, indem ſie ſich mitten unter Bruch¬<lb/>ſteinen und Geröll auf den Boden niederließ. „Ich bin nicht<lb/>
gern bei denen dort. Sie ſind ein wüſtes, hämiſches Volk.<lb/>
Aber Du kannſt bei mir bleiben, wenn es Dir recht iſt.“ Er<lb/>
erwiederte nichts und ſetzte ſich ſtill neben ſie. „Siehſt Du,<lb/>
dieſe Trümmer müſſen in kleine Stücke zerſchlagen werden.<lb/>
Das dort,“ſetzte ſie hinzu und deutete mit der Hand auf<lb/>
einen kleinen Berg von angehäuftem Schotter, „das hab' ich<lb/>
in dieſer Woche zu Stande gebracht.“ Er zog einen größeren<lb/>
Kalkſtein an ſich heran und ſchlug mit dem Hammer darauf.<lb/>
Der Stein blieb ganz. „Stärker!“ rief Tertſchka und führte<lb/>
nun ſelbſt einen Streich, daß die Stücke umherflogen. Er<lb/>ſah ſie verwundert an und erprobte noch einmal ſeine Kraft.<lb/>
Diesmal mit beſſerem Erfolg, und ſo begannen die Beiden,<lb/>
ohne mehr ein Wort zu wechſeln, ihr Tagwerk. Der Ort,<lb/>
wo ſie ſaßen, erſchloß eine prachtvolle Fernſicht über die mäch¬<lb/>
tigen Hebungen und Senkungen der weithin ausgebreiteten<lb/>
Gebirgsnatur. Hart an der Bahn und in gleicher Höhe mit<lb/>
ihr klebte die Burgruine Klamm wie ein Geierneſt an einer<lb/>
bewaldeten Felſenzacke; tief unten in einer engen Thalſchlucht,<lb/>
lang geſtreckt und mit röthlichen Dächern, lag der Markt<lb/>
Schottwien. Dahinter ragte dunkel der Sonnwendſtein auf<lb/>
und von den grünen Matten an ſeinem Fuße herüber ſchim¬<lb/>
merte, mit Bäumen umpflanzt, die freundliche Kirche,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0153]
vorüber zu einer höher gelegenen flachen Mulde hinan. „Das
iſt mein Platz,“ ſagte ſie, indem ſie ſich mitten unter Bruch¬
ſteinen und Geröll auf den Boden niederließ. „Ich bin nicht
gern bei denen dort. Sie ſind ein wüſtes, hämiſches Volk.
Aber Du kannſt bei mir bleiben, wenn es Dir recht iſt.“ Er
erwiederte nichts und ſetzte ſich ſtill neben ſie. „Siehſt Du,
dieſe Trümmer müſſen in kleine Stücke zerſchlagen werden.
Das dort,“ ſetzte ſie hinzu und deutete mit der Hand auf
einen kleinen Berg von angehäuftem Schotter, „das hab' ich
in dieſer Woche zu Stande gebracht.“ Er zog einen größeren
Kalkſtein an ſich heran und ſchlug mit dem Hammer darauf.
Der Stein blieb ganz. „Stärker!“ rief Tertſchka und führte
nun ſelbſt einen Streich, daß die Stücke umherflogen. Er
ſah ſie verwundert an und erprobte noch einmal ſeine Kraft.
Diesmal mit beſſerem Erfolg, und ſo begannen die Beiden,
ohne mehr ein Wort zu wechſeln, ihr Tagwerk. Der Ort,
wo ſie ſaßen, erſchloß eine prachtvolle Fernſicht über die mäch¬
tigen Hebungen und Senkungen der weithin ausgebreiteten
Gebirgsnatur. Hart an der Bahn und in gleicher Höhe mit
ihr klebte die Burgruine Klamm wie ein Geierneſt an einer
bewaldeten Felſenzacke; tief unten in einer engen Thalſchlucht,
lang geſtreckt und mit röthlichen Dächern, lag der Markt
Schottwien. Dahinter ragte dunkel der Sonnwendſtein auf
und von den grünen Matten an ſeinem Fuße herüber ſchim¬
merte, mit Bäumen umpflanzt, die freundliche Kirche,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/153>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.