Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ein so abgeschiedenes, stilles Leben mag auch seinen
eigenen Reiz haben," sagte ich nachdenklich, während wir in
das düstere Officierswachtzimmer traten, wo mich mein Vor¬
gänger mit den üblichen Dienstvorschriften bekannt machte.
Dann zog er sich den etwas zerknitterten Uniformrock an den
Hüften glatt, schnallte die Feldbinde fester und reichte mir mit
kühler Freundlichkeit die Hand zum Abschied. Ich verließ mit
ihm das Zimmer und trat, während er flüchtig seine Leute
musterte und unter lustigem Trommelschall abmarschirte, in
die sonnige Stille hinaus, die über dem Fort lagerte. Als
ich die Schanze erstiegen hatte, that sich hinter den Pulver¬
magazinen ein freier Wiesengrund meinen Blicken auf. Dort
erhob sich, ziemlich zurückgezogen, die Kirche, das blinkende
Messingkreuz auf dem Giebel von weißen Tauben umflattert.
Den Friedhof konnte ich nicht gewahr werden; er mußte durch
das angrenzende Priesterhaus verdeckt sein, das ziemlich düster
aus einer niederen Lindenumpflanzung hervorsah. In einiger
Entfernung schräg gegenüber stand ein ebenerdiges Häuschen.
Die gelb angestrichenen Thüren und Fensterrahmen kennzeich¬
neten es als militärisches Gebäude; im Uebrigen sah es ganz
wie eine kleine Bauernwirthschaft aus. Schiebkarren, Hauen
und Schaufeln lehnten in der Nähe einer Cisterne an der
Mauer, und rückwärts war, kunstlos umzäunt, ein Gärtchen
angelegt, in welchem roth und weiß die Apfelblüthen schim¬
merten. Zwischen diesem Häuschen und der Kirche schlängelte

„Ein ſo abgeſchiedenes, ſtilles Leben mag auch ſeinen
eigenen Reiz haben,“ ſagte ich nachdenklich, während wir in
das düſtere Officierswachtzimmer traten, wo mich mein Vor¬
gänger mit den üblichen Dienſtvorſchriften bekannt machte.
Dann zog er ſich den etwas zerknitterten Uniformrock an den
Hüften glatt, ſchnallte die Feldbinde feſter und reichte mir mit
kühler Freundlichkeit die Hand zum Abſchied. Ich verließ mit
ihm das Zimmer und trat, während er flüchtig ſeine Leute
muſterte und unter luſtigem Trommelſchall abmarſchirte, in
die ſonnige Stille hinaus, die über dem Fort lagerte. Als
ich die Schanze erſtiegen hatte, that ſich hinter den Pulver¬
magazinen ein freier Wieſengrund meinen Blicken auf. Dort
erhob ſich, ziemlich zurückgezogen, die Kirche, das blinkende
Meſſingkreuz auf dem Giebel von weißen Tauben umflattert.
Den Friedhof konnte ich nicht gewahr werden; er mußte durch
das angrenzende Prieſterhaus verdeckt ſein, das ziemlich düſter
aus einer niederen Lindenumpflanzung hervorſah. In einiger
Entfernung ſchräg gegenüber ſtand ein ebenerdiges Häuschen.
Die gelb angeſtrichenen Thüren und Fenſterrahmen kennzeich¬
neten es als militäriſches Gebäude; im Uebrigen ſah es ganz
wie eine kleine Bauernwirthſchaft aus. Schiebkarren, Hauen
und Schaufeln lehnten in der Nähe einer Ciſterne an der
Mauer, und rückwärts war, kunſtlos umzäunt, ein Gärtchen
angelegt, in welchem roth und weiß die Apfelblüthen ſchim¬
merten. Zwiſchen dieſem Häuschen und der Kirche ſchlängelte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0021" n="5"/>
      <p>&#x201E;Ein &#x017F;o abge&#x017F;chiedenes, &#x017F;tilles Leben mag auch &#x017F;einen<lb/>
eigenen Reiz haben,&#x201C; &#x017F;agte ich nachdenklich, während wir in<lb/>
das dü&#x017F;tere Officierswachtzimmer traten, wo mich mein Vor¬<lb/>
gänger mit den üblichen Dien&#x017F;tvor&#x017F;chriften bekannt machte.<lb/>
Dann zog er &#x017F;ich den etwas zerknitterten Uniformrock an den<lb/>
Hüften glatt, &#x017F;chnallte die Feldbinde fe&#x017F;ter und reichte mir mit<lb/>
kühler Freundlichkeit die Hand zum Ab&#x017F;chied. Ich verließ mit<lb/>
ihm das Zimmer und trat, während er flüchtig &#x017F;eine Leute<lb/>
mu&#x017F;terte und unter lu&#x017F;tigem Trommel&#x017F;chall abmar&#x017F;chirte, in<lb/>
die &#x017F;onnige Stille hinaus, die über dem Fort lagerte. Als<lb/>
ich die Schanze er&#x017F;tiegen hatte, that &#x017F;ich hinter den Pulver¬<lb/>
magazinen ein freier Wie&#x017F;engrund meinen Blicken auf. Dort<lb/>
erhob &#x017F;ich, ziemlich zurückgezogen, die Kirche, das blinkende<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;ingkreuz auf dem Giebel von weißen Tauben umflattert.<lb/>
Den Friedhof konnte ich nicht gewahr werden; er mußte durch<lb/>
das angrenzende Prie&#x017F;terhaus verdeckt &#x017F;ein, das ziemlich dü&#x017F;ter<lb/>
aus einer niederen Lindenumpflanzung hervor&#x017F;ah. In einiger<lb/>
Entfernung &#x017F;chräg gegenüber &#x017F;tand ein ebenerdiges Häuschen.<lb/>
Die gelb ange&#x017F;trichenen Thüren und Fen&#x017F;terrahmen kennzeich¬<lb/>
neten es als militäri&#x017F;ches Gebäude; im Uebrigen &#x017F;ah es ganz<lb/>
wie eine kleine Bauernwirth&#x017F;chaft aus. Schiebkarren, Hauen<lb/>
und Schaufeln lehnten in der Nähe einer Ci&#x017F;terne an der<lb/>
Mauer, und rückwärts war, kun&#x017F;tlos umzäunt, ein Gärtchen<lb/>
angelegt, in welchem roth und weiß die Apfelblüthen &#x017F;chim¬<lb/>
merten. Zwi&#x017F;chen die&#x017F;em Häuschen und der Kirche &#x017F;chlängelte<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0021] „Ein ſo abgeſchiedenes, ſtilles Leben mag auch ſeinen eigenen Reiz haben,“ ſagte ich nachdenklich, während wir in das düſtere Officierswachtzimmer traten, wo mich mein Vor¬ gänger mit den üblichen Dienſtvorſchriften bekannt machte. Dann zog er ſich den etwas zerknitterten Uniformrock an den Hüften glatt, ſchnallte die Feldbinde feſter und reichte mir mit kühler Freundlichkeit die Hand zum Abſchied. Ich verließ mit ihm das Zimmer und trat, während er flüchtig ſeine Leute muſterte und unter luſtigem Trommelſchall abmarſchirte, in die ſonnige Stille hinaus, die über dem Fort lagerte. Als ich die Schanze erſtiegen hatte, that ſich hinter den Pulver¬ magazinen ein freier Wieſengrund meinen Blicken auf. Dort erhob ſich, ziemlich zurückgezogen, die Kirche, das blinkende Meſſingkreuz auf dem Giebel von weißen Tauben umflattert. Den Friedhof konnte ich nicht gewahr werden; er mußte durch das angrenzende Prieſterhaus verdeckt ſein, das ziemlich düſter aus einer niederen Lindenumpflanzung hervorſah. In einiger Entfernung ſchräg gegenüber ſtand ein ebenerdiges Häuschen. Die gelb angeſtrichenen Thüren und Fenſterrahmen kennzeich¬ neten es als militäriſches Gebäude; im Uebrigen ſah es ganz wie eine kleine Bauernwirthſchaft aus. Schiebkarren, Hauen und Schaufeln lehnten in der Nähe einer Ciſterne an der Mauer, und rückwärts war, kunſtlos umzäunt, ein Gärtchen angelegt, in welchem roth und weiß die Apfelblüthen ſchim¬ merten. Zwiſchen dieſem Häuschen und der Kirche ſchlängelte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/21
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/21>, abgerufen am 21.11.2024.