Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

bischen ausgelassen sein. In einer sternhellen Februarnacht
machte ich mich auf den Weg. Kaum aber hatte ich die er¬
leuchteten Säle einige Male durchschritten, als ich mich voll¬
ständig enttäuscht fühlte. Sprudelnde, entfesselte Lebensfreu¬
digkeit hatte ich erwartet und fand nichts als öde Stumpfheit,
die sich zur Aufmunterung bisweilen selbst mit den Fäusten
der Gemeinheit in die Rippen stieß. Nicht einmal die Strauß'¬
schen Walzer waren im Stande, die Tanzenden zu befeuern,
deren größtentheils plumpe und ungelenke Bewegungen Lächeln
und Mitleid erregten. Reizlose Weiber in verschossenen Mas¬
kenanzügen zwangen sich zu lahmen Spässen und wenn hier
und dort ein feinerer Wuchs, ein geschmackvolleres Costüm im
Gewühl auftauchte, so gehörten sie Frauen an, die sich, in
männlicher Begleitung, mehr zusehend, als theilnehmend ver¬
hielten. Zudem war es unerträglich heiß und so suchte ich
bald jene Nebenräume auf, welche theils als Speisezimmer,
theils als Schauplätze für kleine dramatische Vorstellungen und
sonstige Erlustigungen benutzt wurden. In einem derselben
ließ sich vor nicht sehr zahlreichem, aber gewählterem Publicum
ohne Maske ein sogenanntes Damentrio hören. Ich setzte
mich an einen der Tische, die vor der niederen Bühne ange¬
bracht waren, bestellte eine Erfrischung und ließ mich, mi߬
muthig wie ich war, von den Klängen umrauschen, ohne ihnen
Aufmerksamkeit zu schenken. Nach und nach aber wurde ich
unwillkürlich gefesselt. Es waren Musikstücke edlerer Art, die

bischen ausgelaſſen ſein. In einer ſternhellen Februarnacht
machte ich mich auf den Weg. Kaum aber hatte ich die er¬
leuchteten Säle einige Male durchſchritten, als ich mich voll¬
ſtändig enttäuſcht fühlte. Sprudelnde, entfeſſelte Lebensfreu¬
digkeit hatte ich erwartet und fand nichts als öde Stumpfheit,
die ſich zur Aufmunterung bisweilen ſelbſt mit den Fäuſten
der Gemeinheit in die Rippen ſtieß. Nicht einmal die Strauß'¬
ſchen Walzer waren im Stande, die Tanzenden zu befeuern,
deren größtentheils plumpe und ungelenke Bewegungen Lächeln
und Mitleid erregten. Reizloſe Weiber in verſchoſſenen Mas¬
kenanzügen zwangen ſich zu lahmen Späſſen und wenn hier
und dort ein feinerer Wuchs, ein geſchmackvolleres Coſtüm im
Gewühl auftauchte, ſo gehörten ſie Frauen an, die ſich, in
männlicher Begleitung, mehr zuſehend, als theilnehmend ver¬
hielten. Zudem war es unerträglich heiß und ſo ſuchte ich
bald jene Nebenräume auf, welche theils als Speiſezimmer,
theils als Schauplätze für kleine dramatiſche Vorſtellungen und
ſonſtige Erluſtigungen benutzt wurden. In einem derſelben
ließ ſich vor nicht ſehr zahlreichem, aber gewählterem Publicum
ohne Maske ein ſogenanntes Damentrio hören. Ich ſetzte
mich an einen der Tiſche, die vor der niederen Bühne ange¬
bracht waren, beſtellte eine Erfriſchung und ließ mich, mi߬
muthig wie ich war, von den Klängen umrauſchen, ohne ihnen
Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Nach und nach aber wurde ich
unwillkürlich gefeſſelt. Es waren Muſikſtücke edlerer Art, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0216" n="200"/>
bischen ausgela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ein. In einer &#x017F;ternhellen Februarnacht<lb/>
machte ich mich auf den Weg. Kaum aber hatte ich die er¬<lb/>
leuchteten Säle einige Male durch&#x017F;chritten, als ich mich voll¬<lb/>
&#x017F;tändig enttäu&#x017F;cht fühlte. Sprudelnde, entfe&#x017F;&#x017F;elte Lebensfreu¬<lb/>
digkeit hatte ich erwartet und fand nichts als öde Stumpfheit,<lb/>
die &#x017F;ich zur Aufmunterung bisweilen &#x017F;elb&#x017F;t mit den Fäu&#x017F;ten<lb/>
der Gemeinheit in die Rippen &#x017F;tieß. Nicht einmal die Strauß'¬<lb/>
&#x017F;chen Walzer waren im Stande, die Tanzenden zu befeuern,<lb/>
deren größtentheils plumpe und ungelenke Bewegungen Lächeln<lb/>
und Mitleid erregten. Reizlo&#x017F;e Weiber in ver&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enen Mas¬<lb/>
kenanzügen zwangen &#x017F;ich zu lahmen Spä&#x017F;&#x017F;en und wenn hier<lb/>
und dort ein feinerer Wuchs, ein ge&#x017F;chmackvolleres Co&#x017F;tüm im<lb/>
Gewühl auftauchte, &#x017F;o gehörten &#x017F;ie Frauen an, die &#x017F;ich, in<lb/>
männlicher Begleitung, mehr zu&#x017F;ehend, als theilnehmend ver¬<lb/>
hielten. Zudem war es unerträglich heiß und &#x017F;o &#x017F;uchte ich<lb/>
bald jene Nebenräume auf, welche theils als Spei&#x017F;ezimmer,<lb/>
theils als Schauplätze für kleine dramati&#x017F;che Vor&#x017F;tellungen und<lb/>
&#x017F;on&#x017F;tige Erlu&#x017F;tigungen benutzt wurden. In einem der&#x017F;elben<lb/>
ließ &#x017F;ich vor nicht &#x017F;ehr zahlreichem, aber gewählterem Publicum<lb/>
ohne Maske ein &#x017F;ogenanntes Damentrio hören. Ich &#x017F;etzte<lb/>
mich an einen der Ti&#x017F;che, die vor der niederen Bühne ange¬<lb/>
bracht waren, be&#x017F;tellte eine Erfri&#x017F;chung und ließ mich, mi߬<lb/>
muthig wie ich war, von den Klängen umrau&#x017F;chen, ohne ihnen<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit zu &#x017F;chenken. Nach und nach aber wurde ich<lb/>
unwillkürlich gefe&#x017F;&#x017F;elt. Es waren Mu&#x017F;ik&#x017F;tücke edlerer Art, die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0216] bischen ausgelaſſen ſein. In einer ſternhellen Februarnacht machte ich mich auf den Weg. Kaum aber hatte ich die er¬ leuchteten Säle einige Male durchſchritten, als ich mich voll¬ ſtändig enttäuſcht fühlte. Sprudelnde, entfeſſelte Lebensfreu¬ digkeit hatte ich erwartet und fand nichts als öde Stumpfheit, die ſich zur Aufmunterung bisweilen ſelbſt mit den Fäuſten der Gemeinheit in die Rippen ſtieß. Nicht einmal die Strauß'¬ ſchen Walzer waren im Stande, die Tanzenden zu befeuern, deren größtentheils plumpe und ungelenke Bewegungen Lächeln und Mitleid erregten. Reizloſe Weiber in verſchoſſenen Mas¬ kenanzügen zwangen ſich zu lahmen Späſſen und wenn hier und dort ein feinerer Wuchs, ein geſchmackvolleres Coſtüm im Gewühl auftauchte, ſo gehörten ſie Frauen an, die ſich, in männlicher Begleitung, mehr zuſehend, als theilnehmend ver¬ hielten. Zudem war es unerträglich heiß und ſo ſuchte ich bald jene Nebenräume auf, welche theils als Speiſezimmer, theils als Schauplätze für kleine dramatiſche Vorſtellungen und ſonſtige Erluſtigungen benutzt wurden. In einem derſelben ließ ſich vor nicht ſehr zahlreichem, aber gewählterem Publicum ohne Maske ein ſogenanntes Damentrio hören. Ich ſetzte mich an einen der Tiſche, die vor der niederen Bühne ange¬ bracht waren, beſtellte eine Erfriſchung und ließ mich, mi߬ muthig wie ich war, von den Klängen umrauſchen, ohne ihnen Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Nach und nach aber wurde ich unwillkürlich gefeſſelt. Es waren Muſikſtücke edlerer Art, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/216
Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/216>, abgerufen am 27.11.2024.