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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Brust; ihm gegenüber der Knabe, das große Kindesauge
ängstlich und verschüchtert auf mich richtend. Ich segnete die
Anwesenden und trat dann zur Kranken, die, wie es schien,
bewußtlos, im heftigen Fieber lag. Sie bewegte unruhig
Kopf und Arme, und murmelte unverständliche Worte vor
sich hin. Es fiel mir auf, daß man fast gewaltsam eine Menge
Bettzeug auf sie gehäuft hatte, was die verzehrende Fieber¬
gluth des Weibes nur noch steigern mußte. Auch waren die
Fenster geschlossen und in der Stube lagerte die Luft schwül
und dunstig. Ich wandte mich an den Zeugwart mit der
Frage, wann und unter welchen Umständen die Krankheit
ausgebrochen sei, und ob man keinen Arzt zu Rathe gezogen?
Hierauf nahm aber gleich das Mädchen das Wort und sagte
unter leisem Schluchzen, daß die Mutter schon gestern über
Mattigkeit und Kopfschmerz geklagt und die Nacht sehr un¬
ruhig zugebracht habe. Sie hätten einen Chirurgen holen
lassen; dieser habe schweißbringende Mittel und Verwahrung
vor Luftzug verordnet und schon für den nächsten Tag Besse¬
rung in Aussicht gestellt. Statt dessen sei jedoch die Mutter
von Stunde zu Stunde kränker geworden, und sie hätten sich
nicht zu rathen noch zu helfen gewußt.

Da ich in dem Zustande der Kranken typhöse Erschei¬
nungen erkannte, so machte ich Vater und Tochter auf das
Verkehrte dieser Behandlungsweise aufmerksam und erbot
mich, falls man mir Vertrauen schenkte, der Kranken Erleich¬

Bruſt; ihm gegenüber der Knabe, das große Kindesauge
ängſtlich und verſchüchtert auf mich richtend. Ich ſegnete die
Anweſenden und trat dann zur Kranken, die, wie es ſchien,
bewußtlos, im heftigen Fieber lag. Sie bewegte unruhig
Kopf und Arme, und murmelte unverſtändliche Worte vor
ſich hin. Es fiel mir auf, daß man faſt gewaltſam eine Menge
Bettzeug auf ſie gehäuft hatte, was die verzehrende Fieber¬
gluth des Weibes nur noch ſteigern mußte. Auch waren die
Fenſter geſchloſſen und in der Stube lagerte die Luft ſchwül
und dunſtig. Ich wandte mich an den Zeugwart mit der
Frage, wann und unter welchen Umſtänden die Krankheit
ausgebrochen ſei, und ob man keinen Arzt zu Rathe gezogen?
Hierauf nahm aber gleich das Mädchen das Wort und ſagte
unter leiſem Schluchzen, daß die Mutter ſchon geſtern über
Mattigkeit und Kopfſchmerz geklagt und die Nacht ſehr un¬
ruhig zugebracht habe. Sie hätten einen Chirurgen holen
laſſen; dieſer habe ſchweißbringende Mittel und Verwahrung
vor Luftzug verordnet und ſchon für den nächſten Tag Beſſe¬
rung in Ausſicht geſtellt. Statt deſſen ſei jedoch die Mutter
von Stunde zu Stunde kränker geworden, und ſie hätten ſich
nicht zu rathen noch zu helfen gewußt.

Da ich in dem Zuſtande der Kranken typhöſe Erſchei¬
nungen erkannte, ſo machte ich Vater und Tochter auf das
Verkehrte dieſer Behandlungsweiſe aufmerkſam und erbot
mich, falls man mir Vertrauen ſchenkte, der Kranken Erleich¬

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[45/0061] Bruſt; ihm gegenüber der Knabe, das große Kindesauge ängſtlich und verſchüchtert auf mich richtend. Ich ſegnete die Anweſenden und trat dann zur Kranken, die, wie es ſchien, bewußtlos, im heftigen Fieber lag. Sie bewegte unruhig Kopf und Arme, und murmelte unverſtändliche Worte vor ſich hin. Es fiel mir auf, daß man faſt gewaltſam eine Menge Bettzeug auf ſie gehäuft hatte, was die verzehrende Fieber¬ gluth des Weibes nur noch ſteigern mußte. Auch waren die Fenſter geſchloſſen und in der Stube lagerte die Luft ſchwül und dunſtig. Ich wandte mich an den Zeugwart mit der Frage, wann und unter welchen Umſtänden die Krankheit ausgebrochen ſei, und ob man keinen Arzt zu Rathe gezogen? Hierauf nahm aber gleich das Mädchen das Wort und ſagte unter leiſem Schluchzen, daß die Mutter ſchon geſtern über Mattigkeit und Kopfſchmerz geklagt und die Nacht ſehr un¬ ruhig zugebracht habe. Sie hätten einen Chirurgen holen laſſen; dieſer habe ſchweißbringende Mittel und Verwahrung vor Luftzug verordnet und ſchon für den nächſten Tag Beſſe¬ rung in Ausſicht geſtellt. Statt deſſen ſei jedoch die Mutter von Stunde zu Stunde kränker geworden, und ſie hätten ſich nicht zu rathen noch zu helfen gewußt. Da ich in dem Zuſtande der Kranken typhöſe Erſchei¬ nungen erkannte, ſo machte ich Vater und Tochter auf das Verkehrte dieſer Behandlungsweiſe aufmerkſam und erbot mich, falls man mir Vertrauen ſchenkte, der Kranken Erleich¬

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/61>, abgerufen am 14.05.2024.