genlider senkte, nach und ging zu Bette, während draußen die Donner zu rollen anfingen und ein erquickender Regen über die Erde niederging. --
Der folgende Tag ließ sich recht unfreundlich an und blieb es. Ich aber fühlte mich nach einem langen und tiefen Schlafe wunderbar gestärkt und ging in den Friedhof hinab, wo ich dem Kirchendiener, der hier zugleich Todtengräber ist, zusah, wie er für die Verstorbene ein Grab aufwarf. Zur bestimmten Stunde fand ich mich in dem Hause des Gro߬ händlers ein. Dort wurde ich in einen schwarzausgeschlagenen Empfangssaal geführt, wo bereits eine Menge von Leidtragen¬ den versammelt war. In der Mitte des Saales, vom Scheine leis flackernder Wachskerzen beleuchtet, lag die Todte in einem offenen Sarge, weißgekleidet, den Brautkranz im Haar. Ein junger Mann hatte sich mit verstörten Mienen über sie ge¬ worfen und benetzte ihr bleiches Antlitz und ihre starren Hände mit heißen Thränen und Küssen. Als man jetzt Anstalten traf, den Sarg zu schließen, wollte er dies durchaus nicht zu¬ geben. Er wehrte die Männer, die mit dem Deckel nahten, ab und rief mit herzzerreißender Stimme: "Nein! Ich lasse sie nicht forttragen! Ich lasse sie nicht in die kalte, finstere Erde versenken!" Umsonst beschworen ihn seine Angehörigen und Freunde, sich zu fassen; umsonst sprach ihm der Pfarrer von Sankt Carl, ein kleiner, wohlbeleibter Herr, in salbungs¬ vollen Worten Trost zu: er wollte nichts hören und mußte
genlider ſenkte, nach und ging zu Bette, während draußen die Donner zu rollen anfingen und ein erquickender Regen über die Erde niederging. —
Der folgende Tag ließ ſich recht unfreundlich an und blieb es. Ich aber fühlte mich nach einem langen und tiefen Schlafe wunderbar geſtärkt und ging in den Friedhof hinab, wo ich dem Kirchendiener, der hier zugleich Todtengräber iſt, zuſah, wie er für die Verſtorbene ein Grab aufwarf. Zur beſtimmten Stunde fand ich mich in dem Hauſe des Gro߬ händlers ein. Dort wurde ich in einen ſchwarzausgeſchlagenen Empfangsſaal geführt, wo bereits eine Menge von Leidtragen¬ den verſammelt war. In der Mitte des Saales, vom Scheine leis flackernder Wachskerzen beleuchtet, lag die Todte in einem offenen Sarge, weißgekleidet, den Brautkranz im Haar. Ein junger Mann hatte ſich mit verſtörten Mienen über ſie ge¬ worfen und benetzte ihr bleiches Antlitz und ihre ſtarren Hände mit heißen Thränen und Küſſen. Als man jetzt Anſtalten traf, den Sarg zu ſchließen, wollte er dies durchaus nicht zu¬ geben. Er wehrte die Männer, die mit dem Deckel nahten, ab und rief mit herzzerreißender Stimme: „Nein! Ich laſſe ſie nicht forttragen! Ich laſſe ſie nicht in die kalte, finſtere Erde verſenken!“ Umſonſt beſchworen ihn ſeine Angehörigen und Freunde, ſich zu faſſen; umſonſt ſprach ihm der Pfarrer von Sankt Carl, ein kleiner, wohlbeleibter Herr, in ſalbungs¬ vollen Worten Troſt zu: er wollte nichts hören und mußte
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genlider ſenkte, nach und ging zu Bette, während draußen die
Donner zu rollen anfingen und ein erquickender Regen über
die Erde niederging. —
Der folgende Tag ließ ſich recht unfreundlich an und
blieb es. Ich aber fühlte mich nach einem langen und tiefen
Schlafe wunderbar geſtärkt und ging in den Friedhof hinab,
wo ich dem Kirchendiener, der hier zugleich Todtengräber iſt,
zuſah, wie er für die Verſtorbene ein Grab aufwarf. Zur
beſtimmten Stunde fand ich mich in dem Hauſe des Gro߬
händlers ein. Dort wurde ich in einen ſchwarzausgeſchlagenen
Empfangsſaal geführt, wo bereits eine Menge von Leidtragen¬
den verſammelt war. In der Mitte des Saales, vom Scheine
leis flackernder Wachskerzen beleuchtet, lag die Todte in einem
offenen Sarge, weißgekleidet, den Brautkranz im Haar. Ein
junger Mann hatte ſich mit verſtörten Mienen über ſie ge¬
worfen und benetzte ihr bleiches Antlitz und ihre ſtarren Hände
mit heißen Thränen und Küſſen. Als man jetzt Anſtalten
traf, den Sarg zu ſchließen, wollte er dies durchaus nicht zu¬
geben. Er wehrte die Männer, die mit dem Deckel nahten,
ab und rief mit herzzerreißender Stimme: „Nein! Ich laſſe
ſie nicht forttragen! Ich laſſe ſie nicht in die kalte, finſtere
Erde verſenken!“ Umſonſt beſchworen ihn ſeine Angehörigen
und Freunde, ſich zu faſſen; umſonſt ſprach ihm der Pfarrer
von Sankt Carl, ein kleiner, wohlbeleibter Herr, in ſalbungs¬
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/79>, abgerufen am 24.11.2024.
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