Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in die Schlucht, dort war an ein Ausweichen nicht zu denken. Die Wände fielen nur so gleich ab, steil, steinhart. Oben standen die Bäume, aber keiner ließ seine Wurzel so weit herab, daß man sie mit der Hand erreichen und sich hinaufschwingen konnte. Er kann nicht ausweichen -- und er kehrt auch nicht um -- und ich auch nicht! So stehe ich denn und erwarte ihn. Waren Sie je einsam? -- Wissen Sie, was das heißt, Jemand erwarten? -- Hier aber stand ich im einsamen Urwald, und ein Bär war es, den ich erwartete. Komische Vorsicht, kopflose Klugheit der Aufregung! Da stieß ich noch einmal meinen Ladstock in den Lauf, damit die Kugel festsitze. Ich weiß nicht, wie lange ich gewartet. Es war einsam, unendlich einsam. Da raschelt das Laub hoch oben in der Schlucht. Schritt für Schritt, wie die schweren Stiefel eines Bauern. Jetzt brummt er vor sich hin. Da ist er. Er sieht mich und hält stille. Ich trete noch einen Schritt vor und spanne -- was spannen? -- will den Hahn spannen. Greife herum, finde nicht -- kein Hahn an der Flinte! Ich mache nur das Kreuz, werfe den Rock ab, wickle ihn um den linken Arm. -- Der Bär kommt auch schon. in die Schlucht, dort war an ein Ausweichen nicht zu denken. Die Wände fielen nur so gleich ab, steil, steinhart. Oben standen die Bäume, aber keiner ließ seine Wurzel so weit herab, daß man sie mit der Hand erreichen und sich hinaufschwingen konnte. Er kann nicht ausweichen — und er kehrt auch nicht um — und ich auch nicht! So stehe ich denn und erwarte ihn. Waren Sie je einsam? — Wissen Sie, was das heißt, Jemand erwarten? — Hier aber stand ich im einsamen Urwald, und ein Bär war es, den ich erwartete. Komische Vorsicht, kopflose Klugheit der Aufregung! Da stieß ich noch einmal meinen Ladstock in den Lauf, damit die Kugel festsitze. Ich weiß nicht, wie lange ich gewartet. Es war einsam, unendlich einsam. Da raschelt das Laub hoch oben in der Schlucht. Schritt für Schritt, wie die schweren Stiefel eines Bauern. Jetzt brummt er vor sich hin. Da ist er. Er sieht mich und hält stille. Ich trete noch einen Schritt vor und spanne — was spannen? — will den Hahn spannen. Greife herum, finde nicht — kein Hahn an der Flinte! Ich mache nur das Kreuz, werfe den Rock ab, wickle ihn um den linken Arm. — Der Bär kommt auch schon. <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0040"/> in die Schlucht, dort war an ein Ausweichen nicht zu denken. Die Wände fielen nur so gleich ab, steil, steinhart. Oben standen die Bäume, aber keiner ließ seine Wurzel so weit herab, daß man sie mit der Hand erreichen und sich hinaufschwingen konnte.</p><lb/> <p>Er kann nicht ausweichen — und er kehrt auch nicht um — und ich auch nicht!</p><lb/> <p>So stehe ich denn und erwarte ihn.</p><lb/> <p>Waren Sie je einsam? — Wissen Sie, was das heißt, Jemand erwarten? — Hier aber stand ich im einsamen Urwald, und ein Bär war es, den ich erwartete.</p><lb/> <p>Komische Vorsicht, kopflose Klugheit der Aufregung! Da stieß ich noch einmal meinen Ladstock in den Lauf, damit die Kugel festsitze.</p><lb/> <p>Ich weiß nicht, wie lange ich gewartet.</p><lb/> <p>Es war einsam, unendlich einsam.</p><lb/> <p>Da raschelt das Laub hoch oben in der Schlucht. Schritt für Schritt, wie die schweren Stiefel eines Bauern. Jetzt brummt er vor sich hin.</p><lb/> <p>Da ist er.</p><lb/> <p>Er sieht mich und hält stille.</p><lb/> <p>Ich trete noch einen Schritt vor und spanne — was spannen? — will den Hahn spannen. Greife herum, finde nicht — kein Hahn an der Flinte!</p><lb/> <p>Ich mache nur das Kreuz, werfe den Rock ab, wickle ihn um den linken Arm. — Der Bär kommt auch schon.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
in die Schlucht, dort war an ein Ausweichen nicht zu denken. Die Wände fielen nur so gleich ab, steil, steinhart. Oben standen die Bäume, aber keiner ließ seine Wurzel so weit herab, daß man sie mit der Hand erreichen und sich hinaufschwingen konnte.
Er kann nicht ausweichen — und er kehrt auch nicht um — und ich auch nicht!
So stehe ich denn und erwarte ihn.
Waren Sie je einsam? — Wissen Sie, was das heißt, Jemand erwarten? — Hier aber stand ich im einsamen Urwald, und ein Bär war es, den ich erwartete.
Komische Vorsicht, kopflose Klugheit der Aufregung! Da stieß ich noch einmal meinen Ladstock in den Lauf, damit die Kugel festsitze.
Ich weiß nicht, wie lange ich gewartet.
Es war einsam, unendlich einsam.
Da raschelt das Laub hoch oben in der Schlucht. Schritt für Schritt, wie die schweren Stiefel eines Bauern. Jetzt brummt er vor sich hin.
Da ist er.
Er sieht mich und hält stille.
Ich trete noch einen Schritt vor und spanne — was spannen? — will den Hahn spannen. Greife herum, finde nicht — kein Hahn an der Flinte!
Ich mache nur das Kreuz, werfe den Rock ab, wickle ihn um den linken Arm. — Der Bär kommt auch schon.
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/40>, abgerufen am 16.07.2024. |