Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Er hustete und las dann: Was ist unser Leben? -- Leiden, Zweifel, Angst, Verzweiflung. Weißt du, woher du kommst? Wer du bist? Wohin du gehst? Und keine Gewalt zu haben über die Natur, und keine Antwort zu bekommen auf diese arme, verzweifelte Frage! Unsere ganze Weisheit ist zuletzt der Selbstmord. Aber die Natur hat uns ein Leiden gegeben, noch entsetzlicher als das Leben, -- die Liebe! Die Menschen nennen sie Freude, Wollust! Mein Freund pflegte bei diesen Worten immer bitterlich zu lachen. -- Sieh den Wolf an, sagte er mir, wenn er sein Weib sucht; wie er durch das Dickicht bricht, das Wasser rinnt ihm nur vom Maul -- er heult nicht einmal mehr, er winselt nur noch, und seine Liebe, ist das Genuß? -- Das ist ein Kampf, ein Kampf wie um das Leben, das Blut rinnt ihm vom Nacken. Mein Gott! Möchte der Mann sich nicht auch auf das Weib werfen, wie auf den Feind? Fühlt er sich nicht endlich wie unterworfen einem unbarmherzigen Feinde? Legt er dem Weibe nicht den stolzen Kopf vor die Füße und fleht: Trete mich, trete mich mit deinem Fuße, ich will dein Sclave sein, dein Knecht, aber komm, erlöse mich! Ja, die Liebe ist ein Leiden, der Genuß -- Er- Er hustete und las dann: Was ist unser Leben? — Leiden, Zweifel, Angst, Verzweiflung. Weißt du, woher du kommst? Wer du bist? Wohin du gehst? Und keine Gewalt zu haben über die Natur, und keine Antwort zu bekommen auf diese arme, verzweifelte Frage! Unsere ganze Weisheit ist zuletzt der Selbstmord. Aber die Natur hat uns ein Leiden gegeben, noch entsetzlicher als das Leben, — die Liebe! Die Menschen nennen sie Freude, Wollust! Mein Freund pflegte bei diesen Worten immer bitterlich zu lachen. — Sieh den Wolf an, sagte er mir, wenn er sein Weib sucht; wie er durch das Dickicht bricht, das Wasser rinnt ihm nur vom Maul — er heult nicht einmal mehr, er winselt nur noch, und seine Liebe, ist das Genuß? — Das ist ein Kampf, ein Kampf wie um das Leben, das Blut rinnt ihm vom Nacken. Mein Gott! Möchte der Mann sich nicht auch auf das Weib werfen, wie auf den Feind? Fühlt er sich nicht endlich wie unterworfen einem unbarmherzigen Feinde? Legt er dem Weibe nicht den stolzen Kopf vor die Füße und fleht: Trete mich, trete mich mit deinem Fuße, ich will dein Sclave sein, dein Knecht, aber komm, erlöse mich! Ja, die Liebe ist ein Leiden, der Genuß — Er- <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0055"/> <p>Er hustete und las dann:</p><lb/> <p>Was ist unser Leben? — Leiden, Zweifel, Angst, Verzweiflung. Weißt du, woher du kommst? Wer du bist? Wohin du gehst?</p><lb/> <p>Und keine Gewalt zu haben über die Natur, und keine Antwort zu bekommen auf diese arme, verzweifelte Frage! Unsere ganze Weisheit ist zuletzt der Selbstmord.</p><lb/> <p>Aber die Natur hat uns ein Leiden gegeben, noch entsetzlicher als das Leben, — die Liebe! Die Menschen nennen sie Freude, Wollust!</p><lb/> <p>Mein Freund pflegte bei diesen Worten immer bitterlich zu lachen. — Sieh den Wolf an, sagte er mir, wenn er sein Weib sucht; wie er durch das Dickicht bricht, das Wasser rinnt ihm nur vom Maul — er heult nicht einmal mehr, er winselt nur noch, und seine Liebe, ist das Genuß? — Das ist ein Kampf, ein Kampf wie um das Leben, das Blut rinnt ihm vom Nacken.</p><lb/> <p>Mein Gott! Möchte der Mann sich nicht auch auf das Weib werfen, wie auf den Feind? Fühlt er sich nicht endlich wie unterworfen einem unbarmherzigen Feinde?</p><lb/> <p>Legt er dem Weibe nicht den stolzen Kopf vor die Füße und fleht: Trete mich, trete mich mit deinem Fuße, ich will dein Sclave sein, dein Knecht, aber komm, erlöse mich!</p><lb/> <p>Ja, die Liebe ist ein Leiden, der Genuß — Er-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
Er hustete und las dann:
Was ist unser Leben? — Leiden, Zweifel, Angst, Verzweiflung. Weißt du, woher du kommst? Wer du bist? Wohin du gehst?
Und keine Gewalt zu haben über die Natur, und keine Antwort zu bekommen auf diese arme, verzweifelte Frage! Unsere ganze Weisheit ist zuletzt der Selbstmord.
Aber die Natur hat uns ein Leiden gegeben, noch entsetzlicher als das Leben, — die Liebe! Die Menschen nennen sie Freude, Wollust!
Mein Freund pflegte bei diesen Worten immer bitterlich zu lachen. — Sieh den Wolf an, sagte er mir, wenn er sein Weib sucht; wie er durch das Dickicht bricht, das Wasser rinnt ihm nur vom Maul — er heult nicht einmal mehr, er winselt nur noch, und seine Liebe, ist das Genuß? — Das ist ein Kampf, ein Kampf wie um das Leben, das Blut rinnt ihm vom Nacken.
Mein Gott! Möchte der Mann sich nicht auch auf das Weib werfen, wie auf den Feind? Fühlt er sich nicht endlich wie unterworfen einem unbarmherzigen Feinde?
Legt er dem Weibe nicht den stolzen Kopf vor die Füße und fleht: Trete mich, trete mich mit deinem Fuße, ich will dein Sclave sein, dein Knecht, aber komm, erlöse mich!
Ja, die Liebe ist ein Leiden, der Genuß — Er-
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/55>, abgerufen am 16.07.2024. |