Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Man fühlt wie einen Haß gegen die Gewalt des Anderen. Man glaubt sich todt. Man will sich auflehnen gegen die Tyrannei des fremden Lebens, sich wiederfinden in sich selbst. Das ist die Auferstehung der Natur! Er suchte einen zweiten Papierfetzen hervor. Der Mann hat seine Arbeit, seine Absichten, seine Unternehmung, seine Ideen! Sie schweben um ihn mit Taubenflügeln, sie heben ihn mit Adlersfittichen. Sie lassen ihn nicht versinken. Aber das Weib? Das schreit nach Hilfe: Ich will nicht sterben! Es will nicht und keine Hilfe! Da trägt sie noch sein Ebenbild unter dem Herzen, fühlt wie es wächs't und sich bewegt -- lebt! -- da -- da hält sie's endlich in den Armen. Sie hebt es auf -- Wie ist ihr nun? Träumt sie? Da spricht das Kind zu ihr: Ich bin du und du lebst in mir. Sieh mich nur an! -- Ich rette dich. Sie hält das Kind an ihre Brust und ist gerettet. Nun pflegt sie sich, ihr Selbst, das sie verachtet und verstoßen, in dem Kinde, und sieht es groß werden auf ihrem Schooß und giebt sich hin und hängt sich ganz daran. Damit legte er die Gedankenfetzen seines Freundes zusammen und verbarg sie an seiner Brust. Dann Man fühlt wie einen Haß gegen die Gewalt des Anderen. Man glaubt sich todt. Man will sich auflehnen gegen die Tyrannei des fremden Lebens, sich wiederfinden in sich selbst. Das ist die Auferstehung der Natur! Er suchte einen zweiten Papierfetzen hervor. Der Mann hat seine Arbeit, seine Absichten, seine Unternehmung, seine Ideen! Sie schweben um ihn mit Taubenflügeln, sie heben ihn mit Adlersfittichen. Sie lassen ihn nicht versinken. Aber das Weib? Das schreit nach Hilfe: Ich will nicht sterben! Es will nicht und keine Hilfe! Da trägt sie noch sein Ebenbild unter dem Herzen, fühlt wie es wächs't und sich bewegt — lebt! — da — da hält sie's endlich in den Armen. Sie hebt es auf — Wie ist ihr nun? Träumt sie? Da spricht das Kind zu ihr: Ich bin du und du lebst in mir. Sieh mich nur an! — Ich rette dich. Sie hält das Kind an ihre Brust und ist gerettet. Nun pflegt sie sich, ihr Selbst, das sie verachtet und verstoßen, in dem Kinde, und sieht es groß werden auf ihrem Schooß und giebt sich hin und hängt sich ganz daran. Damit legte er die Gedankenfetzen seines Freundes zusammen und verbarg sie an seiner Brust. Dann <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0057"/> <p>Man fühlt wie einen Haß gegen die Gewalt des Anderen. Man glaubt sich todt. Man will sich auflehnen gegen die Tyrannei des fremden Lebens, sich wiederfinden in sich selbst.</p><lb/> <p>Das ist die Auferstehung der Natur!</p><lb/> <p>Er suchte einen zweiten Papierfetzen hervor.</p><lb/> <p>Der Mann hat seine Arbeit, seine Absichten, seine Unternehmung, seine Ideen!</p><lb/> <p>Sie schweben um ihn mit Taubenflügeln, sie heben ihn mit Adlersfittichen. Sie lassen ihn nicht versinken.</p><lb/> <p>Aber das Weib?</p><lb/> <p>Das schreit nach Hilfe: Ich will nicht sterben! Es will nicht und keine Hilfe!</p><lb/> <p>Da trägt sie noch sein Ebenbild unter dem Herzen, fühlt wie es wächs't und sich bewegt — lebt! — da — da hält sie's endlich in den Armen. Sie hebt es auf —</p><lb/> <p>Wie ist ihr nun?</p><lb/> <p>Träumt sie? Da spricht das Kind zu ihr: Ich bin du und du lebst in mir. Sieh mich nur an! — Ich rette dich.</p><lb/> <p>Sie hält das Kind an ihre Brust und ist gerettet.</p><lb/> <p>Nun pflegt sie sich, ihr Selbst, das sie verachtet und verstoßen, in dem Kinde, und sieht es groß werden auf ihrem Schooß und giebt sich hin und hängt sich ganz daran.</p><lb/> <p>Damit legte er die Gedankenfetzen seines Freundes zusammen und verbarg sie an seiner Brust. Dann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Man fühlt wie einen Haß gegen die Gewalt des Anderen. Man glaubt sich todt. Man will sich auflehnen gegen die Tyrannei des fremden Lebens, sich wiederfinden in sich selbst.
Das ist die Auferstehung der Natur!
Er suchte einen zweiten Papierfetzen hervor.
Der Mann hat seine Arbeit, seine Absichten, seine Unternehmung, seine Ideen!
Sie schweben um ihn mit Taubenflügeln, sie heben ihn mit Adlersfittichen. Sie lassen ihn nicht versinken.
Aber das Weib?
Das schreit nach Hilfe: Ich will nicht sterben! Es will nicht und keine Hilfe!
Da trägt sie noch sein Ebenbild unter dem Herzen, fühlt wie es wächs't und sich bewegt — lebt! — da — da hält sie's endlich in den Armen. Sie hebt es auf —
Wie ist ihr nun?
Träumt sie? Da spricht das Kind zu ihr: Ich bin du und du lebst in mir. Sieh mich nur an! — Ich rette dich.
Sie hält das Kind an ihre Brust und ist gerettet.
Nun pflegt sie sich, ihr Selbst, das sie verachtet und verstoßen, in dem Kinde, und sieht es groß werden auf ihrem Schooß und giebt sich hin und hängt sich ganz daran.
Damit legte er die Gedankenfetzen seines Freundes zusammen und verbarg sie an seiner Brust. Dann
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/57>, abgerufen am 16.07.2024. |