Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der matte blaue Rock deckt nicht die kleinen staubigen Füße, das schmutzige Hemd fällt halb von den Schultern. Um sie duftet es von Thymian; sie hat den Kopf in beiden Händen auf die Knie gestützt und starrt so vor sich. Ein Leuchtkäfer hat sich in ihr dunkles Haar gesetzt; das fließt nur ungekämmt aus dem rothen Kopftuch über den Rücken. Ihr Gesicht hebt sich von der Seite vom rothen Abendhimmel beinah dunkel ab, scharf, wie ausgeschnitten. Ihre Nase ist schwungvoll, fein, wie die eines Raubvogels, und wie ich sie anrufe, stößt sie auch einen Schrei aus, wie ein Gebirgsgeier, und ihre Augen zischen gegen mich auf, ihre Blicke schwimmen einen Augenblick wie Naphtaflammen über ihren Augen. Ihr Schrei tönt fort -- die steile Felswand giebt ihn zurück, der dichte Wald noch einmal, noch einmal das ferne Gebirge. -- Ich bin beinah erschrocken vor dem Weibe. Sie bückt sich und pflückt Thymian und zerrt das rothe Kopftuch über das rothbegossene Gesicht. Was ist dir? frage ich. Sie antwortet nicht, sondern gießt die melancholischen Töne einer Doma wie Thränen in die Luft. Was fehlt dir? sag' ich. Hast du einen Schmerz, eine Trauer? -- Sie schweigt. -- Nun, was hast du? Sie sieht mir ins Gesicht, lacht und läßt wieder die Der matte blaue Rock deckt nicht die kleinen staubigen Füße, das schmutzige Hemd fällt halb von den Schultern. Um sie duftet es von Thymian; sie hat den Kopf in beiden Händen auf die Knie gestützt und starrt so vor sich. Ein Leuchtkäfer hat sich in ihr dunkles Haar gesetzt; das fließt nur ungekämmt aus dem rothen Kopftuch über den Rücken. Ihr Gesicht hebt sich von der Seite vom rothen Abendhimmel beinah dunkel ab, scharf, wie ausgeschnitten. Ihre Nase ist schwungvoll, fein, wie die eines Raubvogels, und wie ich sie anrufe, stößt sie auch einen Schrei aus, wie ein Gebirgsgeier, und ihre Augen zischen gegen mich auf, ihre Blicke schwimmen einen Augenblick wie Naphtaflammen über ihren Augen. Ihr Schrei tönt fort — die steile Felswand giebt ihn zurück, der dichte Wald noch einmal, noch einmal das ferne Gebirge. — Ich bin beinah erschrocken vor dem Weibe. Sie bückt sich und pflückt Thymian und zerrt das rothe Kopftuch über das rothbegossene Gesicht. Was ist dir? frage ich. Sie antwortet nicht, sondern gießt die melancholischen Töne einer Doma wie Thränen in die Luft. Was fehlt dir? sag' ich. Hast du einen Schmerz, eine Trauer? — Sie schweigt. — Nun, was hast du? Sie sieht mir ins Gesicht, lacht und läßt wieder die <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0074"/> <p>Der matte blaue Rock deckt nicht die kleinen staubigen Füße, das schmutzige Hemd fällt halb von den Schultern.</p><lb/> <p>Um sie duftet es von Thymian; sie hat den Kopf in beiden Händen auf die Knie gestützt und starrt so vor sich. Ein Leuchtkäfer hat sich in ihr dunkles Haar gesetzt; das fließt nur ungekämmt aus dem rothen Kopftuch über den Rücken.</p><lb/> <p>Ihr Gesicht hebt sich von der Seite vom rothen Abendhimmel beinah dunkel ab, scharf, wie ausgeschnitten. Ihre Nase ist schwungvoll, fein, wie die eines Raubvogels, und wie ich sie anrufe, stößt sie auch einen Schrei aus, wie ein Gebirgsgeier, und ihre Augen zischen gegen mich auf, ihre Blicke schwimmen einen Augenblick wie Naphtaflammen über ihren Augen.</p><lb/> <p>Ihr Schrei tönt fort — die steile Felswand giebt ihn zurück, der dichte Wald noch einmal, noch einmal das ferne Gebirge. —</p><lb/> <p>Ich bin beinah erschrocken vor dem Weibe.</p><lb/> <p>Sie bückt sich und pflückt Thymian und zerrt das rothe Kopftuch über das rothbegossene Gesicht.</p><lb/> <p>Was ist dir? frage ich.</p><lb/> <p>Sie antwortet nicht, sondern gießt die melancholischen Töne einer Doma wie Thränen in die Luft.</p><lb/> <p>Was fehlt dir? sag' ich. Hast du einen Schmerz, eine Trauer? — Sie schweigt. — Nun, was hast du? Sie sieht mir ins Gesicht, lacht und läßt wieder die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Der matte blaue Rock deckt nicht die kleinen staubigen Füße, das schmutzige Hemd fällt halb von den Schultern.
Um sie duftet es von Thymian; sie hat den Kopf in beiden Händen auf die Knie gestützt und starrt so vor sich. Ein Leuchtkäfer hat sich in ihr dunkles Haar gesetzt; das fließt nur ungekämmt aus dem rothen Kopftuch über den Rücken.
Ihr Gesicht hebt sich von der Seite vom rothen Abendhimmel beinah dunkel ab, scharf, wie ausgeschnitten. Ihre Nase ist schwungvoll, fein, wie die eines Raubvogels, und wie ich sie anrufe, stößt sie auch einen Schrei aus, wie ein Gebirgsgeier, und ihre Augen zischen gegen mich auf, ihre Blicke schwimmen einen Augenblick wie Naphtaflammen über ihren Augen.
Ihr Schrei tönt fort — die steile Felswand giebt ihn zurück, der dichte Wald noch einmal, noch einmal das ferne Gebirge. —
Ich bin beinah erschrocken vor dem Weibe.
Sie bückt sich und pflückt Thymian und zerrt das rothe Kopftuch über das rothbegossene Gesicht.
Was ist dir? frage ich.
Sie antwortet nicht, sondern gießt die melancholischen Töne einer Doma wie Thränen in die Luft.
Was fehlt dir? sag' ich. Hast du einen Schmerz, eine Trauer? — Sie schweigt. — Nun, was hast du? Sie sieht mir ins Gesicht, lacht und läßt wieder die
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Zitationshilfe: | Sacher-Masoch, Leopold von: Don Juan von Kolomea. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 197–279. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sacher_kolomea_1910/74>, abgerufen am 16.07.2024. |