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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Bearbeitung des natürlichen Systems unter dem
Charaktere der wirklich natürlichen Gruppen ausschließlich in
morphologischen Merkmalen liegen, wird doch von Lindley der
Grundsatz ausgesprochen, für die Classification sei ein Merkmal
oder wie er unrichtig sagt, ein Organ um so wichtiger, einen
je höheren physiologischen Werth dasselbe für die Erhaltung und
Fortpflanzung des Individuums besitzt. Wäre dieser Satz richtig,
so wäre Nichts leichter, als ein natürliches System der Pflanzen
aufzustellen, man hätte dann eben nur nöthig, die Pflanzen
zunächst in chlorophyllfreie und chlorophyllhaltige einzutheilen,
denn es gibt kein Organ, dessen Existenz für die Ernährung,
dessen physiologische Bedeutung also eine so hervorragende wäre,
wie die des Chlorophylls; allerdings würden dann die chlorophyll-
freien Orchideen, die Orobanchen, die Cuscuta, Rafflesia u. a.
mit den Pilzen zusammen die eine Classe, alle übrigen Pflanzen
zusammen die andere bilden. Für die Existenz einer Pflanze ist
es demnächst sehr wichtig, ob ihre Organisation geeignet ist, sie
in Wasser, auf trockenem Land oder unterirdisch wachsen zu
lassen und wollte man Lindley beim Wort nehmen, so müßte
er seinem Princip zu Liebe die Algen, Rhizocarpeen, die Ballis-
nerien, Wasserranunkeln, Lemna u. s. w. in eine Abtheilung
bringen. Es ist ferner für die Existenz einer Pflanze sehr wichtig,
ob sie von selbst aufrecht wächst oder mit Ranken, schlingendem
Stamm oder sonstwie emporklettert und demgemäß würde man
nach Lindley's Grundsatz gewisse Farnkräuter, den Weinstock,
die Passifloren, manche Spargelgewächse u. dgl. in Eine Ordnung
zusammenstellen müssen. Es leuchtet sofort ein, daß sich auf
diese Weise Lindley's oberster Grundsatz der Systematik als
völlig sinnlos darstellt; nach diesem beurtheilt er nun aber auch
den systematischen Werth der anatomischen Eigenschaften, des
Embryo's und Endosperms, der Blumenkrone und Staubgefäße
überall die physiologische Wichtigkeit derselben betonend, die auch
bei diesen Theilen für die Systematik nur geringen Werth hat.
Dieses Verfahren Lindley's, verglichen mit seinem eigenen
System, welches neben manchen schweren Mißgriffen doch immerhin
ein morphologisch natürliches System ist, beweist, daß er ebenso

Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem
Charaktere der wirklich natürlichen Gruppen ausſchließlich in
morphologiſchen Merkmalen liegen, wird doch von Lindley der
Grundſatz ausgeſprochen, für die Claſſification ſei ein Merkmal
oder wie er unrichtig ſagt, ein Organ um ſo wichtiger, einen
je höheren phyſiologiſchen Werth dasſelbe für die Erhaltung und
Fortpflanzung des Individuums beſitzt. Wäre dieſer Satz richtig,
ſo wäre Nichts leichter, als ein natürliches Syſtem der Pflanzen
aufzuſtellen, man hätte dann eben nur nöthig, die Pflanzen
zunächſt in chlorophyllfreie und chlorophyllhaltige einzutheilen,
denn es gibt kein Organ, deſſen Exiſtenz für die Ernährung,
deſſen phyſiologiſche Bedeutung alſo eine ſo hervorragende wäre,
wie die des Chlorophylls; allerdings würden dann die chlorophyll-
freien Orchideen, die Orobanchen, die Cuscuta, Raffleſia u. a.
mit den Pilzen zuſammen die eine Claſſe, alle übrigen Pflanzen
zuſammen die andere bilden. Für die Exiſtenz einer Pflanze iſt
es demnächſt ſehr wichtig, ob ihre Organiſation geeignet iſt, ſie
in Waſſer, auf trockenem Land oder unterirdiſch wachſen zu
laſſen und wollte man Lindley beim Wort nehmen, ſo müßte
er ſeinem Princip zu Liebe die Algen, Rhizocarpeen, die Ballis-
nerien, Waſſerranunkeln, Lemna u. ſ. w. in eine Abtheilung
bringen. Es iſt ferner für die Exiſtenz einer Pflanze ſehr wichtig,
ob ſie von ſelbſt aufrecht wächſt oder mit Ranken, ſchlingendem
Stamm oder ſonſtwie emporklettert und demgemäß würde man
nach Lindley's Grundſatz gewiſſe Farnkräuter, den Weinſtock,
die Paſſifloren, manche Spargelgewächſe u. dgl. in Eine Ordnung
zuſammenſtellen müſſen. Es leuchtet ſofort ein, daß ſich auf
dieſe Weiſe Lindley's oberſter Grundſatz der Syſtematik als
völlig ſinnlos darſtellt; nach dieſem beurtheilt er nun aber auch
den ſyſtematiſchen Werth der anatomiſchen Eigenſchaften, des
Embryo's und Endoſperms, der Blumenkrone und Staubgefäße
überall die phyſiologiſche Wichtigkeit derſelben betonend, die auch
bei dieſen Theilen für die Syſtematik nur geringen Werth hat.
Dieſes Verfahren Lindley's, verglichen mit ſeinem eigenen
Syſtem, welches neben manchen ſchweren Mißgriffen doch immerhin
ein morphologiſch natürliches Syſtem iſt, beweiſt, daß er ebenſo

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[162/0174] Bearbeitung des natürlichen Syſtems unter dem Charaktere der wirklich natürlichen Gruppen ausſchließlich in morphologiſchen Merkmalen liegen, wird doch von Lindley der Grundſatz ausgeſprochen, für die Claſſification ſei ein Merkmal oder wie er unrichtig ſagt, ein Organ um ſo wichtiger, einen je höheren phyſiologiſchen Werth dasſelbe für die Erhaltung und Fortpflanzung des Individuums beſitzt. Wäre dieſer Satz richtig, ſo wäre Nichts leichter, als ein natürliches Syſtem der Pflanzen aufzuſtellen, man hätte dann eben nur nöthig, die Pflanzen zunächſt in chlorophyllfreie und chlorophyllhaltige einzutheilen, denn es gibt kein Organ, deſſen Exiſtenz für die Ernährung, deſſen phyſiologiſche Bedeutung alſo eine ſo hervorragende wäre, wie die des Chlorophylls; allerdings würden dann die chlorophyll- freien Orchideen, die Orobanchen, die Cuscuta, Raffleſia u. a. mit den Pilzen zuſammen die eine Claſſe, alle übrigen Pflanzen zuſammen die andere bilden. Für die Exiſtenz einer Pflanze iſt es demnächſt ſehr wichtig, ob ihre Organiſation geeignet iſt, ſie in Waſſer, auf trockenem Land oder unterirdiſch wachſen zu laſſen und wollte man Lindley beim Wort nehmen, ſo müßte er ſeinem Princip zu Liebe die Algen, Rhizocarpeen, die Ballis- nerien, Waſſerranunkeln, Lemna u. ſ. w. in eine Abtheilung bringen. Es iſt ferner für die Exiſtenz einer Pflanze ſehr wichtig, ob ſie von ſelbſt aufrecht wächſt oder mit Ranken, ſchlingendem Stamm oder ſonſtwie emporklettert und demgemäß würde man nach Lindley's Grundſatz gewiſſe Farnkräuter, den Weinſtock, die Paſſifloren, manche Spargelgewächſe u. dgl. in Eine Ordnung zuſammenſtellen müſſen. Es leuchtet ſofort ein, daß ſich auf dieſe Weiſe Lindley's oberſter Grundſatz der Syſtematik als völlig ſinnlos darſtellt; nach dieſem beurtheilt er nun aber auch den ſyſtematiſchen Werth der anatomiſchen Eigenſchaften, des Embryo's und Endoſperms, der Blumenkrone und Staubgefäße überall die phyſiologiſche Wichtigkeit derſelben betonend, die auch bei dieſen Theilen für die Syſtematik nur geringen Werth hat. Dieſes Verfahren Lindley's, verglichen mit ſeinem eigenen Syſtem, welches neben manchen ſchweren Mißgriffen doch immerhin ein morphologiſch natürliches Syſtem iſt, beweiſt, daß er ebenſo

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/174>, abgerufen am 21.11.2024.