konnten und wollten, den Weg; er schuf so zu sagen erst ein wissenschaftlich botanisches Publicum, welches im Stande war wissenschaftliches Verdienst von dilettantenhafter Spielerei zu unterscheiden. Wer von jetzt an mitreden wollte, mußte sich zu- sammennehmen, denn er wurde mit anderem Maß gemessen als bisher.
Schleiden, der seine Thätigkeit als Botaniker mit einigen wichtigen anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen eröffnet hatte, unter denen besonders die Ent- wicklungsgeschichte der Samenknospe vor der Befruchtung 1837 durch Inhalt und Darstellung werthvoll war, schrieb selbst ein umfangreiches Lehrbuch der gesammten Botanik, welches zuerst 1842 und 43, dann aber sehr verbessert 1845 und 46 (auch später noch zweimal) herauskam. Der Unterschied zwischen diesem Werk und allen vorhergehenden Lehrbüchern ist wie Tag und Nacht; jener gedankenlosen Trägheit gegenüber hier eine sprudelnde Fülle von Leben und Gedanken, die vor Allem gerade auf die Jugend um so mehr wirken mußte, als sie in sich selbst viel- fach unfertig und unvergohren war; auf jeder Seite dieses merk- würdigen Buches fand der Studirende neben wirklich wissens- werthen Thatsachen interessante Reflexionen, lebhafte, meist grobe Polemik, Lob und Tadel gegen Andere. Es war kein Lehrbuch aus dem sich ruhig und behaglich studiren ließ, welches aber den Studirenden überall anregte, Parthei für oder wider zu nehmen und weitere Belehrung zu suchen.
Das erwähnte Lehrbuch wird gewöhnlich unter dem Titel "Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik" citirt; sein Haupt- titel aber ist: "Die Botanik als inductive Wissenschaft", womit sofort der Punct bezeichnet ist, auf welchen Schleiden das Haupt- gewicht legte. Es kam ihm vor Allem darauf an, die in den Lehrbüchern so sehr verunstaltete Wissenschaft, die kaum noch eine Aehnlichkeit mit einer Naturwissenschaft hatte, auf Eine Linie zu stellen mit der Physik und der Chemie, in denen bisher vor- wiegend der Geist ächter inductiver Naturforschung zur Geltung gekommen war im Gegensatz zu der Naturphilosophie der letzt vergangener Jahrzehnte. Es mag uns jetzt sonderbar vorkommen,
Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
konnten und wollten, den Weg; er ſchuf ſo zu ſagen erſt ein wiſſenſchaftlich botaniſches Publicum, welches im Stande war wiſſenſchaftliches Verdienſt von dilettantenhafter Spielerei zu unterſcheiden. Wer von jetzt an mitreden wollte, mußte ſich zu- ſammennehmen, denn er wurde mit anderem Maß gemeſſen als bisher.
Schleiden, der ſeine Thätigkeit als Botaniker mit einigen wichtigen anatomiſchen und entwicklungsgeſchichtlichen Unterſuchungen eröffnet hatte, unter denen beſonders die Ent- wicklungsgeſchichte der Samenknoſpe vor der Befruchtung 1837 durch Inhalt und Darſtellung werthvoll war, ſchrieb ſelbſt ein umfangreiches Lehrbuch der geſammten Botanik, welches zuerſt 1842 und 43, dann aber ſehr verbeſſert 1845 und 46 (auch ſpäter noch zweimal) herauskam. Der Unterſchied zwiſchen dieſem Werk und allen vorhergehenden Lehrbüchern iſt wie Tag und Nacht; jener gedankenloſen Trägheit gegenüber hier eine ſprudelnde Fülle von Leben und Gedanken, die vor Allem gerade auf die Jugend um ſo mehr wirken mußte, als ſie in ſich ſelbſt viel- fach unfertig und unvergohren war; auf jeder Seite dieſes merk- würdigen Buches fand der Studirende neben wirklich wiſſens- werthen Thatſachen intereſſante Reflexionen, lebhafte, meiſt grobe Polemik, Lob und Tadel gegen Andere. Es war kein Lehrbuch aus dem ſich ruhig und behaglich ſtudiren ließ, welches aber den Studirenden überall anregte, Parthei für oder wider zu nehmen und weitere Belehrung zu ſuchen.
Das erwähnte Lehrbuch wird gewöhnlich unter dem Titel „Grundzüge der wiſſenſchaftlichen Botanik“ citirt; ſein Haupt- titel aber iſt: „Die Botanik als inductive Wiſſenſchaft“, womit ſofort der Punct bezeichnet iſt, auf welchen Schleiden das Haupt- gewicht legte. Es kam ihm vor Allem darauf an, die in den Lehrbüchern ſo ſehr verunſtaltete Wiſſenſchaft, die kaum noch eine Aehnlichkeit mit einer Naturwiſſenſchaft hatte, auf Eine Linie zu ſtellen mit der Phyſik und der Chemie, in denen bisher vor- wiegend der Geiſt ächter inductiver Naturforſchung zur Geltung gekommen war im Gegenſatz zu der Naturphiloſophie der letzt vergangener Jahrzehnte. Es mag uns jetzt ſonderbar vorkommen,
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Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
konnten und wollten, den Weg; er ſchuf ſo zu ſagen erſt ein
wiſſenſchaftlich botaniſches Publicum, welches im Stande war
wiſſenſchaftliches Verdienſt von dilettantenhafter Spielerei zu
unterſcheiden. Wer von jetzt an mitreden wollte, mußte ſich zu-
ſammennehmen, denn er wurde mit anderem Maß gemeſſen als bisher.
Schleiden, der ſeine Thätigkeit als Botaniker mit
einigen wichtigen anatomiſchen und entwicklungsgeſchichtlichen
Unterſuchungen eröffnet hatte, unter denen beſonders die Ent-
wicklungsgeſchichte der Samenknoſpe vor der Befruchtung 1837
durch Inhalt und Darſtellung werthvoll war, ſchrieb ſelbſt ein
umfangreiches Lehrbuch der geſammten Botanik, welches zuerſt
1842 und 43, dann aber ſehr verbeſſert 1845 und 46 (auch
ſpäter noch zweimal) herauskam. Der Unterſchied zwiſchen dieſem
Werk und allen vorhergehenden Lehrbüchern iſt wie Tag und
Nacht; jener gedankenloſen Trägheit gegenüber hier eine ſprudelnde
Fülle von Leben und Gedanken, die vor Allem gerade auf die
Jugend um ſo mehr wirken mußte, als ſie in ſich ſelbſt viel-
fach unfertig und unvergohren war; auf jeder Seite dieſes merk-
würdigen Buches fand der Studirende neben wirklich wiſſens-
werthen Thatſachen intereſſante Reflexionen, lebhafte, meiſt grobe
Polemik, Lob und Tadel gegen Andere. Es war kein Lehrbuch
aus dem ſich ruhig und behaglich ſtudiren ließ, welches aber
den Studirenden überall anregte, Parthei für oder wider zu
nehmen und weitere Belehrung zu ſuchen.
Das erwähnte Lehrbuch wird gewöhnlich unter dem Titel
„Grundzüge der wiſſenſchaftlichen Botanik“ citirt; ſein Haupt-
titel aber iſt: „Die Botanik als inductive Wiſſenſchaft“, womit
ſofort der Punct bezeichnet iſt, auf welchen Schleiden das Haupt-
gewicht legte. Es kam ihm vor Allem darauf an, die in
den Lehrbüchern ſo ſehr verunſtaltete Wiſſenſchaft, die kaum noch
eine Aehnlichkeit mit einer Naturwiſſenſchaft hatte, auf Eine Linie
zu ſtellen mit der Phyſik und der Chemie, in denen bisher vor-
wiegend der Geiſt ächter inductiver Naturforſchung zur Geltung
gekommen war im Gegenſatz zu der Naturphiloſophie der letzt
vergangener Jahrzehnte. Es mag uns jetzt ſonderbar vorkommen,
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/215>, abgerufen am 21.11.2024.
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