Zellenlehre, Entwicklungsgeschichte und Kryptogamenkunde.
Ueber die Entstehung und Fortpflanzung der niederen Kryp- togamen hatte man noch in den zwanziger und dreißiger, selbst in den vierziger Jahren sehr unbestimmte und schwankende Ansichten.
Von einigen Algen, Pilzen und Flechten kannte man gewisse Vermehrungs- und Fortpflanzungsformen, bei anderen waren sie völlig unbekannt; manche von ihnen traten an Orten und unter Umständen auf, welche die Annahme der generatio spon- tanea unumgänglich erscheinen ließen; noch 1827 ließ Meyen die "Priestley'sche Materie" (kleine Algen, die in stehendem Wasser auch in verschlossenen Gefäßen sich entwickeln), durch freie Zeugung entstehen, was Kützing 1833 experimentell zu beweisen suchte; die Pilze hielt man zum Theil für krankhafte Aus- wüchse anderer Organismen, manche ließ man auch durch generatio spontanea entstehen, unbeschadet ihrer Fähigkeit, sich durch Sporen fortzupflanzen; für die einfachsten Pilze theilten diese Ansicht selbst die hervorragensten Botaniker bis zum Beginn der fünfziger Jahre. So wenig übrigens die Annahme der freien Zeugung von phanerogamischen Pflanzen noch im 17. Jahr- hundert dem Fortschritt der methodischen Forschung hinderlich war, so wenig wurde die methodische Bearbeitung der Algen und Pilze nach 1850 durch diese Ansichten gestört; hinderlich war dagegen anfangs die von Hornschuch (1821) und von Kützing (1833) aufgestellte Ansicht, daß die einfachsten Algen- zellen (Protococeus und Palmella), wenn einmal durch Urzeug- ung entstanden, je nach Umständen die verschiedensten Algenformen, ja sogar Flechten und Moose aus sich entwickeln können; ähnlich
Reise nach Texas ist Corda nicht mehr zurückgekehrt, wahrscheinlich durch Schiffbruch 1849 umgekommen. Ausführlicheres über diesen um die Pilzkunde sehr verdienten Mann berichtet Weitenweber in der Abh. der böhm. Gesch. der Wiss. V. 7. Prag 1852. Corda war der Erste, der das Mikroskop zur bildlichen und diagnostischen Fixirung aller ihm erreichbaren Pilzformen zumal der kleinen, consequent anwendete; seine Icones fungorum hucusque cognitorum 1837-1854 sind noch jetzt ein unentbehrliches Handbuch für Mycologen.
Zellenlehre, Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
Ueber die Entſtehung und Fortpflanzung der niederen Kryp- togamen hatte man noch in den zwanziger und dreißiger, ſelbſt in den vierziger Jahren ſehr unbeſtimmte und ſchwankende Anſichten.
Von einigen Algen, Pilzen und Flechten kannte man gewiſſe Vermehrungs- und Fortpflanzungsformen, bei anderen waren ſie völlig unbekannt; manche von ihnen traten an Orten und unter Umſtänden auf, welche die Annahme der generatio spon- tanea unumgänglich erſcheinen ließen; noch 1827 ließ Meyen die „Prieſtley'ſche Materie“ (kleine Algen, die in ſtehendem Waſſer auch in verſchloſſenen Gefäßen ſich entwickeln), durch freie Zeugung entſtehen, was Kützing 1833 experimentell zu beweiſen ſuchte; die Pilze hielt man zum Theil für krankhafte Aus- wüchſe anderer Organismen, manche ließ man auch durch generatio spontanea entſtehen, unbeſchadet ihrer Fähigkeit, ſich durch Sporen fortzupflanzen; für die einfachſten Pilze theilten dieſe Anſicht ſelbſt die hervorragenſten Botaniker bis zum Beginn der fünfziger Jahre. So wenig übrigens die Annahme der freien Zeugung von phanerogamiſchen Pflanzen noch im 17. Jahr- hundert dem Fortſchritt der methodiſchen Forſchung hinderlich war, ſo wenig wurde die methodiſche Bearbeitung der Algen und Pilze nach 1850 durch dieſe Anſichten geſtört; hinderlich war dagegen anfangs die von Hornſchuch (1821) und von Kützing (1833) aufgeſtellte Anſicht, daß die einfachſten Algen- zellen (Protococeus und Palmella), wenn einmal durch Urzeug- ung entſtanden, je nach Umſtänden die verſchiedenſten Algenformen, ja ſogar Flechten und Mooſe aus ſich entwickeln können; ähnlich
Reiſe nach Texas iſt Corda nicht mehr zurückgekehrt, wahrſcheinlich durch Schiffbruch 1849 umgekommen. Ausführlicheres über dieſen um die Pilzkunde ſehr verdienten Mann berichtet Weitenweber in der Abh. der böhm. Geſch. der Wiſſ. V. 7. Prag 1852. Corda war der Erſte, der das Mikroſkop zur bildlichen und diagnoſtiſchen Fixirung aller ihm erreichbaren Pilzformen zumal der kleinen, conſequent anwendete; ſeine Icones fungorum hucusque cognitorum 1837-1854 ſind noch jetzt ein unentbehrliches Handbuch für Mycologen.
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Zellenlehre, Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
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Ueber die Entſtehung und Fortpflanzung der niederen Kryp-
togamen hatte man noch in den zwanziger und dreißiger, ſelbſt
in den vierziger Jahren ſehr unbeſtimmte und ſchwankende
Anſichten.
Von einigen Algen, Pilzen und Flechten kannte man gewiſſe
Vermehrungs- und Fortpflanzungsformen, bei anderen waren
ſie völlig unbekannt; manche von ihnen traten an Orten und
unter Umſtänden auf, welche die Annahme der generatio spon-
tanea unumgänglich erſcheinen ließen; noch 1827 ließ Meyen
die „Prieſtley'ſche Materie“ (kleine Algen, die in ſtehendem
Waſſer auch in verſchloſſenen Gefäßen ſich entwickeln), durch freie
Zeugung entſtehen, was Kützing 1833 experimentell zu beweiſen
ſuchte; die Pilze hielt man zum Theil für krankhafte Aus-
wüchſe anderer Organismen, manche ließ man auch durch
generatio spontanea entſtehen, unbeſchadet ihrer Fähigkeit, ſich
durch Sporen fortzupflanzen; für die einfachſten Pilze theilten
dieſe Anſicht ſelbſt die hervorragenſten Botaniker bis zum Beginn
der fünfziger Jahre. So wenig übrigens die Annahme der
freien Zeugung von phanerogamiſchen Pflanzen noch im 17. Jahr-
hundert dem Fortſchritt der methodiſchen Forſchung hinderlich
war, ſo wenig wurde die methodiſche Bearbeitung der Algen
und Pilze nach 1850 durch dieſe Anſichten geſtört; hinderlich
war dagegen anfangs die von Hornſchuch (1821) und von
Kützing (1833) aufgeſtellte Anſicht, daß die einfachſten Algen-
zellen (Protococeus und Palmella), wenn einmal durch Urzeug-
ung entſtanden, je nach Umſtänden die verſchiedenſten Algenformen,
ja ſogar Flechten und Mooſe aus ſich entwickeln können; ähnlich
2) Reiſe nach Texas iſt Corda nicht mehr zurückgekehrt, wahrſcheinlich durch
Schiffbruch 1849 umgekommen. Ausführlicheres über dieſen um die Pilzkunde
ſehr verdienten Mann berichtet Weitenweber in der Abh. der böhm. Geſch.
der Wiſſ. V. 7. Prag 1852. Corda war der Erſte, der das Mikroſkop
zur bildlichen und diagnoſtiſchen Fixirung aller ihm erreichbaren Pilzformen
zumal der kleinen, conſequent anwendete; ſeine Icones fungorum hucusque
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/233>, abgerufen am 16.02.2025.
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