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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Entwicklungsgeschichte und Kryptogamenkunde.
Man kannte seit Mohl's Untersuchungen von 1833 die freie
Sporenbildung in den Schläuchen der Flechtenfrüchte (Apothecien)
und wußte, daß pulverförmige Aussonderungen des Thallus aus
einem Gemenge von Gonidien und Hyphen bestehend im Stande
sind, die Species fortzupflanzen. Das genetische Verhältniß der
chlorophyllhaltigen Gonidien zu den pilzähnlichen Hyphen blieb
lange völlig unklar, bis es endlich in neuester Zeit seit 1868
gelang, die Gonidien als ächte Algen, den Hyphenkörper als
einen ächten Pilz nachzuweisen und zu zeigen, daß auch die Flechten
nicht mehr eine neben Pilzen und Algen bestehende Pflanzenklasse
darstellen, sondern als eine Abtheilung der Schlauchpilze zu be-
trachten sind, welche die Merkwürdigkeit darbieten, daß sie ihre
Nährpflanzen, nämlich die als Gonidien fungirenden Algen, ganz
umspinnen und in ihr Gewebe aufnehmen. Nach vorläufigen
Andeutungen De Bary's war es Schwendener, der dieses
Verhalten erkannte und die unerwartete, den Lichenologen aber
unerfreuliche Thatsache aussprach. Der Widerspruch der Letzteren
wird sich voraussichtlich unter der Wucht der Thatsachen, die
schon jetzt dem Unbefangenen gar keinen Zweifel lassen, legen.

So haben denn die Arbeiten auf dem Gebiet der Thollophyten
in den letzten zwanzig Jahren zu einer vollständigen Umgestaltung
der früheren Ansichten über das Wesen dieser Organismen geführt
und die Botanik mit einer Reihe der überraschendsten Resultate
bereichert. Doch noch lange nicht abgeschlossen ist die Bewegung
auf diesem Gebiet. Als eines der Hauptergebnisse für die
Wissenschaft ist aber das zu betrachten, daß durch die Unter-
suchung der niederen und höheren Kryptogamen die Morphologie
und Systematik von zahlreichen älteren Vorurtheilen sich befreit
hat, daß der Blick ein freierer geworden ist, die Untersuchungs-
methoden sicherer, die Fragestellung schärfer.

Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde.
Man kannte ſeit Mohl's Unterſuchungen von 1833 die freie
Sporenbildung in den Schläuchen der Flechtenfrüchte (Apothecien)
und wußte, daß pulverförmige Ausſonderungen des Thallus aus
einem Gemenge von Gonidien und Hyphen beſtehend im Stande
ſind, die Species fortzupflanzen. Das genetiſche Verhältniß der
chlorophyllhaltigen Gonidien zu den pilzähnlichen Hyphen blieb
lange völlig unklar, bis es endlich in neueſter Zeit ſeit 1868
gelang, die Gonidien als ächte Algen, den Hyphenkörper als
einen ächten Pilz nachzuweiſen und zu zeigen, daß auch die Flechten
nicht mehr eine neben Pilzen und Algen beſtehende Pflanzenklaſſe
darſtellen, ſondern als eine Abtheilung der Schlauchpilze zu be-
trachten ſind, welche die Merkwürdigkeit darbieten, daß ſie ihre
Nährpflanzen, nämlich die als Gonidien fungirenden Algen, ganz
umſpinnen und in ihr Gewebe aufnehmen. Nach vorläufigen
Andeutungen De Bary's war es Schwendener, der dieſes
Verhalten erkannte und die unerwartete, den Lichenologen aber
unerfreuliche Thatſache ausſprach. Der Widerſpruch der Letzteren
wird ſich vorausſichtlich unter der Wucht der Thatſachen, die
ſchon jetzt dem Unbefangenen gar keinen Zweifel laſſen, legen.

So haben denn die Arbeiten auf dem Gebiet der Thollophyten
in den letzten zwanzig Jahren zu einer vollſtändigen Umgeſtaltung
der früheren Anſichten über das Weſen dieſer Organismen geführt
und die Botanik mit einer Reihe der überraſchendſten Reſultate
bereichert. Doch noch lange nicht abgeſchloſſen iſt die Bewegung
auf dieſem Gebiet. Als eines der Hauptergebniſſe für die
Wiſſenſchaft iſt aber das zu betrachten, daß durch die Unter-
ſuchung der niederen und höheren Kryptogamen die Morphologie
und Syſtematik von zahlreichen älteren Vorurtheilen ſich befreit
hat, daß der Blick ein freierer geworden iſt, die Unterſuchungs-
methoden ſicherer, die Frageſtellung ſchärfer.

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[231/0243] Entwicklungsgeſchichte und Kryptogamenkunde. Man kannte ſeit Mohl's Unterſuchungen von 1833 die freie Sporenbildung in den Schläuchen der Flechtenfrüchte (Apothecien) und wußte, daß pulverförmige Ausſonderungen des Thallus aus einem Gemenge von Gonidien und Hyphen beſtehend im Stande ſind, die Species fortzupflanzen. Das genetiſche Verhältniß der chlorophyllhaltigen Gonidien zu den pilzähnlichen Hyphen blieb lange völlig unklar, bis es endlich in neueſter Zeit ſeit 1868 gelang, die Gonidien als ächte Algen, den Hyphenkörper als einen ächten Pilz nachzuweiſen und zu zeigen, daß auch die Flechten nicht mehr eine neben Pilzen und Algen beſtehende Pflanzenklaſſe darſtellen, ſondern als eine Abtheilung der Schlauchpilze zu be- trachten ſind, welche die Merkwürdigkeit darbieten, daß ſie ihre Nährpflanzen, nämlich die als Gonidien fungirenden Algen, ganz umſpinnen und in ihr Gewebe aufnehmen. Nach vorläufigen Andeutungen De Bary's war es Schwendener, der dieſes Verhalten erkannte und die unerwartete, den Lichenologen aber unerfreuliche Thatſache ausſprach. Der Widerſpruch der Letzteren wird ſich vorausſichtlich unter der Wucht der Thatſachen, die ſchon jetzt dem Unbefangenen gar keinen Zweifel laſſen, legen. So haben denn die Arbeiten auf dem Gebiet der Thollophyten in den letzten zwanzig Jahren zu einer vollſtändigen Umgeſtaltung der früheren Anſichten über das Weſen dieſer Organismen geführt und die Botanik mit einer Reihe der überraſchendſten Reſultate bereichert. Doch noch lange nicht abgeſchloſſen iſt die Bewegung auf dieſem Gebiet. Als eines der Hauptergebniſſe für die Wiſſenſchaft iſt aber das zu betrachten, daß durch die Unter- ſuchung der niederen und höheren Kryptogamen die Morphologie und Syſtematik von zahlreichen älteren Vorurtheilen ſich befreit hat, daß der Blick ein freierer geworden iſt, die Unterſuchungs- methoden ſicherer, die Frageſtellung ſchärfer.

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/243>, abgerufen am 21.11.2024.