Zweites Capitel. Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
In Italien hatte Malpighi keinen nennenswerthen Nach- folger, in England war mit Hooke und Grew das neue Licht ebenfalls erloschen, man möchte fast sagen, bis auf den heutigen Tag; auch in Holland fand Leeuwenhoek keinen ebenbürtigen Nachfolger und was bis zum Beginn des siebenten Decenniums des vorigen Jahrhunderts in Deutschland geleistet wurde, ist kläglicher, als man sich irgend vorstellen kann. Phytotomische Forschung gab es in den ersten 50-60 Jahren des Jahrhunderts überhaupt nicht; was man über die Struktur der Pflanzen zu berichten hatte, wurde aus Grew, Malpighi und Leeuwen- hoek entnommen, und da es von Personen geschah, die selbst nicht beobachten konnten, so verstanden sie ihre Autoren nicht, und berichteten Dinge, die jenen ganz fremd waren. Mit be- sonderer Vorliebe conservirte man die schwächeren und unklaren Ansichten derselben und besonders war es die complicirte Vor- stellung Grew's vom gewebeartigen Bau der Zellwandungen, die großen Eindruck auf die Berichterstatter machte. Dieser Zu- stand der Verkommenheit darf nicht allein den mangelhaften Mikroskopen zugeschrieben werden; sie waren allerdings nicht gut, noch viel weniger bequem eingerichtet; aber man sah und beschrieb nicht einmal das deutlich, was mit unbewaffnetem Auge oder mit sehr schwachen Vergrößerungen beobachtet werden kann; das Uebelste war, daß man sich das wenige Selbstgesehene und das in den älteren Werken Gesagte, nicht klar zu machen suchte, sondern sich gedankenlos mit ganz verschwommenen Vor-
Zweites Capitel. Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
In Italien hatte Malpighi keinen nennenswerthen Nach- folger, in England war mit Hooke und Grew das neue Licht ebenfalls erloſchen, man möchte faſt ſagen, bis auf den heutigen Tag; auch in Holland fand Leeuwenhoek keinen ebenbürtigen Nachfolger und was bis zum Beginn des ſiebenten Decenniums des vorigen Jahrhunderts in Deutſchland geleiſtet wurde, iſt kläglicher, als man ſich irgend vorſtellen kann. Phytotomiſche Forſchung gab es in den erſten 50-60 Jahren des Jahrhunderts überhaupt nicht; was man über die Struktur der Pflanzen zu berichten hatte, wurde aus Grew, Malpighi und Leeuwen- hoek entnommen, und da es von Perſonen geſchah, die ſelbſt nicht beobachten konnten, ſo verſtanden ſie ihre Autoren nicht, und berichteten Dinge, die jenen ganz fremd waren. Mit be- ſonderer Vorliebe conſervirte man die ſchwächeren und unklaren Anſichten derſelben und beſonders war es die complicirte Vor- ſtellung Grew's vom gewebeartigen Bau der Zellwandungen, die großen Eindruck auf die Berichterſtatter machte. Dieſer Zu- ſtand der Verkommenheit darf nicht allein den mangelhaften Mikroskopen zugeſchrieben werden; ſie waren allerdings nicht gut, noch viel weniger bequem eingerichtet; aber man ſah und beſchrieb nicht einmal das deutlich, was mit unbewaffnetem Auge oder mit ſehr ſchwachen Vergrößerungen beobachtet werden kann; das Uebelſte war, daß man ſich das wenige Selbſtgeſehene und das in den älteren Werken Geſagte, nicht klar zu machen ſuchte, ſondern ſich gedankenlos mit ganz verſchwommenen Vor-
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Zweites Capitel.
Die Phytotomie im 18. Jahrhundert.
In Italien hatte Malpighi keinen nennenswerthen Nach-
folger, in England war mit Hooke und Grew das neue Licht
ebenfalls erloſchen, man möchte faſt ſagen, bis auf den heutigen
Tag; auch in Holland fand Leeuwenhoek keinen ebenbürtigen
Nachfolger und was bis zum Beginn des ſiebenten Decenniums
des vorigen Jahrhunderts in Deutſchland geleiſtet wurde, iſt
kläglicher, als man ſich irgend vorſtellen kann. Phytotomiſche
Forſchung gab es in den erſten 50-60 Jahren des Jahrhunderts
überhaupt nicht; was man über die Struktur der Pflanzen zu
berichten hatte, wurde aus Grew, Malpighi und Leeuwen-
hoek entnommen, und da es von Perſonen geſchah, die ſelbſt
nicht beobachten konnten, ſo verſtanden ſie ihre Autoren nicht,
und berichteten Dinge, die jenen ganz fremd waren. Mit be-
ſonderer Vorliebe conſervirte man die ſchwächeren und unklaren
Anſichten derſelben und beſonders war es die complicirte Vor-
ſtellung Grew's vom gewebeartigen Bau der Zellwandungen,
die großen Eindruck auf die Berichterſtatter machte. Dieſer Zu-
ſtand der Verkommenheit darf nicht allein den mangelhaften
Mikroskopen zugeſchrieben werden; ſie waren allerdings nicht
gut, noch viel weniger bequem eingerichtet; aber man ſah und
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Auge oder mit ſehr ſchwachen Vergrößerungen beobachtet werden
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/277>, abgerufen am 24.11.2024.
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