Gewebeform, Molecularstruktur der organischen Gebilde.
Nicht so verfuhr Schleiden; nachdem er 1838 die freie Zellbildung im Embryosack der Phanerogamen ungenau beobachtet hatte, baute er darauf sofort eine Bildungstheorie der Zelle, welche in allen Fällen, besonders auch in wachsenden Organen allgemeine Geltung haben sollte. Die große Bestimmtheit, mit welcher Schleiden diese Theorie aussprach und jeden Einwand schroff beseitigte, sowie das bedeutende Ansehen, welches sein Name im Anfang der vierziger Jahre genoß, verfehlten nicht, seiner Theorie sofort Eingang in weiten Kreisen zu verschaffen und selbst die bedeutendsten Vertreter der Phytotomie, anfangs auch Mohl nicht ausgenommen, gestanden ihr eine gewisse Be- rechtigung zu. Indessen handelte es sich hier um ein Gebiet, wo theoretische Erwägungen erst in zweiter Linie maßgebend sind, wo dagegen directe und vielfältige Beobachtung bei sorgfältiger Präparation und mit starker Vergrößerung die Basis aller weiteren Forschung bildet. Unger zeigte so, daß die Vorgänge am Vegetationspunct des Stammes mit Schleiden's Zell- bildungstheorie schwer vereinbar sind, worin ihm auch der Engländer Henfrey beitrat; mit Energie und Consequenz aber ergriff zuerst Nägeli die ebenso wichtige als schwierige Frage, wie die Zellen in den Fortpflanzungsorganen und bei dem Wachsthum der vegetativen entstehen, inwieweit hierin die niederen Kryptogamen mit den Gefäßpflanzen übereinstimmen; anfangs von der Annahme ausgehend, daß Schleiden's Theorie in der Hauptsache richtig sei, führten ihn jedoch schon 1846 seine sehr ausgedehnten Untersuchungen zu dem Ergebniß, daß sie vollständig aufgegeben werden müsse und Nägeli selbst lieferte die Grundzüge der gegenwärtig noch geltenden Theorie der Zellbildung. Wie auf dem Gebiete der Morphologie waren es auch hier die niederen Kryptogamen, welche er mit großem Erfolg zuerst in den Bereich der Forschung zog und nicht wenig trugen Alexander Braun's Beobachtungen an sehr einfach gebauten Algen zur weiteren Ausbildung der Zellentheorie, besonders aber zur Erweiterung und Berichtigung des Begriffes Zelle bei; nicht minder waren es Hofmeister's
Sachs, Geschichte der Botanik. 22
Gewebeform, Molecularſtruktur der organiſchen Gebilde.
Nicht ſo verfuhr Schleiden; nachdem er 1838 die freie Zellbildung im Embryoſack der Phanerogamen ungenau beobachtet hatte, baute er darauf ſofort eine Bildungstheorie der Zelle, welche in allen Fällen, beſonders auch in wachſenden Organen allgemeine Geltung haben ſollte. Die große Beſtimmtheit, mit welcher Schleiden dieſe Theorie ausſprach und jeden Einwand ſchroff beſeitigte, ſowie das bedeutende Anſehen, welches ſein Name im Anfang der vierziger Jahre genoß, verfehlten nicht, ſeiner Theorie ſofort Eingang in weiten Kreiſen zu verſchaffen und ſelbſt die bedeutendſten Vertreter der Phytotomie, anfangs auch Mohl nicht ausgenommen, geſtanden ihr eine gewiſſe Be- rechtigung zu. Indeſſen handelte es ſich hier um ein Gebiet, wo theoretiſche Erwägungen erſt in zweiter Linie maßgebend ſind, wo dagegen directe und vielfältige Beobachtung bei ſorgfältiger Präparation und mit ſtarker Vergrößerung die Baſis aller weiteren Forſchung bildet. Unger zeigte ſo, daß die Vorgänge am Vegetationspunct des Stammes mit Schleiden's Zell- bildungstheorie ſchwer vereinbar ſind, worin ihm auch der Engländer Henfrey beitrat; mit Energie und Conſequenz aber ergriff zuerſt Nägeli die ebenſo wichtige als ſchwierige Frage, wie die Zellen in den Fortpflanzungsorganen und bei dem Wachsthum der vegetativen entſtehen, inwieweit hierin die niederen Kryptogamen mit den Gefäßpflanzen übereinſtimmen; anfangs von der Annahme ausgehend, daß Schleiden's Theorie in der Hauptſache richtig ſei, führten ihn jedoch ſchon 1846 ſeine ſehr ausgedehnten Unterſuchungen zu dem Ergebniß, daß ſie vollſtändig aufgegeben werden müſſe und Nägeli ſelbſt lieferte die Grundzüge der gegenwärtig noch geltenden Theorie der Zellbildung. Wie auf dem Gebiete der Morphologie waren es auch hier die niederen Kryptogamen, welche er mit großem Erfolg zuerſt in den Bereich der Forſchung zog und nicht wenig trugen Alexander Braun's Beobachtungen an ſehr einfach gebauten Algen zur weiteren Ausbildung der Zellentheorie, beſonders aber zur Erweiterung und Berichtigung des Begriffes Zelle bei; nicht minder waren es Hofmeiſter's
Sachs, Geſchichte der Botanik. 22
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Gewebeform, Molecularſtruktur der organiſchen Gebilde.
Nicht ſo verfuhr Schleiden; nachdem er 1838 die freie
Zellbildung im Embryoſack der Phanerogamen ungenau beobachtet
hatte, baute er darauf ſofort eine Bildungstheorie der Zelle,
welche in allen Fällen, beſonders auch in wachſenden Organen
allgemeine Geltung haben ſollte. Die große Beſtimmtheit, mit
welcher Schleiden dieſe Theorie ausſprach und jeden Einwand
ſchroff beſeitigte, ſowie das bedeutende Anſehen, welches ſein
Name im Anfang der vierziger Jahre genoß, verfehlten nicht,
ſeiner Theorie ſofort Eingang in weiten Kreiſen zu verſchaffen
und ſelbſt die bedeutendſten Vertreter der Phytotomie, anfangs
auch Mohl nicht ausgenommen, geſtanden ihr eine gewiſſe Be-
rechtigung zu. Indeſſen handelte es ſich hier um ein Gebiet,
wo theoretiſche Erwägungen erſt in zweiter Linie maßgebend ſind,
wo dagegen directe und vielfältige Beobachtung bei ſorgfältiger
Präparation und mit ſtarker Vergrößerung die Baſis aller
weiteren Forſchung bildet. Unger zeigte ſo, daß die Vorgänge
am Vegetationspunct des Stammes mit Schleiden's Zell-
bildungstheorie ſchwer vereinbar ſind, worin ihm auch der
Engländer Henfrey beitrat; mit Energie und Conſequenz aber
ergriff zuerſt Nägeli die ebenſo wichtige als ſchwierige Frage,
wie die Zellen in den Fortpflanzungsorganen und bei dem
Wachsthum der vegetativen entſtehen, inwieweit hierin die
niederen Kryptogamen mit den Gefäßpflanzen übereinſtimmen;
anfangs von der Annahme ausgehend, daß Schleiden's
Theorie in der Hauptſache richtig ſei, führten ihn jedoch ſchon
1846 ſeine ſehr ausgedehnten Unterſuchungen zu dem Ergebniß,
daß ſie vollſtändig aufgegeben werden müſſe und Nägeli
ſelbſt lieferte die Grundzüge der gegenwärtig noch geltenden
Theorie der Zellbildung. Wie auf dem Gebiete der Morphologie
waren es auch hier die niederen Kryptogamen, welche er mit
großem Erfolg zuerſt in den Bereich der Forſchung zog und
nicht wenig trugen Alexander Braun's Beobachtungen
an ſehr einfach gebauten Algen zur weiteren Ausbildung der
Zellentheorie, beſonders aber zur Erweiterung und Berichtigung
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/349>, abgerufen am 21.11.2024.
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