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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Gewebeform, Molecularstruktur der organischen Gebilde.
ihres Umfangs gleichmäßig sich ausdehnen, oder nur einzelne
Stellen, Erwägungen, welche hier, so nahe sie auch lagen, doch
zum ersten Mal gemacht und verwerthet wurden.

Der mit der Sache selbst Vertraute wird in den angeführten
Sätzen, auch ohne ausführliche Erläuterung, die wesentlichen
Grundlagen der noch jetzt geltenden Zellentheorie um so leichter
wiedererkennen, wenn er das vorher und gleichzeitig von Schlei-
den, Unger und Mohl über die Zellbildung Gesagte damit
vergleicht. Es ist aber selbstverständlich, daß durch die weiteren
Untersuchungen, die in den nächsten zwanzig Jahren mit großem
Eifer betrieben wurden, und eine ansehnliche Literatur über die
Zellbildung hervorriefen, Nägeli's Theorie in vielen Einzel-
heiten weiter gefördert und ausgebaut, in einigen mehr neben-
sächlichen Puncten berichtigt wurde, was fortan um so leichter
geschehen konnte, als nunmehr ein Schema gegeben war, an
welches sich die Untersuchung der Specialfragen anschließen konnte.
Ob der Zellkern ein solider Körper oder ein Bläschen sei, ob die
Theilungswand bei der Fächerung einer Mutterzelle immer von
außen nach innen wachse oder in ihrer ganzen Fläche simultan
entstehe, ob sie ursprünglich aus zwei Lamellen zusammengesetzt
sei oder erst später sich differenzirt, diese und viele andere Fragen
wurden im Lauf der Zeit entschieden.

Die Schleiden'sche Theorie war nun definitiv beseitigt,
ein tieferer Blick in das Wesen der Zelle gethan, der Begriff,
der sich mit diesem Wort verbindet, erweitert und vertieft. Die
nun bekannte Entstehung der Zellen zeigte, daß die Zellhäute,
welche man bisher für die Hauptsache gehalten, nur sekundäre
Produkte sind, daß der eigentliche, lebendige Leib der Zelle viel-
mehr durch den Inhalt, zumal durch den Protoplasmakörper
dargestellt wird. Alexander Braun sprach es 1850 (Ver-
jüngung p. 244), gestützt auf zahlreiche Untersuchungen an nie-
deren Algen, aus: Es sei ein Mißstand, daß man mit dem
Wort Zelle bald die Zelle mit Haut, bald die Zelle ohne Haut,
bald die Haut ohne Zelle bezeichne. Da der Inhalt der wesent-
liche Theil derselben sei, da er schon vor der Absonderung der

Gewebeform, Molecularſtruktur der organiſchen Gebilde.
ihres Umfangs gleichmäßig ſich ausdehnen, oder nur einzelne
Stellen, Erwägungen, welche hier, ſo nahe ſie auch lagen, doch
zum erſten Mal gemacht und verwerthet wurden.

Der mit der Sache ſelbſt Vertraute wird in den angeführten
Sätzen, auch ohne ausführliche Erläuterung, die weſentlichen
Grundlagen der noch jetzt geltenden Zellentheorie um ſo leichter
wiedererkennen, wenn er das vorher und gleichzeitig von Schlei-
den, Unger und Mohl über die Zellbildung Geſagte damit
vergleicht. Es iſt aber ſelbſtverſtändlich, daß durch die weiteren
Unterſuchungen, die in den nächſten zwanzig Jahren mit großem
Eifer betrieben wurden, und eine anſehnliche Literatur über die
Zellbildung hervorriefen, Nägeli's Theorie in vielen Einzel-
heiten weiter gefördert und ausgebaut, in einigen mehr neben-
ſächlichen Puncten berichtigt wurde, was fortan um ſo leichter
geſchehen konnte, als nunmehr ein Schema gegeben war, an
welches ſich die Unterſuchung der Specialfragen anſchließen konnte.
Ob der Zellkern ein ſolider Körper oder ein Bläschen ſei, ob die
Theilungswand bei der Fächerung einer Mutterzelle immer von
außen nach innen wachſe oder in ihrer ganzen Fläche ſimultan
entſtehe, ob ſie urſprünglich aus zwei Lamellen zuſammengeſetzt
ſei oder erſt ſpäter ſich differenzirt, dieſe und viele andere Fragen
wurden im Lauf der Zeit entſchieden.

Die Schleiden'ſche Theorie war nun definitiv beſeitigt,
ein tieferer Blick in das Weſen der Zelle gethan, der Begriff,
der ſich mit dieſem Wort verbindet, erweitert und vertieft. Die
nun bekannte Entſtehung der Zellen zeigte, daß die Zellhäute,
welche man bisher für die Hauptſache gehalten, nur ſekundäre
Produkte ſind, daß der eigentliche, lebendige Leib der Zelle viel-
mehr durch den Inhalt, zumal durch den Protoplasmakörper
dargeſtellt wird. Alexander Braun ſprach es 1850 (Ver-
jüngung p. 244), geſtützt auf zahlreiche Unterſuchungen an nie-
deren Algen, aus: Es ſei ein Mißſtand, daß man mit dem
Wort Zelle bald die Zelle mit Haut, bald die Zelle ohne Haut,
bald die Haut ohne Zelle bezeichne. Da der Inhalt der weſent-
liche Theil derſelben ſei, da er ſchon vor der Abſonderung der

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[361/0373] Gewebeform, Molecularſtruktur der organiſchen Gebilde. ihres Umfangs gleichmäßig ſich ausdehnen, oder nur einzelne Stellen, Erwägungen, welche hier, ſo nahe ſie auch lagen, doch zum erſten Mal gemacht und verwerthet wurden. Der mit der Sache ſelbſt Vertraute wird in den angeführten Sätzen, auch ohne ausführliche Erläuterung, die weſentlichen Grundlagen der noch jetzt geltenden Zellentheorie um ſo leichter wiedererkennen, wenn er das vorher und gleichzeitig von Schlei- den, Unger und Mohl über die Zellbildung Geſagte damit vergleicht. Es iſt aber ſelbſtverſtändlich, daß durch die weiteren Unterſuchungen, die in den nächſten zwanzig Jahren mit großem Eifer betrieben wurden, und eine anſehnliche Literatur über die Zellbildung hervorriefen, Nägeli's Theorie in vielen Einzel- heiten weiter gefördert und ausgebaut, in einigen mehr neben- ſächlichen Puncten berichtigt wurde, was fortan um ſo leichter geſchehen konnte, als nunmehr ein Schema gegeben war, an welches ſich die Unterſuchung der Specialfragen anſchließen konnte. Ob der Zellkern ein ſolider Körper oder ein Bläschen ſei, ob die Theilungswand bei der Fächerung einer Mutterzelle immer von außen nach innen wachſe oder in ihrer ganzen Fläche ſimultan entſtehe, ob ſie urſprünglich aus zwei Lamellen zuſammengeſetzt ſei oder erſt ſpäter ſich differenzirt, dieſe und viele andere Fragen wurden im Lauf der Zeit entſchieden. Die Schleiden'ſche Theorie war nun definitiv beſeitigt, ein tieferer Blick in das Weſen der Zelle gethan, der Begriff, der ſich mit dieſem Wort verbindet, erweitert und vertieft. Die nun bekannte Entſtehung der Zellen zeigte, daß die Zellhäute, welche man bisher für die Hauptſache gehalten, nur ſekundäre Produkte ſind, daß der eigentliche, lebendige Leib der Zelle viel- mehr durch den Inhalt, zumal durch den Protoplasmakörper dargeſtellt wird. Alexander Braun ſprach es 1850 (Ver- jüngung p. 244), geſtützt auf zahlreiche Unterſuchungen an nie- deren Algen, aus: Es ſei ein Mißſtand, daß man mit dem Wort Zelle bald die Zelle mit Haut, bald die Zelle ohne Haut, bald die Haut ohne Zelle bezeichne. Da der Inhalt der weſent- liche Theil derſelben ſei, da er ſchon vor der Abſonderung der

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/373>, abgerufen am 24.11.2024.