letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts so gut wie Nichts, wenn auch unzweifelhaft schon seit den ältesten Zeiten die Wirk- ungen dieser Agentien bei der Pflanzenkultur und verschiedenen sonstigen Gelegenheiten bekannt geworden sein müssen.
So dürftig war der Vorrath von Kenntnissen, den die Be- gründer der Pflanzenphysiologie in der letzten Hälfte des 17. Jahr- hunderts vorfanden. Während die physiologische Bedeutung der verschiedenen Organe des menschlichen Körpers und der meisten Thiere wenigstens in ihren gröberen Zügen Jedermann bekannt war, mußte das Studium des vegetativen Lebens damit beginnen, mühsam zu entdecken, ob denn überhaupt die verschiedenen Theile der Pflanzen für die Erhaltung und Fortpflanzung des vege- tativen Lebens nöthig sind, und welche Verrichtungen zum Vor- theil des Ganzen man den einzelnen Theilen zuschreiben solle. Auch war es durchaus nicht leicht in dieser Beziehung nur einen ersten Schritt vorwärts zu thun; denn unmittelbar zu sehen, wie bei den Thieren, ist von den Verrichtungen der Pflanzentheile so gut wie Nichts und man braucht nur Cäsalpin und die Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts zu lesen, um zu bemerken, wie rathlos man jedesmal der Frage nach der etwaigen physio- logischen Bedeutung eines Pflanzenorgans gegenüberstand, wo es sich nicht gerade um die Wurzel als Ernährungsorgan und die Frucht und den Samen als den vermeintlich letzten Zweck des Pflanzenlebens handelte. Die physiologischen Verrichtungen der Pflanzenorgane fallen nicht in die Augen, sie müssen vielmehr aus gewissen Vorkommnissen erschlossen, oder aus dem Erfolg von Experimenten logisch abgeleitet werden. Dem Experiment aber muß die Aufstellung einer bestimmten Frage, gestützt auf eine Hypothese, vorausgehen; Fragen und Hypothesen aber können selbst wieder nur aus schon vorhandenen Kenntnissen entspringen. Einen ersten Anknüpfungspunct bot in dieser Beziehung die Ver- gleichung des pflanzlichen Lebens mit dem thierischen, welche schon Aristoteles, wenn auch mit geringem Glück, versucht hatte. Mit besseren botanischen und zoologischen Kenntnissen ausgerüstet hatte jedoch Cäsalpin bestimmtere Vorstellungen von der Be-
Einleitung.
letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts ſo gut wie Nichts, wenn auch unzweifelhaft ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Wirk- ungen dieſer Agentien bei der Pflanzenkultur und verſchiedenen ſonſtigen Gelegenheiten bekannt geworden ſein müſſen.
So dürftig war der Vorrath von Kenntniſſen, den die Be- gründer der Pflanzenphyſiologie in der letzten Hälfte des 17. Jahr- hunderts vorfanden. Während die phyſiologiſche Bedeutung der verſchiedenen Organe des menſchlichen Körpers und der meiſten Thiere wenigſtens in ihren gröberen Zügen Jedermann bekannt war, mußte das Studium des vegetativen Lebens damit beginnen, mühſam zu entdecken, ob denn überhaupt die verſchiedenen Theile der Pflanzen für die Erhaltung und Fortpflanzung des vege- tativen Lebens nöthig ſind, und welche Verrichtungen zum Vor- theil des Ganzen man den einzelnen Theilen zuſchreiben ſolle. Auch war es durchaus nicht leicht in dieſer Beziehung nur einen erſten Schritt vorwärts zu thun; denn unmittelbar zu ſehen, wie bei den Thieren, iſt von den Verrichtungen der Pflanzentheile ſo gut wie Nichts und man braucht nur Cäſalpin und die Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts zu leſen, um zu bemerken, wie rathlos man jedesmal der Frage nach der etwaigen phyſio- logiſchen Bedeutung eines Pflanzenorgans gegenüberſtand, wo es ſich nicht gerade um die Wurzel als Ernährungsorgan und die Frucht und den Samen als den vermeintlich letzten Zweck des Pflanzenlebens handelte. Die phyſiologiſchen Verrichtungen der Pflanzenorgane fallen nicht in die Augen, ſie müſſen vielmehr aus gewiſſen Vorkommniſſen erſchloſſen, oder aus dem Erfolg von Experimenten logiſch abgeleitet werden. Dem Experiment aber muß die Aufſtellung einer beſtimmten Frage, geſtützt auf eine Hypotheſe, vorausgehen; Fragen und Hypotheſen aber können ſelbſt wieder nur aus ſchon vorhandenen Kenntniſſen entſpringen. Einen erſten Anknüpfungspunct bot in dieſer Beziehung die Ver- gleichung des pflanzlichen Lebens mit dem thieriſchen, welche ſchon Ariſtoteles, wenn auch mit geringem Glück, verſucht hatte. Mit beſſeren botaniſchen und zoologiſchen Kenntniſſen ausgerüſtet hatte jedoch Cäſalpin beſtimmtere Vorſtellungen von der Be-
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Einleitung.
letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts ſo gut wie Nichts,
wenn auch unzweifelhaft ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Wirk-
ungen dieſer Agentien bei der Pflanzenkultur und verſchiedenen
ſonſtigen Gelegenheiten bekannt geworden ſein müſſen.
So dürftig war der Vorrath von Kenntniſſen, den die Be-
gründer der Pflanzenphyſiologie in der letzten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts vorfanden. Während die phyſiologiſche Bedeutung der
verſchiedenen Organe des menſchlichen Körpers und der meiſten
Thiere wenigſtens in ihren gröberen Zügen Jedermann bekannt
war, mußte das Studium des vegetativen Lebens damit beginnen,
mühſam zu entdecken, ob denn überhaupt die verſchiedenen Theile
der Pflanzen für die Erhaltung und Fortpflanzung des vege-
tativen Lebens nöthig ſind, und welche Verrichtungen zum Vor-
theil des Ganzen man den einzelnen Theilen zuſchreiben ſolle.
Auch war es durchaus nicht leicht in dieſer Beziehung nur einen
erſten Schritt vorwärts zu thun; denn unmittelbar zu ſehen, wie
bei den Thieren, iſt von den Verrichtungen der Pflanzentheile
ſo gut wie Nichts und man braucht nur Cäſalpin und die
Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts zu leſen, um zu bemerken,
wie rathlos man jedesmal der Frage nach der etwaigen phyſio-
logiſchen Bedeutung eines Pflanzenorgans gegenüberſtand, wo es
ſich nicht gerade um die Wurzel als Ernährungsorgan und die
Frucht und den Samen als den vermeintlich letzten Zweck des
Pflanzenlebens handelte. Die phyſiologiſchen Verrichtungen der
Pflanzenorgane fallen nicht in die Augen, ſie müſſen vielmehr
aus gewiſſen Vorkommniſſen erſchloſſen, oder aus dem Erfolg
von Experimenten logiſch abgeleitet werden. Dem Experiment
aber muß die Aufſtellung einer beſtimmten Frage, geſtützt auf
eine Hypotheſe, vorausgehen; Fragen und Hypotheſen aber können
ſelbſt wieder nur aus ſchon vorhandenen Kenntniſſen entſpringen.
Einen erſten Anknüpfungspunct bot in dieſer Beziehung die Ver-
gleichung des pflanzlichen Lebens mit dem thieriſchen, welche
ſchon Ariſtoteles, wenn auch mit geringem Glück, verſucht hatte.
Mit beſſeren botaniſchen und zoologiſchen Kenntniſſen ausgerüſtet
hatte jedoch Cäſalpin beſtimmtere Vorſtellungen von der Be-
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/400>, abgerufen am 24.11.2024.
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