Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.Einleitung. neuer Organe zu bewirken, wurde mehr als hundert Jahre früherentdeckt, als die Kohlensäurezersetzung durch grüne Pflanzentheile, zu einer Zeit, wo die Chemie von Kohlensäure und Sauerstoff noch Nichts wußte. Es läßt sich sogar eine Reihe von physio- logischen Entdeckungen anführen, welche in scharfen Gegensatz zu chemischen und physikalischen Theorieen traten und selbst zur Berichtigung derselben beitrugen. So z. B. die Feststellung der Thatsache, daß die Wurzeln Wasser und Nahrungsstoffe auf- nehmen, ohne dafür Etwas an die Umgebung abzutreten, was nach der früheren physikalischen Theorie vom endosmotischen Aequivalent durchaus unbegreiflich schien; daß ferner die so- genannten chemischen Strahlen der Physiker gerade bei der Assimilation der Pflanzen von ganz untergeordneter Bedeutung sind, während die gelben und benachbarten Theile des Spectrums im strengsten Gegensatz zu den herrschenden Ansichten der Physiker und Chemiker die Zersetzung der Kohlensäure lebhaft bewirken. Und aus welchen Lehrsätzen der Physik hätte irgend Jemand folgern können, daß das Wachsthum der Wurzeln abwärts, der Stämme aufwärts, von der Schwerkraft bewirkt werde, was Knight 1806 durch Experimente mit lebenden Pflanzen bewies; oder konnte die Optik voraussehen, daß das Wachsthum der Pflanzen durch das Licht verlangsamt wird und daß wachsende Theile unter seinen Einfluß sich krümmen. Ueberhaupt das Beste, was wir vom Leben der Pflanze wissen, ist durch directe Beobachtung derselben gewonnen, aber nicht aus chemischen und physikalischen Theorieen deducirt worden. Nach diesen Vorbe- merkungen mögen nun die wichtigeren Fortschritte der Pflanzen- physiologie in raschem Ueberblick vorgeführt werden. 1) Daß die ersten Anfänge der Pflanzenphysiologie ungefähr Einleitung. neuer Organe zu bewirken, wurde mehr als hundert Jahre früherentdeckt, als die Kohlenſäurezerſetzung durch grüne Pflanzentheile, zu einer Zeit, wo die Chemie von Kohlenſäure und Sauerſtoff noch Nichts wußte. Es läßt ſich ſogar eine Reihe von phyſio- logiſchen Entdeckungen anführen, welche in ſcharfen Gegenſatz zu chemiſchen und phyſikaliſchen Theorieen traten und ſelbſt zur Berichtigung derſelben beitrugen. So z. B. die Feſtſtellung der Thatſache, daß die Wurzeln Waſſer und Nahrungsſtoffe auf- nehmen, ohne dafür Etwas an die Umgebung abzutreten, was nach der früheren phyſikaliſchen Theorie vom endosmotiſchen Aequivalent durchaus unbegreiflich ſchien; daß ferner die ſo- genannten chemiſchen Strahlen der Phyſiker gerade bei der Aſſimilation der Pflanzen von ganz untergeordneter Bedeutung ſind, während die gelben und benachbarten Theile des Spectrums im ſtrengſten Gegenſatz zu den herrſchenden Anſichten der Phyſiker und Chemiker die Zerſetzung der Kohlenſäure lebhaft bewirken. Und aus welchen Lehrſätzen der Phyſik hätte irgend Jemand folgern können, daß das Wachsthum der Wurzeln abwärts, der Stämme aufwärts, von der Schwerkraft bewirkt werde, was Knight 1806 durch Experimente mit lebenden Pflanzen bewies; oder konnte die Optik vorausſehen, daß das Wachsthum der Pflanzen durch das Licht verlangſamt wird und daß wachſende Theile unter ſeinen Einfluß ſich krümmen. Ueberhaupt das Beſte, was wir vom Leben der Pflanze wiſſen, iſt durch directe Beobachtung derſelben gewonnen, aber nicht aus chemiſchen und phyſikaliſchen Theorieen deducirt worden. Nach dieſen Vorbe- merkungen mögen nun die wichtigeren Fortſchritte der Pflanzen- phyſiologie in raſchem Ueberblick vorgeführt werden. 1) Daß die erſten Anfänge der Pflanzenphyſiologie ungefähr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0407" n="395"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> neuer Organe zu bewirken, wurde mehr als hundert Jahre früher<lb/> entdeckt, als die Kohlenſäurezerſetzung durch grüne Pflanzentheile,<lb/> zu einer Zeit, wo die Chemie von Kohlenſäure und Sauerſtoff<lb/> noch Nichts wußte. Es läßt ſich ſogar eine Reihe von phyſio-<lb/> logiſchen Entdeckungen anführen, welche in ſcharfen Gegenſatz zu<lb/> chemiſchen und phyſikaliſchen Theorieen traten und ſelbſt zur<lb/> Berichtigung derſelben beitrugen. So z. 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Einleitung.
neuer Organe zu bewirken, wurde mehr als hundert Jahre früher
entdeckt, als die Kohlenſäurezerſetzung durch grüne Pflanzentheile,
zu einer Zeit, wo die Chemie von Kohlenſäure und Sauerſtoff
noch Nichts wußte. Es läßt ſich ſogar eine Reihe von phyſio-
logiſchen Entdeckungen anführen, welche in ſcharfen Gegenſatz zu
chemiſchen und phyſikaliſchen Theorieen traten und ſelbſt zur
Berichtigung derſelben beitrugen. So z. B. die Feſtſtellung der
Thatſache, daß die Wurzeln Waſſer und Nahrungsſtoffe auf-
nehmen, ohne dafür Etwas an die Umgebung abzutreten, was
nach der früheren phyſikaliſchen Theorie vom endosmotiſchen
Aequivalent durchaus unbegreiflich ſchien; daß ferner die ſo-
genannten chemiſchen Strahlen der Phyſiker gerade bei der
Aſſimilation der Pflanzen von ganz untergeordneter Bedeutung
ſind, während die gelben und benachbarten Theile des Spectrums
im ſtrengſten Gegenſatz zu den herrſchenden Anſichten der Phyſiker
und Chemiker die Zerſetzung der Kohlenſäure lebhaft bewirken.
Und aus welchen Lehrſätzen der Phyſik hätte irgend Jemand
folgern können, daß das Wachsthum der Wurzeln abwärts, der
Stämme aufwärts, von der Schwerkraft bewirkt werde, was
Knight 1806 durch Experimente mit lebenden Pflanzen bewies;
oder konnte die Optik vorausſehen, daß das Wachsthum der
Pflanzen durch das Licht verlangſamt wird und daß wachſende
Theile unter ſeinen Einfluß ſich krümmen. Ueberhaupt das
Beſte, was wir vom Leben der Pflanze wiſſen, iſt durch directe
Beobachtung derſelben gewonnen, aber nicht aus chemiſchen und
phyſikaliſchen Theorieen deducirt worden. Nach dieſen Vorbe-
merkungen mögen nun die wichtigeren Fortſchritte der Pflanzen-
phyſiologie in raſchem Ueberblick vorgeführt werden.
1) Daß die erſten Anfänge der Pflanzenphyſiologie ungefähr
in denſelben Zeitraum fallen, wo auch die Chemie und Phyſik
anfingen, ſich als ächte Naturwiſſenſchaften zu etabliren, beweiſt
keineswegs, daß dieſe es waren, welche die Pflanzenphyſiologie
hervorgerufen haben. Sie verdankte vielmehr ihre Entſtehung
ebenſo wie die Phyſiologie, die Mineralogie, die Aſtronomie,
Geographie u. ſ. w. dem Auftreten des neuen Forſchungstriebes
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