Physiologie der Blüthe zu bedeuten habe. Auch diese bald darauf von Müller besser konstatirte Thatsache der Insecten- hülfe wird hier nicht weiter verfolgt, denn p. 99 wird von den Kürbissen gesagt, sie bringen ihre Früchte hinter Fenstern deß- halb nicht zur Ausbildung, weil der Wind die Bestäubung nicht mehr vermitteln könne.
Von Versuchen wird nur einer genannt, ohne daß man er- fährt, wer ihn angestellt hat. Es heißt nämlich p. 99, daß im Jahre 1723 im Garten von Stenbrohuld ein Kürbis ge- blüht habe, welchem täglich die männlichen Blüthen genommen wurden, worauf nicht eine einzige Frucht sich gebildet habe. Nebenbei wird auch auf die Kunstgriffe der Gärtner hingewiesen, um Varietätbastarde von Tulpen und Kohl zu erzielen, die Sache aber mehr als eine angenehme Spielerei behandelt. -- Im dritten Band der Amoenitates vom Jahr 1764, wo Koelreuter's erste Untersuchungen über Hybridation bereits publicirt waren, finden wir aber eine Dissertation von Haartman über hybride Pflanzen ab- gedruckt, welche allerdings schon 1751 geschrieben war. In dieser Abhandlung wird nun die Nothwendigkeit hybrider For- men aus philosophischen Gründen gerade so gefolgert, wie Linne früher aus solchen auch die Sexualität abgeleitet hatte; Experimente werden nicht gemacht, sondern beliebige Pflanzen- formen als Bastarde in Anspruch genommen; bei einer Veronica spuria, im Garten von Upsala 1750 gesammelt, wird behauptet, sie stamme von der Veronica maritima als Mutter und von Verbena officinalis als Vater ab; dieser letzteren aber wird die Vaterschaft nur deßhalb zugeschrieben, weil sie in der Nähe wuchs; ebenso finden wir hier ein Delphinium hybridum aus der Bestäubung von Delphinium elatum mit Aconitum Napellus, eine Saponaria hybrida aus der Bestäubung von S. officinalis mit dem Pollen einer Gentiana; wir er- fahren unter Anderem, daß Actaea spicata alba aus A. spicata nigra mit dem Pollen von Rhus toxicodendron u. s. w. entstanden sei. Daß hier nicht von Beobachtung der entscheidenden Momente, sondern nur von Folgerungen aus
Geſchichte der Sexualtheorie.
Phyſiologie der Blüthe zu bedeuten habe. Auch dieſe bald darauf von Müller beſſer konſtatirte Thatſache der Inſecten- hülfe wird hier nicht weiter verfolgt, denn p. 99 wird von den Kürbiſſen geſagt, ſie bringen ihre Früchte hinter Fenſtern deß- halb nicht zur Ausbildung, weil der Wind die Beſtäubung nicht mehr vermitteln könne.
Von Verſuchen wird nur einer genannt, ohne daß man er- fährt, wer ihn angeſtellt hat. Es heißt nämlich p. 99, daß im Jahre 1723 im Garten von Stenbrohuld ein Kürbis ge- blüht habe, welchem täglich die männlichen Blüthen genommen wurden, worauf nicht eine einzige Frucht ſich gebildet habe. Nebenbei wird auch auf die Kunſtgriffe der Gärtner hingewieſen, um Varietätbaſtarde von Tulpen und Kohl zu erzielen, die Sache aber mehr als eine angenehme Spielerei behandelt. — Im dritten Band der Amoenitates vom Jahr 1764, wo Koelreuter's erſte Unterſuchungen über Hybridation bereits publicirt waren, finden wir aber eine Diſſertation von Haartman über hybride Pflanzen ab- gedruckt, welche allerdings ſchon 1751 geſchrieben war. In dieſer Abhandlung wird nun die Nothwendigkeit hybrider For- men aus philoſophiſchen Gründen gerade ſo gefolgert, wie Linné früher aus ſolchen auch die Sexualität abgeleitet hatte; Experimente werden nicht gemacht, ſondern beliebige Pflanzen- formen als Baſtarde in Anſpruch genommen; bei einer Veronica spuria, im Garten von Upſala 1750 geſammelt, wird behauptet, ſie ſtamme von der Veronica maritima als Mutter und von Verbena officinalis als Vater ab; dieſer letzteren aber wird die Vaterſchaft nur deßhalb zugeſchrieben, weil ſie in der Nähe wuchs; ebenſo finden wir hier ein Delphinium hybridum aus der Beſtäubung von Delphinium elatum mit Aconitum Napellus, eine Saponaria hybrida aus der Beſtäubung von S. officinalis mit dem Pollen einer Gentiana; wir er- fahren unter Anderem, daß Actaea spicata alba aus A. spicata nigra mit dem Pollen von Rhus toxicodendron u. ſ. w. entſtanden ſei. Daß hier nicht von Beobachtung der entſcheidenden Momente, ſondern nur von Folgerungen aus
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Geſchichte der Sexualtheorie.
Phyſiologie der Blüthe zu bedeuten habe. Auch dieſe bald
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hülfe wird hier nicht weiter verfolgt, denn p. 99 wird von den
Kürbiſſen geſagt, ſie bringen ihre Früchte hinter Fenſtern deß-
halb nicht zur Ausbildung, weil der Wind die Beſtäubung nicht
mehr vermitteln könne.
Von Verſuchen wird nur einer genannt, ohne daß man er-
fährt, wer ihn angeſtellt hat. Es heißt nämlich p. 99, daß im
Jahre 1723 im Garten von Stenbrohuld ein Kürbis ge-
blüht habe, welchem täglich die männlichen Blüthen genommen
wurden, worauf nicht eine einzige Frucht ſich gebildet habe.
Nebenbei wird auch auf die Kunſtgriffe der Gärtner hingewieſen,
um Varietätbaſtarde von Tulpen und Kohl zu erzielen, die Sache
aber mehr als eine angenehme Spielerei behandelt. — Im dritten
Band der Amoenitates vom Jahr 1764, wo Koelreuter's erſte
Unterſuchungen über Hybridation bereits publicirt waren, finden wir
aber eine Diſſertation von Haartman über hybride Pflanzen ab-
gedruckt, welche allerdings ſchon 1751 geſchrieben war. In
dieſer Abhandlung wird nun die Nothwendigkeit hybrider For-
men aus philoſophiſchen Gründen gerade ſo gefolgert, wie
Linné früher aus ſolchen auch die Sexualität abgeleitet hatte;
Experimente werden nicht gemacht, ſondern beliebige Pflanzen-
formen als Baſtarde in Anſpruch genommen; bei einer Veronica
spuria, im Garten von Upſala 1750 geſammelt, wird behauptet,
ſie ſtamme von der Veronica maritima als Mutter und von
Verbena officinalis als Vater ab; dieſer letzteren aber wird
die Vaterſchaft nur deßhalb zugeſchrieben, weil ſie in der Nähe
wuchs; ebenſo finden wir hier ein Delphinium hybridum aus
der Beſtäubung von Delphinium elatum mit Aconitum
Napellus, eine Saponaria hybrida aus der Beſtäubung
von S. officinalis mit dem Pollen einer Gentiana; wir er-
fahren unter Anderem, daß Actaea spicata alba aus A.
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u. ſ. w. entſtanden ſei. Daß hier nicht von Beobachtung der
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/444>, abgerufen am 28.11.2024.
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