"zellenförmges Gewebe". Als die eigentlich befruchtende Sub-stanz betrachtete er aber das Oel, welches den Pollenkörnern außen anhängt; er nahm an, es werde im Innern derselben bereitet und trete durch feine Canäle der Pollenhaut heraus. Das Zerplatzen der Pollenkörner, welches sein Gegner Gleichen für nöthig hielt, um die von ihm angenommenen Samenthierchen austreten zu lassen, bezeichnete Koelreuter als einen wider- natürlichen Vorgang.
Von der Annahme ausgehend, daß das den Pollenkörnern an- hängende Oel die befruchtende Substanz sei, stellte nun Koelreuter den damaligen chemischen Anschauungen entsprechend, folgende Ansicht über den Befruchtungsvorgang auf, indem er zugleich die Ansicht abwies, als ob die Pollenkörner selbst in den Frucht- knoten gelangen könnten: "Beide, sagt er, sowohl der männliche Same, als die weibliche Feuchtigkeit auf den Stigmaten sind öligter Natur, vermischen sich daher, wenn sie zusammenkommen auf das Innigste unter einander und machen nach der Vermisch- ung eine gleichartige Mischung aus, die wenn anders eine Be- fruchtung erfolgen soll, von dem Stigma aufgesogen und durch das Stielchen zurück bis zu den sogenannten Sameneiern oder unbefruchteten Kernen geführt werden muß." Koelreuter ließ also die Befruchtung eigentlich schon auf der Narbe stattfinden und den gemischten männlichen und weiblichen Stoff in den Frucht- knoten hinabwandern, um dort in den Samen die Embryonen zu erzeugen. Diese Ansicht hatte er schon 1761 ausgesprochen; 1763 führte er sie weiter aus, indem er den Gedanken geltend machte, daß die männliche und weibliche Feuchtigkeit sich untereinander verbinden wie eine sauere und eine laugenhafte Substanz sich zu einem Mittelsalz vereinigen; aus dieser Verbindung entstehe ent- weder sogleich oder erst später eine neue belebte Maschine. Noch 1775 kam er bei einer Untersuchung über die Bestäubungsver- hältnisse der Asclepiadeen auf diesen Gedanken wieder zu- rück und betonte hier besonders, daß im ganzen Pflanzen- und Thierreich der Befruchtungsact in der Vermischung zweier flüssigen Materien bestehe. Doch scheint er später die Narben-
Geſchichte der Sexualtheorie.
„zellenförmges Gewebe“. Als die eigentlich befruchtende Sub-ſtanz betrachtete er aber das Oel, welches den Pollenkörnern außen anhängt; er nahm an, es werde im Innern derſelben bereitet und trete durch feine Canäle der Pollenhaut heraus. Das Zerplatzen der Pollenkörner, welches ſein Gegner Gleichen für nöthig hielt, um die von ihm angenommenen Samenthierchen austreten zu laſſen, bezeichnete Koelreuter als einen wider- natürlichen Vorgang.
Von der Annahme ausgehend, daß das den Pollenkörnern an- hängende Oel die befruchtende Subſtanz ſei, ſtellte nun Koelreuter den damaligen chemiſchen Anſchauungen entſprechend, folgende Anſicht über den Befruchtungsvorgang auf, indem er zugleich die Anſicht abwies, als ob die Pollenkörner ſelbſt in den Frucht- knoten gelangen könnten: „Beide, ſagt er, ſowohl der männliche Same, als die weibliche Feuchtigkeit auf den Stigmaten ſind öligter Natur, vermiſchen ſich daher, wenn ſie zuſammenkommen auf das Innigſte unter einander und machen nach der Vermiſch- ung eine gleichartige Miſchung aus, die wenn anders eine Be- fruchtung erfolgen ſoll, von dem Stigma aufgeſogen und durch das Stielchen zurück bis zu den ſogenannten Sameneiern oder unbefruchteten Kernen geführt werden muß.“ Koelreuter ließ alſo die Befruchtung eigentlich ſchon auf der Narbe ſtattfinden und den gemiſchten männlichen und weiblichen Stoff in den Frucht- knoten hinabwandern, um dort in den Samen die Embryonen zu erzeugen. Dieſe Anſicht hatte er ſchon 1761 ausgeſprochen; 1763 führte er ſie weiter aus, indem er den Gedanken geltend machte, daß die männliche und weibliche Feuchtigkeit ſich untereinander verbinden wie eine ſauere und eine laugenhafte Subſtanz ſich zu einem Mittelſalz vereinigen; aus dieſer Verbindung entſtehe ent- weder ſogleich oder erſt ſpäter eine neue belebte Maſchine. Noch 1775 kam er bei einer Unterſuchung über die Beſtäubungsver- hältniſſe der Asclepiadeen auf dieſen Gedanken wieder zu- rück und betonte hier beſonders, daß im ganzen Pflanzen- und Thierreich der Befruchtungsact in der Vermiſchung zweier flüſſigen Materien beſtehe. Doch ſcheint er ſpäter die Narben-
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Geſchichte der Sexualtheorie.
„zellenförmges Gewebe“. Als die eigentlich befruchtende Sub-ſtanz betrachtete er aber das Oel, welches den Pollenkörnern
außen anhängt; er nahm an, es werde im Innern derſelben
bereitet und trete durch feine Canäle der Pollenhaut heraus.
Das Zerplatzen der Pollenkörner, welches ſein Gegner Gleichen
für nöthig hielt, um die von ihm angenommenen Samenthierchen
austreten zu laſſen, bezeichnete Koelreuter als einen wider-
natürlichen Vorgang.
Von der Annahme ausgehend, daß das den Pollenkörnern an-
hängende Oel die befruchtende Subſtanz ſei, ſtellte nun Koelreuter
den damaligen chemiſchen Anſchauungen entſprechend, folgende
Anſicht über den Befruchtungsvorgang auf, indem er zugleich die
Anſicht abwies, als ob die Pollenkörner ſelbſt in den Frucht-
knoten gelangen könnten: „Beide, ſagt er, ſowohl der männliche
Same, als die weibliche Feuchtigkeit auf den Stigmaten ſind
öligter Natur, vermiſchen ſich daher, wenn ſie zuſammenkommen
auf das Innigſte unter einander und machen nach der Vermiſch-
ung eine gleichartige Miſchung aus, die wenn anders eine Be-
fruchtung erfolgen ſoll, von dem Stigma aufgeſogen und durch
das Stielchen zurück bis zu den ſogenannten Sameneiern oder
unbefruchteten Kernen geführt werden muß.“ Koelreuter ließ
alſo die Befruchtung eigentlich ſchon auf der Narbe ſtattfinden
und den gemiſchten männlichen und weiblichen Stoff in den Frucht-
knoten hinabwandern, um dort in den Samen die Embryonen zu
erzeugen. Dieſe Anſicht hatte er ſchon 1761 ausgeſprochen; 1763
führte er ſie weiter aus, indem er den Gedanken geltend machte,
daß die männliche und weibliche Feuchtigkeit ſich untereinander
verbinden wie eine ſauere und eine laugenhafte Subſtanz ſich zu
einem Mittelſalz vereinigen; aus dieſer Verbindung entſtehe ent-
weder ſogleich oder erſt ſpäter eine neue belebte Maſchine. Noch
1775 kam er bei einer Unterſuchung über die Beſtäubungsver-
hältniſſe der Asclepiadeen auf dieſen Gedanken wieder zu-
rück und betonte hier beſonders, daß im ganzen Pflanzen- und
Thierreich der Befruchtungsact in der Vermiſchung zweier
flüſſigen Materien beſtehe. Doch ſcheint er ſpäter die Narben-
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/456>, abgerufen am 22.11.2024.
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