seien für Nahrungskanäle zu halten, welche den Venen der Thiere entsprechen; jedoch fehle den Pflanzen ein Venenstamm, welcher der vena cava der Thiere entspräche; vielmehr treten aus der Wurzel viele und feine Venen in das Herz der Pflanze (cor = Wurzelhals, vergl. p. 50) und aus diesem steigen sie in den Stengel hinauf; denn bei den Pflanzen war es nicht nöthig, daß die Nahrung in einer gemeinschaftlichen Höhlung enthalten sei, wie im Herzen der Thiere, wo dieß zur Erzeugung des Spiritus nothwendig ist, sondern es genügte bei den Pflanzen, die Flüssigkeit durch die Berührung mit der medulla cordis (im Wurzelhals) zu verändern, so wie bei den Thieren eine derartige Veränderung im Mark des Gehirns oder in der Leber bewirkt wird; denn auch in diesen Organen sind, wie bei den Pflanzen die Venen sehr eng.
Da die Pflanzen jeder Sinneswahrnehmung entbehren, so können sie auch nicht wie die Thiere, ihre Nahrung aussuchen, sondern sie ziehen die Feuchtigkeit in der Erde auf andere Weise an sich; es sei jedoch schwer einzusehen, wie das zugeht. Indem nun Caesalpin darüber Rechenschaft zu geben sucht, läßt er uns nicht nur einen Blick in die damals herrschenden physikalischen Vorstellungen thun; sondern wir sehen auch mit Ueberraschung den Versuch zu der physikalischen Erklärung einer Lebenserschein- ung gemacht, der über die aristotelische Denkweise hinausgeht und zugleich den richtigen Weg einschlägt. Nicht die ratio similitudinis, welche das Eisen zum Magneten hinzieht, könne die Anziehung des Saftes durch die Wurzel bewirken; denn in einem solchen Falle werde das Kleinere zum Größeren hinge- zogen; wäre nun die Anziehung der Erdflüssigkeit durch die Wurzel so zu denken, wie die Anziehung des Eisens durch den Magneten, so müßte die Erdfeuchtigkeit ihrerseits den Saft aus den Pflanzen herausziehen, was doch eben nicht geschieht. Auch könne es nicht die ratio vacui; sein; denn da in der Erde nicht bloß Feuchtigkeit, sondern auch Luft enthalten ist, so würde sich die Pflanze in Folge dieses Princips nicht mit Saft, sondern mit Luft erfüllen. Nun aber findet Caesalpin eine dritte Art von
Caeſalpin.
ſeien für Nahrungskanäle zu halten, welche den Venen der Thiere entſprechen; jedoch fehle den Pflanzen ein Venenſtamm, welcher der vena cava der Thiere entſpräche; vielmehr treten aus der Wurzel viele und feine Venen in das Herz der Pflanze (cor = Wurzelhals, vergl. p. 50) und aus dieſem ſteigen ſie in den Stengel hinauf; denn bei den Pflanzen war es nicht nöthig, daß die Nahrung in einer gemeinſchaftlichen Höhlung enthalten ſei, wie im Herzen der Thiere, wo dieß zur Erzeugung des Spiritus nothwendig iſt, ſondern es genügte bei den Pflanzen, die Flüſſigkeit durch die Berührung mit der medulla cordis (im Wurzelhals) zu verändern, ſo wie bei den Thieren eine derartige Veränderung im Mark des Gehirns oder in der Leber bewirkt wird; denn auch in dieſen Organen ſind, wie bei den Pflanzen die Venen ſehr eng.
Da die Pflanzen jeder Sinneswahrnehmung entbehren, ſo können ſie auch nicht wie die Thiere, ihre Nahrung ausſuchen, ſondern ſie ziehen die Feuchtigkeit in der Erde auf andere Weiſe an ſich; es ſei jedoch ſchwer einzuſehen, wie das zugeht. Indem nun Caeſalpin darüber Rechenſchaft zu geben ſucht, läßt er uns nicht nur einen Blick in die damals herrſchenden phyſikaliſchen Vorſtellungen thun; ſondern wir ſehen auch mit Ueberraſchung den Verſuch zu der phyſikaliſchen Erklärung einer Lebenserſchein- ung gemacht, der über die ariſtoteliſche Denkweiſe hinausgeht und zugleich den richtigen Weg einſchlägt. Nicht die ratio similitudinis, welche das Eiſen zum Magneten hinzieht, könne die Anziehung des Saftes durch die Wurzel bewirken; denn in einem ſolchen Falle werde das Kleinere zum Größeren hinge- zogen; wäre nun die Anziehung der Erdflüſſigkeit durch die Wurzel ſo zu denken, wie die Anziehung des Eiſens durch den Magneten, ſo müßte die Erdfeuchtigkeit ihrerſeits den Saft aus den Pflanzen herausziehen, was doch eben nicht geſchieht. Auch könne es nicht die ratio vacui; ſein; denn da in der Erde nicht bloß Feuchtigkeit, ſondern auch Luft enthalten iſt, ſo würde ſich die Pflanze in Folge dieſes Princips nicht mit Saft, ſondern mit Luft erfüllen. Nun aber findet Caeſalpin eine dritte Art von
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Caeſalpin.
ſeien für Nahrungskanäle zu halten, welche den Venen der
Thiere entſprechen; jedoch fehle den Pflanzen ein Venenſtamm,
welcher der vena cava der Thiere entſpräche; vielmehr treten
aus der Wurzel viele und feine Venen in das Herz der Pflanze
(cor = Wurzelhals, vergl. p. 50) und aus dieſem ſteigen ſie
in den Stengel hinauf; denn bei den Pflanzen war es nicht
nöthig, daß die Nahrung in einer gemeinſchaftlichen Höhlung
enthalten ſei, wie im Herzen der Thiere, wo dieß zur Erzeugung
des Spiritus nothwendig iſt, ſondern es genügte bei den Pflanzen,
die Flüſſigkeit durch die Berührung mit der medulla cordis
(im Wurzelhals) zu verändern, ſo wie bei den Thieren eine
derartige Veränderung im Mark des Gehirns oder in der Leber
bewirkt wird; denn auch in dieſen Organen ſind, wie bei den
Pflanzen die Venen ſehr eng.
Da die Pflanzen jeder Sinneswahrnehmung entbehren, ſo
können ſie auch nicht wie die Thiere, ihre Nahrung ausſuchen,
ſondern ſie ziehen die Feuchtigkeit in der Erde auf andere Weiſe
an ſich; es ſei jedoch ſchwer einzuſehen, wie das zugeht. Indem
nun Caeſalpin darüber Rechenſchaft zu geben ſucht, läßt er uns
nicht nur einen Blick in die damals herrſchenden phyſikaliſchen
Vorſtellungen thun; ſondern wir ſehen auch mit Ueberraſchung
den Verſuch zu der phyſikaliſchen Erklärung einer Lebenserſchein-
ung gemacht, der über die ariſtoteliſche Denkweiſe hinausgeht
und zugleich den richtigen Weg einſchlägt. Nicht die ratio
similitudinis, welche das Eiſen zum Magneten hinzieht, könne
die Anziehung des Saftes durch die Wurzel bewirken; denn in
einem ſolchen Falle werde das Kleinere zum Größeren hinge-
zogen; wäre nun die Anziehung der Erdflüſſigkeit durch die
Wurzel ſo zu denken, wie die Anziehung des Eiſens durch den
Magneten, ſo müßte die Erdfeuchtigkeit ihrerſeits den Saft aus
den Pflanzen herausziehen, was doch eben nicht geſchieht. Auch
könne es nicht die ratio vacui; ſein; denn da in der Erde nicht
bloß Feuchtigkeit, ſondern auch Luft enthalten iſt, ſo würde ſich
die Pflanze in Folge dieſes Princips nicht mit Saft, ſondern mit
Luft erfüllen. Nun aber findet Caeſalpin eine dritte Art von
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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