Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Feststellung des Nahrungsmaterials der Pflanzen.
Form der Darstellung, was Liebig über die Nothwendigkeit
und specifische Bedeutung der Aschenbestandtheile für die Er-
nährung der Pflanze sagt. Statt den Nachdruck auf die experi-
mentelle Beantwortung der Frage zu legen: welche Bestandtheile
der Asche sind für das Gedeihen einer oder aller Pflanzen ab-
solut unentbehrlich, verlor sich Liebig hier in geistreiche che-
mische Theorieen, welche über die Bedeutung der unorganischen
Basen für die Bindung der Pflanzensäuren Auskunft geben
sollten, über die gegenseitige Ersetzbarkeit verschiedener Basen u. s. w.

Es ist für unsern Zweck nicht nöthig, den Anwendungen zu
folgen, welche Liebig von seinen theoretischen Betrachtungen auf
die Agricultur machte und noch viel weniger brauchen wir uns
hier mit dem ungeheuren Aufsehen und den Diskussionen zu be-
fassen, welche Liebig's Werk unter praktischen und theoretischen
Landwirthen und Agriculturchemikern hervorrief. Reiner und
bestimmter, als auf diesen Gebieten trat der wissenschaftliche
Gewinn von Liebig's Betrachtungen über die Ernährung der
Pflanzen bei den Pflanzenphysiologen hervor; für diese kamen
ganz vorwiegend die oben hervorgehobenen Puncte in Betracht.
Zwar rief Liebig's Werk auch hier lebhaften Widerspruch
hervor und gerade die beiden Hauptvertreter der Pflanzenphy-
siologie im Anfang der vierziger Jahre, Schleiden und Mohl,
traten mit schonungsloser Kritik gegen ihn auf, die zum Theil
jedenfalls durch die eigenthümliche Beweisführung Liebig's,
durch die den Botanikern ganz ungewohnte deduktive Behandlung
physiologischer Fragen hervorgerufen war; außerdem aber hielten
es beide für ihre Pflicht, den ehrenrührigen Auslassungen Liebig's
gegen die Pflanzenphysiologen entgegenzutreten. Diesen letzteren
und den Botanikern hatte er nämlich die Verantwortung für
den ganzen Nonsens der Humustheorie und ihrer Dependenzen
aufgebürdet, und mit Recht fragte Mohl, ob etwa Saussure,
Davy, Carl Sprengel, Berzelius, Mulder, welche die
Humustheorie begründet hatten, Botaniker seien. Ganz über-
flüssig aber war, daß Mohl, Schleiden u. A. sich durch
Liebig's Vorwurf getroffen fühlten, insofern es sich um Pflan-

Feſtſtellung des Nahrungsmaterials der Pflanzen.
Form der Darſtellung, was Liebig über die Nothwendigkeit
und ſpecifiſche Bedeutung der Aſchenbeſtandtheile für die Er-
nährung der Pflanze ſagt. Statt den Nachdruck auf die experi-
mentelle Beantwortung der Frage zu legen: welche Beſtandtheile
der Aſche ſind für das Gedeihen einer oder aller Pflanzen ab-
ſolut unentbehrlich, verlor ſich Liebig hier in geiſtreiche che-
miſche Theorieen, welche über die Bedeutung der unorganiſchen
Baſen für die Bindung der Pflanzenſäuren Auskunft geben
ſollten, über die gegenſeitige Erſetzbarkeit verſchiedener Baſen u. ſ. w.

Es iſt für unſern Zweck nicht nöthig, den Anwendungen zu
folgen, welche Liebig von ſeinen theoretiſchen Betrachtungen auf
die Agricultur machte und noch viel weniger brauchen wir uns
hier mit dem ungeheuren Aufſehen und den Diskuſſionen zu be-
faſſen, welche Liebig's Werk unter praktiſchen und theoretiſchen
Landwirthen und Agriculturchemikern hervorrief. Reiner und
beſtimmter, als auf dieſen Gebieten trat der wiſſenſchaftliche
Gewinn von Liebig's Betrachtungen über die Ernährung der
Pflanzen bei den Pflanzenphyſiologen hervor; für dieſe kamen
ganz vorwiegend die oben hervorgehobenen Puncte in Betracht.
Zwar rief Liebig's Werk auch hier lebhaften Widerſpruch
hervor und gerade die beiden Hauptvertreter der Pflanzenphy-
ſiologie im Anfang der vierziger Jahre, Schleiden und Mohl,
traten mit ſchonungsloſer Kritik gegen ihn auf, die zum Theil
jedenfalls durch die eigenthümliche Beweisführung Liebig's,
durch die den Botanikern ganz ungewohnte deduktive Behandlung
phyſiologiſcher Fragen hervorgerufen war; außerdem aber hielten
es beide für ihre Pflicht, den ehrenrührigen Auslaſſungen Liebig's
gegen die Pflanzenphyſiologen entgegenzutreten. Dieſen letzteren
und den Botanikern hatte er nämlich die Verantwortung für
den ganzen Nonſens der Humustheorie und ihrer Dependenzen
aufgebürdet, und mit Recht fragte Mohl, ob etwa Sauſſure,
Davy, Carl Sprengel, Berzelius, Mulder, welche die
Humustheorie begründet hatten, Botaniker ſeien. Ganz über-
flüſſig aber war, daß Mohl, Schleiden u. A. ſich durch
Liebig's Vorwurf getroffen fühlten, inſofern es ſich um Pflan-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0583" n="571"/><fw place="top" type="header">Fe&#x017F;t&#x017F;tellung des Nahrungsmaterials der Pflanzen.</fw><lb/>
Form der Dar&#x017F;tellung, was <hi rendition="#g">Liebig</hi> über die Nothwendigkeit<lb/>
und &#x017F;pecifi&#x017F;che Bedeutung der A&#x017F;chenbe&#x017F;tandtheile für die Er-<lb/>
nährung der Pflanze &#x017F;agt. Statt den Nachdruck auf die experi-<lb/>
mentelle Beantwortung der Frage zu legen: welche Be&#x017F;tandtheile<lb/>
der A&#x017F;che &#x017F;ind für das Gedeihen einer oder aller Pflanzen ab-<lb/>
&#x017F;olut unentbehrlich, verlor &#x017F;ich <hi rendition="#g">Liebig</hi> hier in gei&#x017F;treiche che-<lb/>
mi&#x017F;che Theorieen, welche über die Bedeutung der unorgani&#x017F;chen<lb/>
Ba&#x017F;en für die Bindung der Pflanzen&#x017F;äuren Auskunft geben<lb/>
&#x017F;ollten, über die gegen&#x017F;eitige Er&#x017F;etzbarkeit ver&#x017F;chiedener Ba&#x017F;en u. &#x017F;. w.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t für un&#x017F;ern Zweck nicht nöthig, den Anwendungen zu<lb/>
folgen, welche <hi rendition="#g">Liebig</hi> von &#x017F;einen theoreti&#x017F;chen Betrachtungen auf<lb/>
die Agricultur machte und noch viel weniger brauchen wir uns<lb/>
hier mit dem ungeheuren Auf&#x017F;ehen und den Disku&#x017F;&#x017F;ionen zu be-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, welche <hi rendition="#g">Liebig</hi>'s Werk unter prakti&#x017F;chen und theoreti&#x017F;chen<lb/>
Landwirthen und Agriculturchemikern hervorrief. Reiner und<lb/>
be&#x017F;timmter, als auf die&#x017F;en Gebieten trat der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche<lb/>
Gewinn von <hi rendition="#g">Liebig</hi>'s Betrachtungen über die Ernährung der<lb/>
Pflanzen bei den Pflanzenphy&#x017F;iologen hervor; für die&#x017F;e kamen<lb/>
ganz vorwiegend die oben hervorgehobenen Puncte in Betracht.<lb/>
Zwar rief <hi rendition="#g">Liebig</hi>'s Werk auch hier lebhaften Wider&#x017F;pruch<lb/>
hervor und gerade die beiden Hauptvertreter der Pflanzenphy-<lb/>
&#x017F;iologie im Anfang der vierziger Jahre, Schleiden und Mohl,<lb/>
traten mit &#x017F;chonungslo&#x017F;er Kritik gegen ihn auf, die zum Theil<lb/>
jedenfalls durch die eigenthümliche Beweisführung <hi rendition="#g">Liebig</hi>'s,<lb/>
durch die den Botanikern ganz ungewohnte deduktive Behandlung<lb/>
phy&#x017F;iologi&#x017F;cher Fragen hervorgerufen war; außerdem aber hielten<lb/>
es beide für ihre Pflicht, den ehrenrührigen Ausla&#x017F;&#x017F;ungen <hi rendition="#g">Liebig</hi>'s<lb/>
gegen die Pflanzenphy&#x017F;iologen entgegenzutreten. Die&#x017F;en letzteren<lb/>
und den Botanikern hatte er nämlich die Verantwortung für<lb/>
den ganzen Non&#x017F;ens der Humustheorie und ihrer Dependenzen<lb/>
aufgebürdet, und mit Recht fragte <hi rendition="#g">Mohl</hi>, ob etwa <hi rendition="#g">Sau&#x017F;&#x017F;ure</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Davy</hi>, Carl Sprengel, <hi rendition="#g">Berzelius</hi>, <hi rendition="#g">Mulder</hi>, welche die<lb/>
Humustheorie begründet hatten, Botaniker &#x017F;eien. Ganz über-<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;ig aber war, daß <hi rendition="#g">Mohl</hi>, <hi rendition="#g">Schleiden</hi> u. A. &#x017F;ich durch<lb/><hi rendition="#g">Liebig</hi>'s Vorwurf getroffen fühlten, in&#x017F;ofern es &#x017F;ich um Pflan-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[571/0583] Feſtſtellung des Nahrungsmaterials der Pflanzen. Form der Darſtellung, was Liebig über die Nothwendigkeit und ſpecifiſche Bedeutung der Aſchenbeſtandtheile für die Er- nährung der Pflanze ſagt. Statt den Nachdruck auf die experi- mentelle Beantwortung der Frage zu legen: welche Beſtandtheile der Aſche ſind für das Gedeihen einer oder aller Pflanzen ab- ſolut unentbehrlich, verlor ſich Liebig hier in geiſtreiche che- miſche Theorieen, welche über die Bedeutung der unorganiſchen Baſen für die Bindung der Pflanzenſäuren Auskunft geben ſollten, über die gegenſeitige Erſetzbarkeit verſchiedener Baſen u. ſ. w. Es iſt für unſern Zweck nicht nöthig, den Anwendungen zu folgen, welche Liebig von ſeinen theoretiſchen Betrachtungen auf die Agricultur machte und noch viel weniger brauchen wir uns hier mit dem ungeheuren Aufſehen und den Diskuſſionen zu be- faſſen, welche Liebig's Werk unter praktiſchen und theoretiſchen Landwirthen und Agriculturchemikern hervorrief. Reiner und beſtimmter, als auf dieſen Gebieten trat der wiſſenſchaftliche Gewinn von Liebig's Betrachtungen über die Ernährung der Pflanzen bei den Pflanzenphyſiologen hervor; für dieſe kamen ganz vorwiegend die oben hervorgehobenen Puncte in Betracht. Zwar rief Liebig's Werk auch hier lebhaften Widerſpruch hervor und gerade die beiden Hauptvertreter der Pflanzenphy- ſiologie im Anfang der vierziger Jahre, Schleiden und Mohl, traten mit ſchonungsloſer Kritik gegen ihn auf, die zum Theil jedenfalls durch die eigenthümliche Beweisführung Liebig's, durch die den Botanikern ganz ungewohnte deduktive Behandlung phyſiologiſcher Fragen hervorgerufen war; außerdem aber hielten es beide für ihre Pflicht, den ehrenrührigen Auslaſſungen Liebig's gegen die Pflanzenphyſiologen entgegenzutreten. Dieſen letzteren und den Botanikern hatte er nämlich die Verantwortung für den ganzen Nonſens der Humustheorie und ihrer Dependenzen aufgebürdet, und mit Recht fragte Mohl, ob etwa Sauſſure, Davy, Carl Sprengel, Berzelius, Mulder, welche die Humustheorie begründet hatten, Botaniker ſeien. Ganz über- flüſſig aber war, daß Mohl, Schleiden u. A. ſich durch Liebig's Vorwurf getroffen fühlten, inſofern es ſich um Pflan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/583
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/583>, abgerufen am 22.11.2024.