er jedoch keineswegs nur sinnbildlich oder metaphorisch, vielmehr sah er in dem Pflanzenschlaf eine, dem thierischen ganz analoge Erscheinung. Daß die Schlafbewegungen nicht willkürliche, sondern durch äußere Einflüsse bewirkte seien, folgte für ihn aus dem Wesen und Begriff der Pflanze, wonach diese zwar lebt und wächst, aber der Empfindung entbehrt. Hervorzuheben ist aber die richtige Wahrnehmung, daß es nicht oder nicht allein Wärme-, sondern Lichtveränderungen sind, welche die Schlafbewegungen der Blätter veranlassen, da dieselben in der gleichmäßigen Tem- peratur eines Gewächshauses ebenfalls stattfinden.
Im Gegensatz zu der zwar nur formalen, aber doch wohl- geordneten Behandlung, welche Linne diesen Bewegungsformen widmete, steht die gleichzeitige Bearbeitung dieser und anderer Erscheinungen von Seiten Bonnet's. Es läßt sich kaum etwas Formloseres, kaum eine gründlichere Verwirrung des Allerver- schiedensten denken, als in den Experimenten und Reflexionen Bonnet's über die verschiedenen Bewegungen der Blätter und Stengel in seinem Werk "über den Nutzen der Blätter" 1754; geotropische und heliotropische Krümmungen, Nutationen und periodische Blattbewegungen, Alles läuft hier durch einander; seine Versuche bieten zwar Jemanden, der schon weiß, worauf es ankommt, im Einzelnen ab und zu etwas Brauchbares, er selbst aber wußte Nichts aus ihnen zu machen. Eine vorgefaßte Meinung verdarb ihm von vornherein das Verständniß dessen, was seine Experimente ihm zeigten; ihm kam es nur darauf an, durch recht viele Beispiele zu beweisen, daß Stengel und Blätter unter allen Umständen sich so krümmen, drehen und wenden, daß die Blattunterseiten abwärts gerichtet werden, um den Thau aufsaugen zu können, der nach Bonnet die Hauptnahrung der Pflanzen ist und aus der Erde emporsteigt. Es ist nur ein ge- ringes Lob, daß sich bei aller Verwirrung doch auch ab und zu einzelne richtige Wahrnehmungen ihm aufdrängten, wie die, daß vorwiegend die jungen und dehnbaren Organe, wenn sie aus ihrer natürlichen Lage gebracht worden sind, durch Krümmungen und Drehungen dieselbe wieder zu gewinnen suchen. Ganz ge-
Geſchichte der Phytodynamik.
er jedoch keineswegs nur ſinnbildlich oder metaphoriſch, vielmehr ſah er in dem Pflanzenſchlaf eine, dem thieriſchen ganz analoge Erſcheinung. Daß die Schlafbewegungen nicht willkürliche, ſondern durch äußere Einflüſſe bewirkte ſeien, folgte für ihn aus dem Weſen und Begriff der Pflanze, wonach dieſe zwar lebt und wächſt, aber der Empfindung entbehrt. Hervorzuheben iſt aber die richtige Wahrnehmung, daß es nicht oder nicht allein Wärme-, ſondern Lichtveränderungen ſind, welche die Schlafbewegungen der Blätter veranlaſſen, da dieſelben in der gleichmäßigen Tem- peratur eines Gewächshauſes ebenfalls ſtattfinden.
Im Gegenſatz zu der zwar nur formalen, aber doch wohl- geordneten Behandlung, welche Linné dieſen Bewegungsformen widmete, ſteht die gleichzeitige Bearbeitung dieſer und anderer Erſcheinungen von Seiten Bonnet's. Es läßt ſich kaum etwas Formloſeres, kaum eine gründlichere Verwirrung des Allerver- ſchiedenſten denken, als in den Experimenten und Reflexionen Bonnet's über die verſchiedenen Bewegungen der Blätter und Stengel in ſeinem Werk „über den Nutzen der Blätter“ 1754; geotropiſche und heliotropiſche Krümmungen, Nutationen und periodiſche Blattbewegungen, Alles läuft hier durch einander; ſeine Verſuche bieten zwar Jemanden, der ſchon weiß, worauf es ankommt, im Einzelnen ab und zu etwas Brauchbares, er ſelbſt aber wußte Nichts aus ihnen zu machen. Eine vorgefaßte Meinung verdarb ihm von vornherein das Verſtändniß deſſen, was ſeine Experimente ihm zeigten; ihm kam es nur darauf an, durch recht viele Beiſpiele zu beweiſen, daß Stengel und Blätter unter allen Umſtänden ſich ſo krümmen, drehen und wenden, daß die Blattunterſeiten abwärts gerichtet werden, um den Thau aufſaugen zu können, der nach Bonnet die Hauptnahrung der Pflanzen iſt und aus der Erde emporſteigt. Es iſt nur ein ge- ringes Lob, daß ſich bei aller Verwirrung doch auch ab und zu einzelne richtige Wahrnehmungen ihm aufdrängten, wie die, daß vorwiegend die jungen und dehnbaren Organe, wenn ſie aus ihrer natürlichen Lage gebracht worden ſind, durch Krümmungen und Drehungen dieſelbe wieder zu gewinnen ſuchen. Ganz ge-
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Geſchichte der Phytodynamik.
er jedoch keineswegs nur ſinnbildlich oder metaphoriſch, vielmehr
ſah er in dem Pflanzenſchlaf eine, dem thieriſchen ganz analoge
Erſcheinung. Daß die Schlafbewegungen nicht willkürliche, ſondern
durch äußere Einflüſſe bewirkte ſeien, folgte für ihn aus dem
Weſen und Begriff der Pflanze, wonach dieſe zwar lebt und
wächſt, aber der Empfindung entbehrt. Hervorzuheben iſt aber
die richtige Wahrnehmung, daß es nicht oder nicht allein Wärme-,
ſondern Lichtveränderungen ſind, welche die Schlafbewegungen
der Blätter veranlaſſen, da dieſelben in der gleichmäßigen Tem-
peratur eines Gewächshauſes ebenfalls ſtattfinden.
Im Gegenſatz zu der zwar nur formalen, aber doch wohl-
geordneten Behandlung, welche Linné dieſen Bewegungsformen
widmete, ſteht die gleichzeitige Bearbeitung dieſer und anderer
Erſcheinungen von Seiten Bonnet's. Es läßt ſich kaum etwas
Formloſeres, kaum eine gründlichere Verwirrung des Allerver-
ſchiedenſten denken, als in den Experimenten und Reflexionen
Bonnet's über die verſchiedenen Bewegungen der Blätter und
Stengel in ſeinem Werk „über den Nutzen der Blätter“ 1754;
geotropiſche und heliotropiſche Krümmungen, Nutationen und
periodiſche Blattbewegungen, Alles läuft hier durch einander;
ſeine Verſuche bieten zwar Jemanden, der ſchon weiß, worauf
es ankommt, im Einzelnen ab und zu etwas Brauchbares, er
ſelbſt aber wußte Nichts aus ihnen zu machen. Eine vorgefaßte
Meinung verdarb ihm von vornherein das Verſtändniß deſſen,
was ſeine Experimente ihm zeigten; ihm kam es nur darauf an,
durch recht viele Beiſpiele zu beweiſen, daß Stengel und Blätter
unter allen Umſtänden ſich ſo krümmen, drehen und wenden,
daß die Blattunterſeiten abwärts gerichtet werden, um den Thau
aufſaugen zu können, der nach Bonnet die Hauptnahrung der
Pflanzen iſt und aus der Erde emporſteigt. Es iſt nur ein ge-
ringes Lob, daß ſich bei aller Verwirrung doch auch ab und zu
einzelne richtige Wahrnehmungen ihm aufdrängten, wie die, daß
vorwiegend die jungen und dehnbaren Organe, wenn ſie aus
ihrer natürlichen Lage gebracht worden ſind, durch Krümmungen
und Drehungen dieſelbe wieder zu gewinnen ſuchen. Ganz ge-
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/597>, abgerufen am 22.11.2024.
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