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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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Gesinnungen. Wehe daher den Predigern, die ihrer
Pflicht vergessen, entweder der Obrigkeit schmeicheln,
oder das Volk reizen, und wie immer dazu beytragen,
dass die Wahrheit auch am Fusse des Altars nicht alle-
mal sicher sey, wo sie immer ihr Asyl finden sollte.

Das Christenthum knüpft d. auch dadurch die
Bande zwischen Obrigkeit und Unterthän fester, dass
sie in den Unterthanen die schwärmerischen Begriffe
von Freyheit, die so viel Jammer in der Welt anrich-
ten, rectificirt, und den Hang nach Freyheit vor Zü-
gellosigkeit bewahrt; in der Obrigkeit den Hang, die
Obergewalt über ihre Gränzen auszudehnen, in Ord-
nung bringt und in Ordnung hält. Es giebt, nach dem
Geiste der Lehre Jesu, keine wahre Freyheit, als die im
Freyseyn von Sünde und den Folgen der Sünde besteht.
Wer sündiget, der ist ein Knecht der Sünde. Jeder Sou-
verän ist, nach dem Geiste des Christenthums, Unter-
than eines höhern Souveräns, der Kronen giebt und
nimmt. Jeder Mensch, er sey Bürger oder Herrscher,
trägt die Willkühr in sich, das schreckliche Ding,
das (nach einem Worte zu rechter Zeit -- Asmus
V. Th. von der Freyheit,) in dem Bürger nicht genug
gehorsamen, und in dem Herrscher zu viel befehlen
will. Wenn also diese Willkühr, diese Lust zu thun,
was gelüstet, nicht durch Religion, durch Glaube an
den Vater und Richter der Menschen geordnet und dem
heiligen Gesetze unsrer Natur unterworfen wird: so
muss diese zügellose Willkühr, sie mag nun in dem
Volke oder in der Obrigkeit oder in beyden zügellos
seyn, eine Zerrüttung hervorbringen, gegen die we-

der

Geſinnungen. Wehe daher den Predigern, die ihrer
Pflicht vergeſſen, entweder der Obrigkeit ſchmeicheln,
oder das Volk reizen, und wie immer dazu beytragen,
daſs die Wahrheit auch am Fuſſe des Altars nicht alle-
mal ſicher ſey, wo ſie immer ihr Aſyl finden ſollte.

Das Chriſtenthum knüpft d. auch dadurch die
Bande zwiſchen Obrigkeit und Unterthän feſter, daſs
ſie in den Unterthanen die ſchwärmeriſchen Begriffe
von Freyheit, die ſo viel Jammer in der Welt anrich-
ten, rectificirt, und den Hang nach Freyheit vor Zü-
gelloſigkeit bewahrt; in der Obrigkeit den Hang, die
Obergewalt über ihre Gränzen auszudehnen, in Ord-
nung bringt und in Ordnung hält. Es giebt, nach dem
Geiſte der Lehre Jeſu, keine wahre Freyheit, als die im
Freyſeyn von Sünde und den Folgen der Sünde beſteht.
Wer ſündiget, der iſt ein Knecht der Sünde. Jeder Sou-
verän iſt, nach dem Geiſte des Chriſtenthums, Unter-
than eines höhern Souveräns, der Kronen giebt und
nimmt. Jeder Menſch, er ſey Bürger oder Herrſcher,
trägt die Willkühr in ſich, das ſchreckliche Ding,
das (nach einem Worte zu rechter Zeit — Asmus
V. Th. von der Freyheit,) in dem Bürger nicht genug
gehorſamen, und in dem Herrſcher zu viel befehlen
will. Wenn alſo dieſe Willkühr, dieſe Luſt zu thun,
was gelüſtet, nicht durch Religion, durch Glaube an
den Vater und Richter der Menſchen geordnet und dem
heiligen Geſetze unſrer Natur unterworfen wird: ſo
muſs dieſe zügelloſe Willkühr, ſie mag nun in dem
Volke oder in der Obrigkeit oder in beyden zügellos
ſeyn, eine Zerrüttung hervorbringen, gegen die we-

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[102/0116] Geſinnungen. Wehe daher den Predigern, die ihrer Pflicht vergeſſen, entweder der Obrigkeit ſchmeicheln, oder das Volk reizen, und wie immer dazu beytragen, daſs die Wahrheit auch am Fuſſe des Altars nicht alle- mal ſicher ſey, wo ſie immer ihr Aſyl finden ſollte. Das Chriſtenthum knüpft d. auch dadurch die Bande zwiſchen Obrigkeit und Unterthän feſter, daſs ſie in den Unterthanen die ſchwärmeriſchen Begriffe von Freyheit, die ſo viel Jammer in der Welt anrich- ten, rectificirt, und den Hang nach Freyheit vor Zü- gelloſigkeit bewahrt; in der Obrigkeit den Hang, die Obergewalt über ihre Gränzen auszudehnen, in Ord- nung bringt und in Ordnung hält. Es giebt, nach dem Geiſte der Lehre Jeſu, keine wahre Freyheit, als die im Freyſeyn von Sünde und den Folgen der Sünde beſteht. Wer ſündiget, der iſt ein Knecht der Sünde. Jeder Sou- verän iſt, nach dem Geiſte des Chriſtenthums, Unter- than eines höhern Souveräns, der Kronen giebt und nimmt. Jeder Menſch, er ſey Bürger oder Herrſcher, trägt die Willkühr in ſich, das ſchreckliche Ding, das (nach einem Worte zu rechter Zeit — Asmus V. Th. von der Freyheit,) in dem Bürger nicht genug gehorſamen, und in dem Herrſcher zu viel befehlen will. Wenn alſo dieſe Willkühr, dieſe Luſt zu thun, was gelüſtet, nicht durch Religion, durch Glaube an den Vater und Richter der Menſchen geordnet und dem heiligen Geſetze unſrer Natur unterworfen wird: ſo muſs dieſe zügelloſe Willkühr, ſie mag nun in dem Volke oder in der Obrigkeit oder in beyden zügellos ſeyn, eine Zerrüttung hervorbringen, gegen die we- der

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/116>, abgerufen am 21.11.2024.