Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.Fern von Einfalt und Natur, hat sie es nur mit muss D
Fern von Einfalt und Natur, hat ſie es nur mit muſs D
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0063" n="49"/> <p>Fern von Einfalt und Natur, hat ſie es nur mit<lb/> gekünſtelten Gegenſätzen, zugeründeten Perioden,<lb/> blendendem Putz zu thun. Sie hat keinen Zweck, als<lb/> durch die Harmonie der Töne dem Ohre zu ſchmei-<lb/> cheln, und nur immer an der Sprache zu feilen. Sie<lb/> weiſst nicht, daſs der blühende Styl, ſo angenehm<lb/> er immer ſey, ſich nie über die Mittelmäſſigkeit er-<lb/> heben kann. Feinheit der Gedanken und ausgeſuchte<lb/> Geſichtspunkte müſſen bey ihr die Stelle der lichten<lb/> Wahrheiten vertreten. Nie geht ſie bis zu den er-<lb/> ſten Grundſätzen hinauf. Nie kann ſie ſich mit der<lb/> einfältigen Wahrheit begnügen. Ueberall ſchüttet ſie<lb/> zu viel Salz aus. Sie weiſs nicht, daſs übertriebene<lb/> Feinheit in eitle Spitzfindigkeit ausarte; daſs der gute<lb/> Geſchmack nichts ſo ſehr ſcheue, als das <hi rendition="#i">Zu viel</hi> auch<lb/> in Sachen des Verſtandes; daſs <hi rendition="#i">zu viel Verſtand zei-<lb/> gen</hi> und <hi rendition="#i">zu wenig haben</hi> — eines ſey. O, was wahr-<lb/> haft ſublim iſt, das iſt ſo voll Einfalt und Natur, daſs<lb/> man glauben ſollte, es hätte jedem zuerſt einfallen<lb/> müſſen; ſo gemein, daſs jeder in Verſuchung geräth<lb/> zu glauben, er hätte es ohne Mühe gefunden. In-<lb/> deſs finden es ſehr wenige, weil ſich nur wenige ſo<lb/> zu vereinfachen wiſſen, daſs ſie überall der reinen<lb/> Natur folgen. — Die falſche Beredſamkeit ſetzt end-<lb/> lich an die Stelle der Empfindungen des Herzens,<lb/> Maximen des Verſtandes, und wo ſtarke Bewegun-<lb/> gen einer von der Liebe zum Schönen ergriffenen<lb/> Seele ſeyn ſollten, da kommt ein Gericht trockner<lb/> Sittenſprüche vor. So lange man glaubt, daſs die<lb/> Eigenliebe die Quelle aller Tugend ſey, ſo lange<lb/> <fw place="bottom" type="sig">D</fw><fw place="bottom" type="catch">muſs</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [49/0063]
Fern von Einfalt und Natur, hat ſie es nur mit
gekünſtelten Gegenſätzen, zugeründeten Perioden,
blendendem Putz zu thun. Sie hat keinen Zweck, als
durch die Harmonie der Töne dem Ohre zu ſchmei-
cheln, und nur immer an der Sprache zu feilen. Sie
weiſst nicht, daſs der blühende Styl, ſo angenehm
er immer ſey, ſich nie über die Mittelmäſſigkeit er-
heben kann. Feinheit der Gedanken und ausgeſuchte
Geſichtspunkte müſſen bey ihr die Stelle der lichten
Wahrheiten vertreten. Nie geht ſie bis zu den er-
ſten Grundſätzen hinauf. Nie kann ſie ſich mit der
einfältigen Wahrheit begnügen. Ueberall ſchüttet ſie
zu viel Salz aus. Sie weiſs nicht, daſs übertriebene
Feinheit in eitle Spitzfindigkeit ausarte; daſs der gute
Geſchmack nichts ſo ſehr ſcheue, als das Zu viel auch
in Sachen des Verſtandes; daſs zu viel Verſtand zei-
gen und zu wenig haben — eines ſey. O, was wahr-
haft ſublim iſt, das iſt ſo voll Einfalt und Natur, daſs
man glauben ſollte, es hätte jedem zuerſt einfallen
müſſen; ſo gemein, daſs jeder in Verſuchung geräth
zu glauben, er hätte es ohne Mühe gefunden. In-
deſs finden es ſehr wenige, weil ſich nur wenige ſo
zu vereinfachen wiſſen, daſs ſie überall der reinen
Natur folgen. — Die falſche Beredſamkeit ſetzt end-
lich an die Stelle der Empfindungen des Herzens,
Maximen des Verſtandes, und wo ſtarke Bewegun-
gen einer von der Liebe zum Schönen ergriffenen
Seele ſeyn ſollten, da kommt ein Gericht trockner
Sittenſprüche vor. So lange man glaubt, daſs die
Eigenliebe die Quelle aller Tugend ſey, ſo lange
muſs
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