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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Dritter Abschnitt.
chen vom Selbstmorde: auf einmal, da die
Zeit den Trug der Verheissungen aufdecket,
und der Elende sich in allen seinen Hoffnun-
gen betrogen findet, da rücken sie mit dem
bis auf den Augenblick geheim gehaltenen
Projecte heraus, und weisen mit ausgestreck-
tem Zeigefinger auf Selbstentleibung, als den
einzigen Ausweg. Der Unglückliche folgt
auch dem letzten Rath seiner angebeteten
Freundinn, wie er den frühern blind gefol-
get war -- und ist nicht mehr. Kurz: in
den Prämissen paradirt nichts als Lust, Se-
ligkeit,
und in der Conclusion steckt der
Selbstmord.

Was ist Sophisterey des Herzens ge-
gen den Verstand, wenn dieß keine ist?
Und was ist Vernunftsache, wenn die Auf-
deckung der Sophistereyen keine ist? -- --
Laßt uns also, Brüder, denen das Men-
schenleben theuer ist, die überschriene Ver-
nunft in Schutz nehmen gegen die Sophiste-
reyen des Herzens; laßt uns die Fehlschlüs-
se der Leidenschaft scharf prüfen, und die
Irrgänge des vom Herzen verführten Ver-
standes, mit der Fackel der gesunden Be-

griffe

Dritter Abſchnitt.
chen vom Selbſtmorde: auf einmal, da die
Zeit den Trug der Verheiſſungen aufdecket,
und der Elende ſich in allen ſeinen Hoffnun-
gen betrogen findet, da ruͤcken ſie mit dem
bis auf den Augenblick geheim gehaltenen
Projecte heraus, und weiſen mit ausgeſtreck-
tem Zeigefinger auf Selbſtentleibung, als den
einzigen Ausweg. Der Ungluͤckliche folgt
auch dem letzten Rath ſeiner angebeteten
Freundinn, wie er den fruͤhern blind gefol-
get war — und iſt nicht mehr. Kurz: in
den Praͤmiſſen paradirt nichts als Luſt, Se-
ligkeit,
und in der Concluſion ſteckt der
Selbſtmord.

Was iſt Sophiſterey des Herzens ge-
gen den Verſtand, wenn dieß keine iſt?
Und was iſt Vernunftſache, wenn die Auf-
deckung der Sophiſtereyen keine iſt? — —
Laßt uns alſo, Bruͤder, denen das Men-
ſchenleben theuer iſt, die uͤberſchriene Ver-
nunft in Schutz nehmen gegen die Sophiſte-
reyen des Herzens; laßt uns die Fehlſchluͤſ-
ſe der Leidenſchaft ſcharf pruͤfen, und die
Irrgaͤnge des vom Herzen verfuͤhrten Ver-
ſtandes, mit der Fackel der geſunden Be-

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[156/0168] Dritter Abſchnitt. chen vom Selbſtmorde: auf einmal, da die Zeit den Trug der Verheiſſungen aufdecket, und der Elende ſich in allen ſeinen Hoffnun- gen betrogen findet, da ruͤcken ſie mit dem bis auf den Augenblick geheim gehaltenen Projecte heraus, und weiſen mit ausgeſtreck- tem Zeigefinger auf Selbſtentleibung, als den einzigen Ausweg. Der Ungluͤckliche folgt auch dem letzten Rath ſeiner angebeteten Freundinn, wie er den fruͤhern blind gefol- get war — und iſt nicht mehr. Kurz: in den Praͤmiſſen paradirt nichts als Luſt, Se- ligkeit, und in der Concluſion ſteckt der Selbſtmord. Was iſt Sophiſterey des Herzens ge- gen den Verſtand, wenn dieß keine iſt? Und was iſt Vernunftſache, wenn die Auf- deckung der Sophiſtereyen keine iſt? — — Laßt uns alſo, Bruͤder, denen das Men- ſchenleben theuer iſt, die uͤberſchriene Ver- nunft in Schutz nehmen gegen die Sophiſte- reyen des Herzens; laßt uns die Fehlſchluͤſ- ſe der Leidenſchaft ſcharf pruͤfen, und die Irrgaͤnge des vom Herzen verfuͤhrten Ver- ſtandes, mit der Fackel der geſunden Be- griffe

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/168>, abgerufen am 21.11.2024.