Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.Dritter Abschnitt. Christen gebrandmarket haben? Da nunaber der Fall gerade umgekehrt ist, da Cato sich selbst gemordet, weil er das Sie- gerantlitz des Cäsars nicht ertragen konnte, und die Christen sich morden liessen, um nur an der gewiß erkannten Wahrheit nicht meyneidig zu werden: wie kommt es, daß Männer, die nach der Vernunft, nicht nach den Leidenschaften richten sollten, so enthu- siastisch gegen die Zeugen der Wahrheit, und so enthusiastisch für den Selbstmör- der eingenommen seyn können? Wie kommt es, daß sie die Starkmut jener als Fa- natismus bemitleiden, und die Grausamkeit dieses gegen seine eigne Existenz, als He- roismus anbeten? Pfuy der elenden Idololatrie in den Drey
Dritter Abſchnitt. Chriſten gebrandmarket haben? Da nunaber der Fall gerade umgekehrt iſt, da Cato ſich ſelbſt gemordet, weil er das Sie- gerantlitz des Caͤſars nicht ertragen konnte, und die Chriſten ſich morden lieſſen, um nur an der gewiß erkannten Wahrheit nicht meyneidig zu werden: wie kommt es, daß Maͤnner, die nach der Vernunft, nicht nach den Leidenſchaften richten ſollten, ſo enthu- ſiaſtiſch gegen die Zeugen der Wahrheit, und ſo enthuſiaſtiſch fuͤr den Selbſtmoͤr- der eingenommen ſeyn koͤnnen? Wie kommt es, daß ſie die Starkmut jener als Fa- natismus bemitleiden, und die Grauſamkeit dieſes gegen ſeine eigne Exiſtenz, als He- roismus anbeten? Pfuy der elenden Idololatrie in den Drey
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0214" n="202"/><fw place="top" type="header">Dritter Abſchnitt.</fw><lb/> Chriſten gebrandmarket haben? Da nun<lb/> aber der Fall gerade umgekehrt iſt, da<lb/> Cato ſich <hi rendition="#fr">ſelbſt gemordet</hi>, weil er das Sie-<lb/> gerantlitz des Caͤſars nicht ertragen konnte,<lb/> und die Chriſten ſich <hi rendition="#fr">morden lieſſen</hi>, um<lb/> nur an der gewiß erkannten Wahrheit nicht<lb/> meyneidig zu werden: wie kommt es, daß<lb/> Maͤnner, die nach der Vernunft, nicht nach<lb/> den Leidenſchaften richten ſollten, ſo enthu-<lb/> ſiaſtiſch gegen die Zeugen der Wahrheit,<lb/> und ſo enthuſiaſtiſch <hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">fuͤr</hi></hi> den Selbſtmoͤr-<lb/> der eingenommen ſeyn koͤnnen? Wie kommt<lb/> es, daß ſie die Starkmut jener als <hi rendition="#fr">Fa-<lb/> natismus</hi> bemitleiden, und die Grauſamkeit<lb/> dieſes gegen ſeine eigne Exiſtenz, als <hi rendition="#fr">He-<lb/> roismus</hi> anbeten?</p><lb/> <p>Pfuy der elenden <hi rendition="#fr">Idololatrie</hi> in den<lb/> Tagen, wo von Mannbarkeit und Freylaſ-<lb/> ſung der Vernunft <hi rendition="#aq">(manumiſſis ingeniis)</hi><lb/> ſo vieles gepoſaunet wird! Das iſt der Adel<lb/> des <hi rendition="#fr">Freygebohrnen Mannes</hi>, daß er die<lb/> Dinge ſieht, wie ſie ſind, und ſchildert,<lb/> wie er ſie ſieht?</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Drey</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [202/0214]
Dritter Abſchnitt.
Chriſten gebrandmarket haben? Da nun
aber der Fall gerade umgekehrt iſt, da
Cato ſich ſelbſt gemordet, weil er das Sie-
gerantlitz des Caͤſars nicht ertragen konnte,
und die Chriſten ſich morden lieſſen, um
nur an der gewiß erkannten Wahrheit nicht
meyneidig zu werden: wie kommt es, daß
Maͤnner, die nach der Vernunft, nicht nach
den Leidenſchaften richten ſollten, ſo enthu-
ſiaſtiſch gegen die Zeugen der Wahrheit,
und ſo enthuſiaſtiſch fuͤr den Selbſtmoͤr-
der eingenommen ſeyn koͤnnen? Wie kommt
es, daß ſie die Starkmut jener als Fa-
natismus bemitleiden, und die Grauſamkeit
dieſes gegen ſeine eigne Exiſtenz, als He-
roismus anbeten?
Pfuy der elenden Idololatrie in den
Tagen, wo von Mannbarkeit und Freylaſ-
ſung der Vernunft (manumiſſis ingeniis)
ſo vieles gepoſaunet wird! Das iſt der Adel
des Freygebohrnen Mannes, daß er die
Dinge ſieht, wie ſie ſind, und ſchildert,
wie er ſie ſieht?
Drey
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |