lendetes gegen die Stimme des Gewissens zu rechtfertigen.
Noch verdient hier angemerkt zu wer- den, daß die berühmtesten Aerzte und Men- schenforscher, um das Phänomen des Selbstmordes erklären zu können, sich ge- nöthiget finden, eine Art von Verrückung der Gedankenreihen in dem Subjecte des Selbstmörders anzunehmen.
Was also alle Gesunddenkende misbil- ligen, wogegen sich das allgemeine Men- schengefühl empöret -- "was sich bey gesun- dem, unverdorbenem Sinne, und ohne eine Zerrüttung im Verstande, nicht einmal den- ken läßt --" das kann doch keine empfeh- lenswürdige -- muß wenigst eine äußerst bemitleidenswerthe That seyn.
Zwar verliert dieser Grund, von dem Aufruhr des Menschengefühles gegen den Selbstmord, je länger je mehr von seiner Kraft auf das menschliche Herz, weil das Selbstmorden, je länger, je (nicht allge- meiner, aber doch) weniger selten zu wer- den scheinet. Je mehrere sich wider dieß
Gefühl
Gruͤnde wider den Selbſtmord.
lendetes gegen die Stimme des Gewiſſens zu rechtfertigen.
Noch verdient hier angemerkt zu wer- den, daß die beruͤhmteſten Aerzte und Men- ſchenforſcher, um das Phaͤnomen des Selbſtmordes erklaͤren zu koͤnnen, ſich ge- noͤthiget finden, eine Art von Verruͤckung der Gedankenreihen in dem Subjecte des Selbſtmoͤrders anzunehmen.
Was alſo alle Geſunddenkende misbil- ligen, wogegen ſich das allgemeine Men- ſchengefuͤhl empoͤret — „was ſich bey geſun- dem, unverdorbenem Sinne, und ohne eine Zerruͤttung im Verſtande, nicht einmal den- ken laͤßt —„ das kann doch keine empfeh- lenswuͤrdige — muß wenigſt eine aͤußerſt bemitleidenswerthe That ſeyn.
Zwar verliert dieſer Grund, von dem Aufruhr des Menſchengefuͤhles gegen den Selbſtmord, je laͤnger je mehr von ſeiner Kraft auf das menſchliche Herz, weil das Selbſtmorden, je laͤnger, je (nicht allge- meiner, aber doch) weniger ſelten zu wer- den ſcheinet. Je mehrere ſich wider dieß
Gefuͤhl
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Gruͤnde wider den Selbſtmord.
lendetes gegen die Stimme des Gewiſſens
zu rechtfertigen.
Noch verdient hier angemerkt zu wer-
den, daß die beruͤhmteſten Aerzte und Men-
ſchenforſcher, um das Phaͤnomen des
Selbſtmordes erklaͤren zu koͤnnen, ſich ge-
noͤthiget finden, eine Art von Verruͤckung
der Gedankenreihen in dem Subjecte des
Selbſtmoͤrders anzunehmen.
Was alſo alle Geſunddenkende misbil-
ligen, wogegen ſich das allgemeine Men-
ſchengefuͤhl empoͤret — „was ſich bey geſun-
dem, unverdorbenem Sinne, und ohne eine
Zerruͤttung im Verſtande, nicht einmal den-
ken laͤßt —„ das kann doch keine empfeh-
lenswuͤrdige — muß wenigſt eine aͤußerſt
bemitleidenswerthe That ſeyn.
Zwar verliert dieſer Grund, von dem
Aufruhr des Menſchengefuͤhles gegen den
Selbſtmord, je laͤnger je mehr von ſeiner
Kraft auf das menſchliche Herz, weil das
Selbſtmorden, je laͤnger, je (nicht allge-
meiner, aber doch) weniger ſelten zu wer-
den ſcheinet. Je mehrere ſich wider dieß
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/25>, abgerufen am 16.07.2024.
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