Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
Gründe wider den Selbstmord.
bin ich satt: geniesse sie, wer will,
mir sind sie eckelhaft, unaussteh-
lich? -- -- Und so spricht die
That jedes Selbstmörders.
Ungehorsam gegen den Herrn des
Lebens. Er sprach zu mir: ar-
beite, dulde, kämpfe, hoffe, bis
der Abend kommt, wo es heißt:
nun ist's des Schweißes, des
Kampfes, des Harrens genug:
Und ich gäbe zur Antwort: ich
kann und will nicht warten, bis
der Abend anbricht, ich will das
Tagewerk enden, ehe der Haus-
vater die Glocke zieht, und den
Feyerabend ankündet? -- --
Und so spricht die That jedes
Selbstmörders.

Un-
dennoch sündigte. Ich warne nur den Jüng-
ling vor der Greuelthat, ich beschreibe nicht
die Empfindung des Selbstmörders. Ich
bin Arzt, der vor dem Gifttranke warnet,
nicht Dichter, der die Gänge malet, wie
ein Mensch zum Gifttrinken mit Bewußtseyn,
kommen kann.
E
Gruͤnde wider den Selbſtmord.
bin ich ſatt: genieſſe ſie, wer will,
mir ſind ſie eckelhaft, unausſteh-
lich? — — Und ſo ſpricht die
That jedes Selbſtmoͤrders.
Ungehorſam gegen den Herrn des
Lebens. Er ſprach zu mir: ar-
beite, dulde, kaͤmpfe, hoffe, bis
der Abend kommt, wo es heißt:
nun iſt’s des Schweißes, des
Kampfes, des Harrens genug:
Und ich gaͤbe zur Antwort: ich
kann und will nicht warten, bis
der Abend anbricht, ich will das
Tagewerk enden, ehe der Haus-
vater die Glocke zieht, und den
Feyerabend ankuͤndet? — —
Und ſo ſpricht die That jedes
Selbſtmoͤrders.

Un-
dennoch ſuͤndigte. Ich warne nur den Juͤng-
ling vor der Greuelthat, ich beſchreibe nicht
die Empfindung des Selbſtmoͤrders. Ich
bin Arzt, der vor dem Gifttranke warnet,
nicht Dichter, der die Gaͤnge malet, wie
ein Menſch zum Gifttrinken mit Bewußtſeyn,
kommen kann.
E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <list>
            <item>
              <list>
                <item><pb facs="#f0077" n="65"/><fw place="top" type="header">Gru&#x0364;nde wider den Selb&#x017F;tmord.</fw><lb/>
bin ich &#x017F;att: genie&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie, wer will,<lb/>
mir &#x017F;ind &#x017F;ie eckelhaft, unaus&#x017F;teh-<lb/>
lich? &#x2014; &#x2014; Und &#x017F;o &#x017F;pricht die<lb/>
That jedes Selb&#x017F;tmo&#x0364;rders.</item><lb/>
                <item><hi rendition="#fr">Ungehor&#x017F;am</hi> gegen den Herrn des<lb/>
Lebens. Er &#x017F;prach zu mir: ar-<lb/>
beite, dulde, ka&#x0364;mpfe, hoffe, bis<lb/>
der Abend kommt, wo es heißt:<lb/>
nun i&#x017F;t&#x2019;s des Schweißes, des<lb/>
Kampfes, des Harrens genug:<lb/>
Und ich ga&#x0364;be zur Antwort: ich<lb/>
kann und will nicht warten, bis<lb/>
der Abend anbricht, ich will das<lb/>
Tagewerk enden, ehe der Haus-<lb/>
vater die Glocke zieht, und den<lb/>
Feyerabend anku&#x0364;ndet? &#x2014; &#x2014;<lb/>
Und &#x017F;o &#x017F;pricht die That jedes<lb/>
Selb&#x017F;tmo&#x0364;rders.</item>
              </list><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Un-</hi> </fw><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="(i)">dennoch &#x017F;u&#x0364;ndigte. Ich <hi rendition="#fr">warne</hi> nur den Ju&#x0364;ng-<lb/>
ling vor der Greuelthat, ich <hi rendition="#fr">be&#x017F;chreibe</hi> nicht<lb/>
die <hi rendition="#fr">Empfindung</hi> des Selb&#x017F;tmo&#x0364;rders. Ich<lb/>
bin Arzt, der vor dem Gifttranke warnet,<lb/>
nicht <hi rendition="#fr">Dichter,</hi> der die Ga&#x0364;nge malet, wie<lb/>
ein Men&#x017F;ch zum Gifttrinken mit Bewußt&#x017F;eyn,<lb/>
kommen kann.</note>
              </p><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">E</fw><lb/>
            </item>
          </list>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0077] Gruͤnde wider den Selbſtmord. bin ich ſatt: genieſſe ſie, wer will, mir ſind ſie eckelhaft, unausſteh- lich? — — Und ſo ſpricht die That jedes Selbſtmoͤrders. Ungehorſam gegen den Herrn des Lebens. Er ſprach zu mir: ar- beite, dulde, kaͤmpfe, hoffe, bis der Abend kommt, wo es heißt: nun iſt’s des Schweißes, des Kampfes, des Harrens genug: Und ich gaͤbe zur Antwort: ich kann und will nicht warten, bis der Abend anbricht, ich will das Tagewerk enden, ehe der Haus- vater die Glocke zieht, und den Feyerabend ankuͤndet? — — Und ſo ſpricht die That jedes Selbſtmoͤrders. Un- (i) (i) dennoch ſuͤndigte. Ich warne nur den Juͤng- ling vor der Greuelthat, ich beſchreibe nicht die Empfindung des Selbſtmoͤrders. Ich bin Arzt, der vor dem Gifttranke warnet, nicht Dichter, der die Gaͤnge malet, wie ein Menſch zum Gifttrinken mit Bewußtſeyn, kommen kann. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/77
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/77>, abgerufen am 24.11.2024.