Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Abschnitt.
sich öffnet dem kommenden Strale der Son-
ne, ist wohl auch, weiß aber nichts darum,
daß sie den Thau trinkt, und Nahrung aus
der Erde saugt, und dem Strale des Mor-
genroths sich öffnet; und das Füllen dort auf
der Weide, das munter springt und freudig
wiehert, ist auch, und empfindet auch, kann
aber diese Empfindung der Freude durch Nach-
denken nicht wieder geniessen. --

In der Mitte dieser Erdegeschöpfe, die kein
Gefühl Ihrer Selbst, kein Anschauen Ihres
Werthes in sich haben, bin ich, und weiß,
daß ich bin, und kann mich freuen, daß ich
bin, und kann diese Freude durch Nachden-
ken vergrößern -- und ich soll mit dieser
Kraft zu empfinden, daß ich bin, mit die-
ser Kraft froh zu werden, daß ich bin, mit
dieser Kraft die Freude an meinem Seyn
durch Nachdenken, Selbstbewußtseyn wie-
der zu geniessen, und durch Wiedergenuß
zu vergrößern -- Ich, nicht Stein, nicht
Blume, mehr als Thier, Ich Mensch soll
sprechen: Ich will nimmer seyn?



Zweyter

Erſter Abſchnitt.
ſich oͤffnet dem kommenden Strale der Son-
ne, iſt wohl auch, weiß aber nichts darum,
daß ſie den Thau trinkt, und Nahrung aus
der Erde ſaugt, und dem Strale des Mor-
genroths ſich oͤffnet; und das Fuͤllen dort auf
der Weide, das munter ſpringt und freudig
wiehert, iſt auch, und empfindet auch, kann
aber dieſe Empfindung der Freude durch Nach-
denken nicht wieder genieſſen. —

In der Mitte dieſer Erdegeſchoͤpfe, die kein
Gefuͤhl Ihrer Selbſt, kein Anſchauen Ihres
Werthes in ſich haben, bin ich, und weiß,
daß ich bin, und kann mich freuen, daß ich
bin, und kann dieſe Freude durch Nachden-
ken vergroͤßern — und ich ſoll mit dieſer
Kraft zu empfinden, daß ich bin, mit die-
ſer Kraft froh zu werden, daß ich bin, mit
dieſer Kraft die Freude an meinem Seyn
durch Nachdenken, Selbſtbewußtſeyn wie-
der zu genieſſen, und durch Wiedergenuß
zu vergroͤßern — Ich, nicht Stein, nicht
Blume, mehr als Thier, Ich Menſch ſoll
ſprechen: Ich will nimmer ſeyn?



Zweyter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0092" n="80"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
&#x017F;ich o&#x0364;ffnet dem kommenden Strale der Son-<lb/>
ne, i&#x017F;t wohl auch, weiß aber nichts darum,<lb/>
daß &#x017F;ie den Thau trinkt, und Nahrung aus<lb/>
der Erde &#x017F;augt, und dem Strale des Mor-<lb/>
genroths &#x017F;ich o&#x0364;ffnet; und das <hi rendition="#fr">Fu&#x0364;llen</hi> dort auf<lb/>
der Weide, das munter &#x017F;pringt und freudig<lb/>
wiehert, i&#x017F;t auch, und empfindet auch, kann<lb/>
aber die&#x017F;e Empfindung der Freude durch Nach-<lb/>
denken nicht wieder genie&#x017F;&#x017F;en. &#x2014;</p><lb/>
          <p>In der Mitte die&#x017F;er Erdege&#x017F;cho&#x0364;pfe, die kein<lb/>
Gefu&#x0364;hl Ihrer Selb&#x017F;t, kein An&#x017F;chauen Ihres<lb/>
Werthes in &#x017F;ich haben, bin ich, und weiß,<lb/>
daß ich bin, und <hi rendition="#fr">kann</hi> mich freuen, daß ich<lb/>
bin, und kann die&#x017F;e Freude durch Nachden-<lb/>
ken <hi rendition="#fr">vergro&#x0364;ßern</hi> &#x2014; und ich &#x017F;oll mit die&#x017F;er<lb/>
Kraft zu <hi rendition="#fr">empfinden,</hi> daß ich bin, mit die-<lb/>
&#x017F;er Kraft froh zu werden, daß ich bin, mit<lb/>
die&#x017F;er Kraft die Freude an meinem Seyn<lb/>
durch Nachdenken, Selb&#x017F;tbewußt&#x017F;eyn wie-<lb/>
der zu genie&#x017F;&#x017F;en, und durch <hi rendition="#fr">Wiedergenuß</hi><lb/>
zu vergro&#x0364;ßern &#x2014; <hi rendition="#fr">Ich,</hi> nicht Stein, nicht<lb/>
Blume, mehr als Thier, <hi rendition="#fr">Ich Men&#x017F;ch &#x017F;oll<lb/>
&#x017F;prechen: Ich will nimmer &#x017F;eyn?</hi></p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Zweyter</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0092] Erſter Abſchnitt. ſich oͤffnet dem kommenden Strale der Son- ne, iſt wohl auch, weiß aber nichts darum, daß ſie den Thau trinkt, und Nahrung aus der Erde ſaugt, und dem Strale des Mor- genroths ſich oͤffnet; und das Fuͤllen dort auf der Weide, das munter ſpringt und freudig wiehert, iſt auch, und empfindet auch, kann aber dieſe Empfindung der Freude durch Nach- denken nicht wieder genieſſen. — In der Mitte dieſer Erdegeſchoͤpfe, die kein Gefuͤhl Ihrer Selbſt, kein Anſchauen Ihres Werthes in ſich haben, bin ich, und weiß, daß ich bin, und kann mich freuen, daß ich bin, und kann dieſe Freude durch Nachden- ken vergroͤßern — und ich ſoll mit dieſer Kraft zu empfinden, daß ich bin, mit die- ſer Kraft froh zu werden, daß ich bin, mit dieſer Kraft die Freude an meinem Seyn durch Nachdenken, Selbſtbewußtſeyn wie- der zu genieſſen, und durch Wiedergenuß zu vergroͤßern — Ich, nicht Stein, nicht Blume, mehr als Thier, Ich Menſch ſoll ſprechen: Ich will nimmer ſeyn? Zweyter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/92
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/92>, abgerufen am 23.11.2024.