Aber alte verjaehrte Vorurtheile, die, wer weiss wie, in unsere Erkenntnissmasse gekommen sind, arbeiten diesem maechtigen Triebe entgegen, und suchen ihn aufzuhal- ten. Welches ohngefaehr eben die Wirkung hat, als wenn man mitten in einen Strom einen Damm machte, und ihn so zwaenge, aus seinen Ufern zu treten.
Das junge Kind, das ein so maechtiges Bestreben aeussert, von seinen Gliedern Ge- brauch zu machen, wird gezwungen, das erste Jahr seines Lebens ein wahres Pflan- zenleben zu führen, trotz dem Winke der Natur, die die Nabelschnur zerriss. Es ve- getirt wechselsweise, bald in der Wiege, bald im Mantel, obgleich die Natur, oder wel- ches einerley ist, der Schöpfer der Natur, der Allmaechtige, Allweise, Allgütige Gott, befiehlt, dass das Kind, sobald die Nabel- schnur zerrissen ist, kriechen soll.
Kaum ist das Ende seines ersten Le- bensjahres da, so sehen die Eltern, dass
Mantel
Aber alte verjæhrte Vorurtheile, die, wer weiſs wie, in unſere Erkenntniſsmaſſe gekommen ſind, arbeiten dieſem mæchtigen Triebe entgegen, und ſuchen ihn aufzuhal- ten. Welches ohngefæhr eben die Wirkung hat, als wenn man mitten in einen Strom einen Damm machte, und ihn ſo zwænge, aus ſeinen Ufern zu treten.
Das junge Kind, das ein ſo mæchtiges Beſtreben æuſſert, von ſeinen Gliedern Ge- brauch zu machen, wird gezwungen, das erſte Jahr ſeines Lebens ein wahres Pflan- zenleben zu führen, trotz dem Winke der Natur, die die Nabelſchnur zerriſs. Es ve- getirt wechſelsweiſe, bald in der Wiege, bald im Mantel, obgleich die Natur, oder wel- ches einerley iſt, der Schöpfer der Natur, der Allmæchtige, Allweiſe, Allgütige Gott, befiehlt, daſs das Kind, ſobald die Nabel- ſchnur zerriſſen iſt, kriechen ſoll.
Kaum iſt das Ende ſeines erſten Le- bensjahres da, ſo ſehen die Eltern, daſs
Mantel
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Aber alte verjæhrte Vorurtheile, die,
wer weiſs wie, in unſere Erkenntniſsmaſſe
gekommen ſind, arbeiten dieſem mæchtigen
Triebe entgegen, und ſuchen ihn aufzuhal-
ten. Welches ohngefæhr eben die Wirkung
hat, als wenn man mitten in einen Strom
einen Damm machte, und ihn ſo zwænge,
aus ſeinen Ufern zu treten.
Das junge Kind, das ein ſo mæchtiges
Beſtreben æuſſert, von ſeinen Gliedern Ge-
brauch zu machen, wird gezwungen, das
erſte Jahr ſeines Lebens ein wahres Pflan-
zenleben zu führen, trotz dem Winke der
Natur, die die Nabelſchnur zerriſs. Es ve-
getirt wechſelsweiſe, bald in der Wiege, bald
im Mantel, obgleich die Natur, oder wel-
ches einerley iſt, der Schöpfer der Natur,
der Allmæchtige, Allweiſe, Allgütige Gott,
befiehlt, daſs das Kind, ſobald die Nabel-
ſchnur zerriſſen iſt, kriechen ſoll.
Kaum iſt das Ende ſeines erſten Le-
bensjahres da, ſo ſehen die Eltern, daſs
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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/140>, abgerufen am 21.11.2024.
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