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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Baumaterialien.
bindet, macht ihn als Bindemittel so tauglich, wie den Kalk. Man
muß sich auch beim Gips hüten, ihn während des Brandes einer zu
hohen Temperatur auszusetzen. Er muß nämlich ein Viertel des ihm
zukommenden Wassers behalten. Ist ihm dieses durch eine Wärme von
200 Grad entzogen, so geht er mit Wasser nicht mehr jene feste Ver-
bindung ein, er ist totgebrannt. Die Gipsöfen werden also, rationell
gebaut, dieses Totbrennen zu verhindern haben, sie werden auch die
Kohle in keine unmittelbare Berührung mit dem Gips gelangen lassen,
weil dieser sonst noch weitere unerwünschte Zersetzungen erfährt. Am
besten sind Öfen von der Art derjenigen, welche zum Brotbacken
dienen. Der gebrannte Gips wird zwischen Mühlsteinen und Walzen
zu einem feinen Mehl vermahlen, das nun unmittelbar zu Mörtel ver-
wendet werden kann. Das ist seit altersher bekannt und vielfach ange-
wendet: so besteht der Mörtel, mit dem die Cheops-Pyramide erbaut
ward, zum größten Teile aus Gips. An Festigkeit übertrifft der Gips,
den man natürlich besonders in gipsreichen Gegenden verarbeitet, sogar den
Kalkmörtel. So halten die Bruchsteine, aus denen eine 1530 bei Osterode
zerstörte Burg erbaut war, heute noch fest zusammen, der sie verbindende
Gips ist sogar noch fester als die Steine. Neuerdings führt er sich
als Bindemittel zu Bauten immer mehr ein, da er in der Kälte nicht
leidet, wie der Kalk, also selbst bei einer Temperatur von -- 10 Grad
noch das Mauern gestattet. Aber seine hervorragenden Eigenschaften
verschaffen ihm auch als Material für Fußböden, als Kitt und zu
den Stuckaturarbeiten ausgiebige Verwendung bei Bauten. Die letzt-
genannten Dienste leistet er infolge seiner Fähigkeit, sich leicht in
Formen bringen zu lassen, wegen welcher er ebenfalls im grauen Altertum
bereits berühmt war. So erzählt Plinius, daß der Sikyonier Lysistratus
zuerst ein menschliches Gesicht in Gips abgegossen und von dieser
Form einen Wachsabdruck verfertigt habe. Diese Kunst scheint im
Mittelalter in Vergessenheit geraten zu sein, und erst zur Zeit Rafaels
hatte sie sich in Italien wieder zu der Höhe emporgerungen, die wir
in den Stuckaturen des Vatikans bewundern. Im 18. Jahrhundert
wird er aber den Gipfel seiner Verwendung erreicht haben, damals
als er der Rokokozeit ihr Gepräge gab. Abgüsse von Bildhauer-
arbeiten, von Münzen, Formen für Metallgießereien und für die Zwecke
der Galvanoplastik, erlaubt der Gips in unvergleichlicher Vollendung
herzustellen. Namentlich ist die Herstellung der Gipsfiguren neuerdings
in hohem Grade vervollkommnet. Man versteht es, die Masse mit
Alaun zu härten und ihr durch Imprägnieren mit Wachs oder Fett
ein marmor- oder elfenbeinartiges Aussehen zu geben. Man vermag
dieselbe zu färben und -- wie auf S. 140 nachzulesen -- auch gal-
vanisch zu versilbern oder zu vergolden. Nicht zu unterschätzen ist die
volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Industrie, indem sie den minder
Bemittelten die berühmten Werke der Bildhauerkunst in Nachbildungen
zugänglich macht.

Die Baumaterialien.
bindet, macht ihn als Bindemittel ſo tauglich, wie den Kalk. Man
muß ſich auch beim Gips hüten, ihn während des Brandes einer zu
hohen Temperatur auszuſetzen. Er muß nämlich ein Viertel des ihm
zukommenden Waſſers behalten. Iſt ihm dieſes durch eine Wärme von
200 Grad entzogen, ſo geht er mit Waſſer nicht mehr jene feſte Ver-
bindung ein, er iſt totgebrannt. Die Gipsöfen werden alſo, rationell
gebaut, dieſes Totbrennen zu verhindern haben, ſie werden auch die
Kohle in keine unmittelbare Berührung mit dem Gips gelangen laſſen,
weil dieſer ſonſt noch weitere unerwünſchte Zerſetzungen erfährt. Am
beſten ſind Öfen von der Art derjenigen, welche zum Brotbacken
dienen. Der gebrannte Gips wird zwiſchen Mühlſteinen und Walzen
zu einem feinen Mehl vermahlen, das nun unmittelbar zu Mörtel ver-
wendet werden kann. Das iſt ſeit altersher bekannt und vielfach ange-
wendet: ſo beſteht der Mörtel, mit dem die Cheops-Pyramide erbaut
ward, zum größten Teile aus Gips. An Feſtigkeit übertrifft der Gips,
den man natürlich beſonders in gipsreichen Gegenden verarbeitet, ſogar den
Kalkmörtel. So halten die Bruchſteine, aus denen eine 1530 bei Oſterode
zerſtörte Burg erbaut war, heute noch feſt zuſammen, der ſie verbindende
Gips iſt ſogar noch feſter als die Steine. Neuerdings führt er ſich
als Bindemittel zu Bauten immer mehr ein, da er in der Kälte nicht
leidet, wie der Kalk, alſo ſelbſt bei einer Temperatur von — 10 Grad
noch das Mauern geſtattet. Aber ſeine hervorragenden Eigenſchaften
verſchaffen ihm auch als Material für Fußböden, als Kitt und zu
den Stuckaturarbeiten ausgiebige Verwendung bei Bauten. Die letzt-
genannten Dienſte leiſtet er infolge ſeiner Fähigkeit, ſich leicht in
Formen bringen zu laſſen, wegen welcher er ebenfalls im grauen Altertum
bereits berühmt war. So erzählt Plinius, daß der Sikyonier Lyſiſtratus
zuerſt ein menſchliches Geſicht in Gips abgegoſſen und von dieſer
Form einen Wachsabdruck verfertigt habe. Dieſe Kunſt ſcheint im
Mittelalter in Vergeſſenheit geraten zu ſein, und erſt zur Zeit Rafaels
hatte ſie ſich in Italien wieder zu der Höhe emporgerungen, die wir
in den Stuckaturen des Vatikans bewundern. Im 18. Jahrhundert
wird er aber den Gipfel ſeiner Verwendung erreicht haben, damals
als er der Rokokozeit ihr Gepräge gab. Abgüſſe von Bildhauer-
arbeiten, von Münzen, Formen für Metallgießereien und für die Zwecke
der Galvanoplaſtik, erlaubt der Gips in unvergleichlicher Vollendung
herzuſtellen. Namentlich iſt die Herſtellung der Gipsfiguren neuerdings
in hohem Grade vervollkommnet. Man verſteht es, die Maſſe mit
Alaun zu härten und ihr durch Imprägnieren mit Wachs oder Fett
ein marmor- oder elfenbeinartiges Ausſehen zu geben. Man vermag
dieſelbe zu färben und — wie auf S. 140 nachzuleſen — auch gal-
vaniſch zu verſilbern oder zu vergolden. Nicht zu unterſchätzen iſt die
volkswirtſchaftliche Bedeutung dieſer Induſtrie, indem ſie den minder
Bemittelten die berühmten Werke der Bildhauerkunſt in Nachbildungen
zugänglich macht.

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[268/0286] Die Baumaterialien. bindet, macht ihn als Bindemittel ſo tauglich, wie den Kalk. Man muß ſich auch beim Gips hüten, ihn während des Brandes einer zu hohen Temperatur auszuſetzen. Er muß nämlich ein Viertel des ihm zukommenden Waſſers behalten. Iſt ihm dieſes durch eine Wärme von 200 Grad entzogen, ſo geht er mit Waſſer nicht mehr jene feſte Ver- bindung ein, er iſt totgebrannt. Die Gipsöfen werden alſo, rationell gebaut, dieſes Totbrennen zu verhindern haben, ſie werden auch die Kohle in keine unmittelbare Berührung mit dem Gips gelangen laſſen, weil dieſer ſonſt noch weitere unerwünſchte Zerſetzungen erfährt. Am beſten ſind Öfen von der Art derjenigen, welche zum Brotbacken dienen. Der gebrannte Gips wird zwiſchen Mühlſteinen und Walzen zu einem feinen Mehl vermahlen, das nun unmittelbar zu Mörtel ver- wendet werden kann. Das iſt ſeit altersher bekannt und vielfach ange- wendet: ſo beſteht der Mörtel, mit dem die Cheops-Pyramide erbaut ward, zum größten Teile aus Gips. An Feſtigkeit übertrifft der Gips, den man natürlich beſonders in gipsreichen Gegenden verarbeitet, ſogar den Kalkmörtel. So halten die Bruchſteine, aus denen eine 1530 bei Oſterode zerſtörte Burg erbaut war, heute noch feſt zuſammen, der ſie verbindende Gips iſt ſogar noch feſter als die Steine. Neuerdings führt er ſich als Bindemittel zu Bauten immer mehr ein, da er in der Kälte nicht leidet, wie der Kalk, alſo ſelbſt bei einer Temperatur von — 10 Grad noch das Mauern geſtattet. Aber ſeine hervorragenden Eigenſchaften verſchaffen ihm auch als Material für Fußböden, als Kitt und zu den Stuckaturarbeiten ausgiebige Verwendung bei Bauten. Die letzt- genannten Dienſte leiſtet er infolge ſeiner Fähigkeit, ſich leicht in Formen bringen zu laſſen, wegen welcher er ebenfalls im grauen Altertum bereits berühmt war. So erzählt Plinius, daß der Sikyonier Lyſiſtratus zuerſt ein menſchliches Geſicht in Gips abgegoſſen und von dieſer Form einen Wachsabdruck verfertigt habe. Dieſe Kunſt ſcheint im Mittelalter in Vergeſſenheit geraten zu ſein, und erſt zur Zeit Rafaels hatte ſie ſich in Italien wieder zu der Höhe emporgerungen, die wir in den Stuckaturen des Vatikans bewundern. Im 18. Jahrhundert wird er aber den Gipfel ſeiner Verwendung erreicht haben, damals als er der Rokokozeit ihr Gepräge gab. Abgüſſe von Bildhauer- arbeiten, von Münzen, Formen für Metallgießereien und für die Zwecke der Galvanoplaſtik, erlaubt der Gips in unvergleichlicher Vollendung herzuſtellen. Namentlich iſt die Herſtellung der Gipsfiguren neuerdings in hohem Grade vervollkommnet. Man verſteht es, die Maſſe mit Alaun zu härten und ihr durch Imprägnieren mit Wachs oder Fett ein marmor- oder elfenbeinartiges Ausſehen zu geben. Man vermag dieſelbe zu färben und — wie auf S. 140 nachzuleſen — auch gal- vaniſch zu verſilbern oder zu vergolden. Nicht zu unterſchätzen iſt die volkswirtſchaftliche Bedeutung dieſer Induſtrie, indem ſie den minder Bemittelten die berühmten Werke der Bildhauerkunſt in Nachbildungen zugänglich macht.

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/286>, abgerufen am 22.11.2024.