geahnt gewesen waren, sondern erweiterte auch den Anwendungskreis der Farben in ganz außerordentlicher Weise. Nur langsam freilich begann die Erforschung der im schwarzen, schmutzigen Teere schlummern- den Farbenpracht. Die beiden ältesten hierher gehörenden Farbstoffe leiten sich vom Phenol, im Volksmunde auch Kreosot oder Karbolsäure genannt, ab. Der eine davon, der älteste künstlich hergestellte orga- nische Farbstoff überhaupt, ist die Pikrinsäure. Sie wurde schon im vorigen Jahrhundert dargestellt, indem man Harze mit Salpetersäure behandelte. Die Pikrinsäure entsteht nämlich fast überall, wo Salpeter- säure mit organischen Substanzen in Berührung kommt. Die gelben Flecke, welche auftreten, wenn Salpetersäure auf die Haut, auf Wolle, auf Seide u. dgl. gelangt, verdanken ihre Färbung der Pikrinsäure. Dieser Körper hat nebenbei einen äußerst bitteren Geschmack und ist wohl gelegentlich von gewissenlosen Brauern als Ersatz des Hopfens gebraucht worden. Abgesehen von ihrer Giftigkeit hat die Pikrin- säure auch noch die unter Umständen wenig angenehme Eigenschaft, explosiv zu sein, besonders in Form ihrer Verbindungen mit Metallen. Andrerseits hat aber diese Eigenschaft wieder zu einer ausgedehnten Verwendung der Säure in der Sprengstoffindustrie geführt. Als Farb- stoff wird sie heutzutage kaum mehr angewandt, da sie längst durch bessere, vor allen Dingen dauerhaftere Farben ersetzt ist, als der Veteran unter den Teerfarbstoffen verdient sie aber wenigstens, daß man ihr eine freundliche Erinnerung bewahrt. Ihr eigentlicher Ent- decker ist Hausmann (1788), aber erst 1842 wurde von Laurent ihre Zugehörigkeit zu den Teerabkömmlingen erkannt.
Nächst der Pikrinsäure ist als ältester Teerfarbstoff die Rosolsäure zu nennen. Schon der Name deutet darauf hin, daß wir es hier mit einem roten Farbstoff zu thun haben. Sie wurde im Jahre 1836 von Runge entdeckt, hat aber niemals eine große Rolle für die Färberei gespielt. Wieder liegt eine längere Pause -- 20 Jahre -- zwischen der Entdeckung der Rosolsäure und dem zunächst bekannt gewordenen Teerfarbstoffe. Bildete bei den ersten beiden Vertretern der Gruppe die Karbolsäure das Ausgangsmaterial, so kam nunmehr die Reihe an das Anilin. Der englische Forscher Perkin sen. war es, der im Jahre 1856 bei der Einwirkung oxydierender, d. h. Sauerstoff ab- gebender Agentien auf das Anilin einen violetten Farbstoff, das Mau- vein, entdeckte. Das Mauvein ist auch der erste Teerfarbstoff, der vom Kohlenteer ausgehend, fabrikmäßig dargestellt wurde, denn die Pikrin- säure erhielt man, wie schon erwähnt, früher aus Harzen. Freilich war dem Mauvein nur eine beschränkte Verwendung beschieden. Sein hoher Preis -- es ist noch heute einer der teuersten Farbstoffe -- stand einer ausgedehnten Verwendung im Wege, umsomehr, als es bald ge- lang, schönere und billigere Violette auf anderen Wegen zu erzeugen. Immerhin findet das Mauvein noch heute Anwendung zum Weißen der Seide, deren gelblichen Naturton es vollkommen aufhebt, sowie zum
Die Teerfarbſtoffe.
geahnt geweſen waren, ſondern erweiterte auch den Anwendungskreis der Farben in ganz außerordentlicher Weiſe. Nur langſam freilich begann die Erforſchung der im ſchwarzen, ſchmutzigen Teere ſchlummern- den Farbenpracht. Die beiden älteſten hierher gehörenden Farbſtoffe leiten ſich vom Phenol, im Volksmunde auch Kreoſot oder Karbolſäure genannt, ab. Der eine davon, der älteſte künſtlich hergeſtellte orga- niſche Farbſtoff überhaupt, iſt die Pikrinſäure. Sie wurde ſchon im vorigen Jahrhundert dargeſtellt, indem man Harze mit Salpeterſäure behandelte. Die Pikrinſäure entſteht nämlich faſt überall, wo Salpeter- ſäure mit organiſchen Subſtanzen in Berührung kommt. Die gelben Flecke, welche auftreten, wenn Salpeterſäure auf die Haut, auf Wolle, auf Seide u. dgl. gelangt, verdanken ihre Färbung der Pikrinſäure. Dieſer Körper hat nebenbei einen äußerſt bitteren Geſchmack und iſt wohl gelegentlich von gewiſſenloſen Brauern als Erſatz des Hopfens gebraucht worden. Abgeſehen von ihrer Giftigkeit hat die Pikrin- ſäure auch noch die unter Umſtänden wenig angenehme Eigenſchaft, exploſiv zu ſein, beſonders in Form ihrer Verbindungen mit Metallen. Andrerſeits hat aber dieſe Eigenſchaft wieder zu einer ausgedehnten Verwendung der Säure in der Sprengſtoffinduſtrie geführt. Als Farb- ſtoff wird ſie heutzutage kaum mehr angewandt, da ſie längſt durch beſſere, vor allen Dingen dauerhaftere Farben erſetzt iſt, als der Veteran unter den Teerfarbſtoffen verdient ſie aber wenigſtens, daß man ihr eine freundliche Erinnerung bewahrt. Ihr eigentlicher Ent- decker iſt Hausmann (1788), aber erſt 1842 wurde von Laurent ihre Zugehörigkeit zu den Teerabkömmlingen erkannt.
Nächſt der Pikrinſäure iſt als älteſter Teerfarbſtoff die Roſolſäure zu nennen. Schon der Name deutet darauf hin, daß wir es hier mit einem roten Farbſtoff zu thun haben. Sie wurde im Jahre 1836 von Runge entdeckt, hat aber niemals eine große Rolle für die Färberei geſpielt. Wieder liegt eine längere Pauſe — 20 Jahre — zwiſchen der Entdeckung der Roſolſäure und dem zunächſt bekannt gewordenen Teerfarbſtoffe. Bildete bei den erſten beiden Vertretern der Gruppe die Karbolſäure das Ausgangsmaterial, ſo kam nunmehr die Reihe an das Anilin. Der engliſche Forſcher Perkin sen. war es, der im Jahre 1856 bei der Einwirkung oxydierender, d. h. Sauerſtoff ab- gebender Agentien auf das Anilin einen violetten Farbſtoff, das Mau- veïn, entdeckte. Das Mauveïn iſt auch der erſte Teerfarbſtoff, der vom Kohlenteer ausgehend, fabrikmäßig dargeſtellt wurde, denn die Pikrin- ſäure erhielt man, wie ſchon erwähnt, früher aus Harzen. Freilich war dem Mauveïn nur eine beſchränkte Verwendung beſchieden. Sein hoher Preis — es iſt noch heute einer der teuerſten Farbſtoffe — ſtand einer ausgedehnten Verwendung im Wege, umſomehr, als es bald ge- lang, ſchönere und billigere Violette auf anderen Wegen zu erzeugen. Immerhin findet das Mauveïn noch heute Anwendung zum Weißen der Seide, deren gelblichen Naturton es vollkommen aufhebt, ſowie zum
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Die Teerfarbſtoffe.
geahnt geweſen waren, ſondern erweiterte auch den Anwendungskreis
der Farben in ganz außerordentlicher Weiſe. Nur langſam freilich
begann die Erforſchung der im ſchwarzen, ſchmutzigen Teere ſchlummern-
den Farbenpracht. Die beiden älteſten hierher gehörenden Farbſtoffe
leiten ſich vom Phenol, im Volksmunde auch Kreoſot oder Karbolſäure
genannt, ab. Der eine davon, der älteſte künſtlich hergeſtellte orga-
niſche Farbſtoff überhaupt, iſt die Pikrinſäure. Sie wurde ſchon im
vorigen Jahrhundert dargeſtellt, indem man Harze mit Salpeterſäure
behandelte. Die Pikrinſäure entſteht nämlich faſt überall, wo Salpeter-
ſäure mit organiſchen Subſtanzen in Berührung kommt. Die gelben
Flecke, welche auftreten, wenn Salpeterſäure auf die Haut, auf Wolle,
auf Seide u. dgl. gelangt, verdanken ihre Färbung der Pikrinſäure.
Dieſer Körper hat nebenbei einen äußerſt bitteren Geſchmack und iſt
wohl gelegentlich von gewiſſenloſen Brauern als Erſatz des Hopfens
gebraucht worden. Abgeſehen von ihrer Giftigkeit hat die Pikrin-
ſäure auch noch die unter Umſtänden wenig angenehme Eigenſchaft,
exploſiv zu ſein, beſonders in Form ihrer Verbindungen mit Metallen.
Andrerſeits hat aber dieſe Eigenſchaft wieder zu einer ausgedehnten
Verwendung der Säure in der Sprengſtoffinduſtrie geführt. Als Farb-
ſtoff wird ſie heutzutage kaum mehr angewandt, da ſie längſt durch
beſſere, vor allen Dingen dauerhaftere Farben erſetzt iſt, als der
Veteran unter den Teerfarbſtoffen verdient ſie aber wenigſtens, daß
man ihr eine freundliche Erinnerung bewahrt. Ihr eigentlicher Ent-
decker iſt Hausmann (1788), aber erſt 1842 wurde von Laurent ihre
Zugehörigkeit zu den Teerabkömmlingen erkannt.
Nächſt der Pikrinſäure iſt als älteſter Teerfarbſtoff die Roſolſäure
zu nennen. Schon der Name deutet darauf hin, daß wir es hier mit
einem roten Farbſtoff zu thun haben. Sie wurde im Jahre 1836 von
Runge entdeckt, hat aber niemals eine große Rolle für die Färberei
geſpielt. Wieder liegt eine längere Pauſe — 20 Jahre — zwiſchen
der Entdeckung der Roſolſäure und dem zunächſt bekannt gewordenen
Teerfarbſtoffe. Bildete bei den erſten beiden Vertretern der Gruppe
die Karbolſäure das Ausgangsmaterial, ſo kam nunmehr die Reihe an
das Anilin. Der engliſche Forſcher Perkin sen. war es, der im
Jahre 1856 bei der Einwirkung oxydierender, d. h. Sauerſtoff ab-
gebender Agentien auf das Anilin einen violetten Farbſtoff, das Mau-
veïn, entdeckte. Das Mauveïn iſt auch der erſte Teerfarbſtoff, der vom
Kohlenteer ausgehend, fabrikmäßig dargeſtellt wurde, denn die Pikrin-
ſäure erhielt man, wie ſchon erwähnt, früher aus Harzen. Freilich
war dem Mauveïn nur eine beſchränkte Verwendung beſchieden. Sein
hoher Preis — es iſt noch heute einer der teuerſten Farbſtoffe — ſtand
einer ausgedehnten Verwendung im Wege, umſomehr, als es bald ge-
lang, ſchönere und billigere Violette auf anderen Wegen zu erzeugen.
Immerhin findet das Mauveïn noch heute Anwendung zum Weißen der
Seide, deren gelblichen Naturton es vollkommen aufhebt, ſowie zum
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/423>, abgerufen am 22.11.2024.
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