des genossenen Alkohols verbrennen mittels des eingeatmeten Sauerstoffes direkt zu Kohlensäure und Wasser, um als solche ausgeatmet zu werden. Hierdurch schützt der Alkohol den durch die Nahrungsmittel dem Körper zugeführten Kohlenstoff und Wasserstoff vorläufig vor dieser Verbrennung, und somit wird eine Nahrung bei gleichzeitigem Alkoholgenuß länger vorhalten als ohne diesen. Auch verfügt der mangelhaft Ernährte nach dem Schnapsgenuß augenblicklich über Kräfte, welche aber der Schnaps nicht erzeugt, sondern welche bereits im Körper vorhanden waren und nur plötzlich gesammelt werden, um nachher einer um so größeren Er- mattung zu weichen. Der berühmte Chemiker Justus v. Liebig sagt darüber im zweiunddreißigsten seiner so klassisch geschriebenen "Chemischen Briefe" in lichtvollen Worten: "Der Darbende, welcher Schnaps trinkt, um die Kraft für die Arbeit zu finden, behandelt seinen Körper, wie der Unbarmherzige, der sein vor Hunger erschöpftes Pferd mit der Peitsche zu neuen Leistungen zwingt. Der Branntwein ist ein Wechsel, ausgestellt auf die Gesundheit, der immer prolongiert werden muß, weil er aus Mangel an Mitteln nicht eingelöst werden kann. Der schnapstrinkende Arbeiter verzehrt das Kapital anstatt der Zinsen -- kein Wunder, daß endlich der Bankerott des Körpers unvermeid- lich ist!"
Es ist schließlich ein allgemein verbreiteter Irrtum, anzunehmen, daß der Schnaps Wärme erzeugt, denn das ist nicht der Fall. Der Alkohol ruft nur durch Erweiterung gewisser Gefäße eine schnellere Blutcirkulation hervor und führt dadurch die im Körper bereits vor- handene Wärme schneller den einzelnen Gliedmaßen zu, was wir be- sonders an frierenden Gliedern als Wärme empfinden. Aber genau wie bei der zu schnell und auf einmal verbrauchten Kraft, ist es gerade nach diesem schnellen Wärmeverbrauch dringend notwendig, dieselbe zu ergänzen.
Ist es denn aber mit dem Schnapskonsum überhaupt so schlimm? Fast unglaublich scheinen die Zahlen, welche die für diesen Zweck ver- geudeten Summen angeben, und sie wirken um so erschreckender, wenn man berücksichtigt, daß diese Summen zum allergrößten Teil von armen Leuten, deren Ernährung schon an und für sich eine sehr mangelhafte ist, gezahlt werden. Wenn auch aus diesen Zahlen deutlich hervor- geht, daß der Schnapskonsum infolge des Gesetzes über die Besteuerung des Branntweins vom 24. Januar 1887 merklich nachgelassen hat, so ist doch das Übel auch heute noch geradezu unerträglich groß. Den neuesten offiziellen Angaben darüber entnehmen wir folgendes: der Durchschnittskonsum in den Jahren 1880 bis 1886, also vor dem Inkrafttreten des obengenannten Gesetzes, betrug pro Kopf und Jahr im ganzen deutschen Reichsgebiete bei einer Einwohnerzahl von rund 38 Millionen 6,58 Liter und ging infolge des Gesetzes auf 4,64 Liter pro Kopf und Jahr zurück. Wie aber sieht es trotz dieser Besserung selbst jetzt noch mit dem Gesamtkonsum und den dafür verausgabten
Die Branntweinbrennerei.
des genoſſenen Alkohols verbrennen mittels des eingeatmeten Sauerſtoffes direkt zu Kohlenſäure und Waſſer, um als ſolche ausgeatmet zu werden. Hierdurch ſchützt der Alkohol den durch die Nahrungsmittel dem Körper zugeführten Kohlenſtoff und Waſſerſtoff vorläufig vor dieſer Verbrennung, und ſomit wird eine Nahrung bei gleichzeitigem Alkoholgenuß länger vorhalten als ohne dieſen. Auch verfügt der mangelhaft Ernährte nach dem Schnapsgenuß augenblicklich über Kräfte, welche aber der Schnaps nicht erzeugt, ſondern welche bereits im Körper vorhanden waren und nur plötzlich geſammelt werden, um nachher einer um ſo größeren Er- mattung zu weichen. Der berühmte Chemiker Juſtus v. Liebig ſagt darüber im zweiunddreißigſten ſeiner ſo klaſſiſch geſchriebenen „Chemiſchen Briefe“ in lichtvollen Worten: „Der Darbende, welcher Schnaps trinkt, um die Kraft für die Arbeit zu finden, behandelt ſeinen Körper, wie der Unbarmherzige, der ſein vor Hunger erſchöpftes Pferd mit der Peitſche zu neuen Leiſtungen zwingt. Der Branntwein iſt ein Wechſel, ausgeſtellt auf die Geſundheit, der immer prolongiert werden muß, weil er aus Mangel an Mitteln nicht eingelöſt werden kann. Der ſchnapstrinkende Arbeiter verzehrt das Kapital anſtatt der Zinſen — kein Wunder, daß endlich der Bankerott des Körpers unvermeid- lich iſt!“
Es iſt ſchließlich ein allgemein verbreiteter Irrtum, anzunehmen, daß der Schnaps Wärme erzeugt, denn das iſt nicht der Fall. Der Alkohol ruft nur durch Erweiterung gewiſſer Gefäße eine ſchnellere Blutcirkulation hervor und führt dadurch die im Körper bereits vor- handene Wärme ſchneller den einzelnen Gliedmaßen zu, was wir be- ſonders an frierenden Gliedern als Wärme empfinden. Aber genau wie bei der zu ſchnell und auf einmal verbrauchten Kraft, iſt es gerade nach dieſem ſchnellen Wärmeverbrauch dringend notwendig, dieſelbe zu ergänzen.
Iſt es denn aber mit dem Schnapskonſum überhaupt ſo ſchlimm? Faſt unglaublich ſcheinen die Zahlen, welche die für dieſen Zweck ver- geudeten Summen angeben, und ſie wirken um ſo erſchreckender, wenn man berückſichtigt, daß dieſe Summen zum allergrößten Teil von armen Leuten, deren Ernährung ſchon an und für ſich eine ſehr mangelhafte iſt, gezahlt werden. Wenn auch aus dieſen Zahlen deutlich hervor- geht, daß der Schnapskonſum infolge des Geſetzes über die Beſteuerung des Branntweins vom 24. Januar 1887 merklich nachgelaſſen hat, ſo iſt doch das Übel auch heute noch geradezu unerträglich groß. Den neueſten offiziellen Angaben darüber entnehmen wir folgendes: der Durchſchnittskonſum in den Jahren 1880 bis 1886, alſo vor dem Inkrafttreten des obengenannten Geſetzes, betrug pro Kopf und Jahr im ganzen deutſchen Reichsgebiete bei einer Einwohnerzahl von rund 38 Millionen 6,58 Liter und ging infolge des Geſetzes auf 4,64 Liter pro Kopf und Jahr zurück. Wie aber ſieht es trotz dieſer Beſſerung ſelbſt jetzt noch mit dem Geſamtkonſum und den dafür verausgabten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0529"n="511"/><fwplace="top"type="header">Die Branntweinbrennerei.</fw><lb/>
des genoſſenen Alkohols verbrennen mittels des eingeatmeten Sauerſtoffes<lb/>
direkt zu Kohlenſäure und Waſſer, um als ſolche ausgeatmet zu werden.<lb/>
Hierdurch ſchützt der Alkohol den durch die Nahrungsmittel dem Körper<lb/>
zugeführten Kohlenſtoff und Waſſerſtoff vorläufig vor dieſer Verbrennung,<lb/>
und ſomit wird eine Nahrung bei gleichzeitigem Alkoholgenuß länger<lb/>
vorhalten als ohne dieſen. Auch verfügt der mangelhaft Ernährte nach<lb/>
dem Schnapsgenuß augenblicklich über Kräfte, welche aber der Schnaps<lb/>
nicht erzeugt, ſondern welche bereits im Körper vorhanden waren und<lb/>
nur plötzlich geſammelt werden, um nachher einer um ſo größeren Er-<lb/>
mattung zu weichen. Der berühmte Chemiker Juſtus v. Liebig ſagt<lb/>
darüber im zweiunddreißigſten ſeiner ſo klaſſiſch geſchriebenen „Chemiſchen<lb/>
Briefe“ in lichtvollen Worten: „Der Darbende, welcher Schnaps trinkt,<lb/>
um die Kraft für die Arbeit zu finden, behandelt ſeinen Körper, wie<lb/>
der Unbarmherzige, der ſein vor Hunger erſchöpftes Pferd mit der<lb/>
Peitſche zu neuen Leiſtungen zwingt. Der Branntwein iſt ein Wechſel,<lb/>
ausgeſtellt auf die Geſundheit, der immer prolongiert werden muß,<lb/>
weil er aus Mangel an Mitteln nicht eingelöſt werden kann. Der<lb/>ſchnapstrinkende Arbeiter verzehrt das Kapital anſtatt der Zinſen —<lb/>
kein Wunder, daß endlich der Bankerott des Körpers unvermeid-<lb/>
lich iſt!“</p><lb/><p>Es iſt ſchließlich ein allgemein verbreiteter Irrtum, anzunehmen,<lb/>
daß der Schnaps Wärme erzeugt, denn das iſt nicht der Fall. Der<lb/>
Alkohol ruft nur durch Erweiterung gewiſſer Gefäße eine ſchnellere<lb/>
Blutcirkulation hervor und führt dadurch die im Körper bereits vor-<lb/>
handene Wärme ſchneller den einzelnen Gliedmaßen zu, was wir be-<lb/>ſonders an frierenden Gliedern als Wärme empfinden. Aber genau<lb/>
wie bei der zu ſchnell und auf einmal verbrauchten Kraft, iſt es gerade<lb/>
nach dieſem ſchnellen Wärmeverbrauch dringend notwendig, dieſelbe<lb/>
zu ergänzen.</p><lb/><p>Iſt es denn aber mit dem Schnapskonſum überhaupt ſo ſchlimm?<lb/>
Faſt unglaublich ſcheinen die Zahlen, welche die für dieſen Zweck ver-<lb/>
geudeten Summen angeben, und ſie wirken um ſo erſchreckender, wenn<lb/>
man berückſichtigt, daß dieſe Summen zum allergrößten Teil von armen<lb/>
Leuten, deren Ernährung ſchon an und für ſich eine ſehr mangelhafte<lb/>
iſt, gezahlt werden. Wenn auch aus dieſen Zahlen deutlich hervor-<lb/>
geht, daß der Schnapskonſum infolge des Geſetzes über die Beſteuerung<lb/>
des Branntweins vom 24. Januar 1887 merklich nachgelaſſen hat, ſo<lb/>
iſt doch das Übel auch heute noch geradezu unerträglich groß. Den<lb/>
neueſten offiziellen Angaben darüber entnehmen wir folgendes: der<lb/>
Durchſchnittskonſum in den Jahren 1880 bis 1886, alſo vor dem<lb/>
Inkrafttreten des obengenannten Geſetzes, betrug pro Kopf und Jahr<lb/>
im ganzen deutſchen Reichsgebiete bei einer Einwohnerzahl von rund<lb/>
38 Millionen 6,58 Liter und ging infolge des Geſetzes auf 4,64 Liter<lb/>
pro Kopf und Jahr zurück. Wie aber ſieht es trotz dieſer Beſſerung<lb/>ſelbſt jetzt noch mit dem Geſamtkonſum und den dafür verausgabten<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[511/0529]
Die Branntweinbrennerei.
des genoſſenen Alkohols verbrennen mittels des eingeatmeten Sauerſtoffes
direkt zu Kohlenſäure und Waſſer, um als ſolche ausgeatmet zu werden.
Hierdurch ſchützt der Alkohol den durch die Nahrungsmittel dem Körper
zugeführten Kohlenſtoff und Waſſerſtoff vorläufig vor dieſer Verbrennung,
und ſomit wird eine Nahrung bei gleichzeitigem Alkoholgenuß länger
vorhalten als ohne dieſen. Auch verfügt der mangelhaft Ernährte nach
dem Schnapsgenuß augenblicklich über Kräfte, welche aber der Schnaps
nicht erzeugt, ſondern welche bereits im Körper vorhanden waren und
nur plötzlich geſammelt werden, um nachher einer um ſo größeren Er-
mattung zu weichen. Der berühmte Chemiker Juſtus v. Liebig ſagt
darüber im zweiunddreißigſten ſeiner ſo klaſſiſch geſchriebenen „Chemiſchen
Briefe“ in lichtvollen Worten: „Der Darbende, welcher Schnaps trinkt,
um die Kraft für die Arbeit zu finden, behandelt ſeinen Körper, wie
der Unbarmherzige, der ſein vor Hunger erſchöpftes Pferd mit der
Peitſche zu neuen Leiſtungen zwingt. Der Branntwein iſt ein Wechſel,
ausgeſtellt auf die Geſundheit, der immer prolongiert werden muß,
weil er aus Mangel an Mitteln nicht eingelöſt werden kann. Der
ſchnapstrinkende Arbeiter verzehrt das Kapital anſtatt der Zinſen —
kein Wunder, daß endlich der Bankerott des Körpers unvermeid-
lich iſt!“
Es iſt ſchließlich ein allgemein verbreiteter Irrtum, anzunehmen,
daß der Schnaps Wärme erzeugt, denn das iſt nicht der Fall. Der
Alkohol ruft nur durch Erweiterung gewiſſer Gefäße eine ſchnellere
Blutcirkulation hervor und führt dadurch die im Körper bereits vor-
handene Wärme ſchneller den einzelnen Gliedmaßen zu, was wir be-
ſonders an frierenden Gliedern als Wärme empfinden. Aber genau
wie bei der zu ſchnell und auf einmal verbrauchten Kraft, iſt es gerade
nach dieſem ſchnellen Wärmeverbrauch dringend notwendig, dieſelbe
zu ergänzen.
Iſt es denn aber mit dem Schnapskonſum überhaupt ſo ſchlimm?
Faſt unglaublich ſcheinen die Zahlen, welche die für dieſen Zweck ver-
geudeten Summen angeben, und ſie wirken um ſo erſchreckender, wenn
man berückſichtigt, daß dieſe Summen zum allergrößten Teil von armen
Leuten, deren Ernährung ſchon an und für ſich eine ſehr mangelhafte
iſt, gezahlt werden. Wenn auch aus dieſen Zahlen deutlich hervor-
geht, daß der Schnapskonſum infolge des Geſetzes über die Beſteuerung
des Branntweins vom 24. Januar 1887 merklich nachgelaſſen hat, ſo
iſt doch das Übel auch heute noch geradezu unerträglich groß. Den
neueſten offiziellen Angaben darüber entnehmen wir folgendes: der
Durchſchnittskonſum in den Jahren 1880 bis 1886, alſo vor dem
Inkrafttreten des obengenannten Geſetzes, betrug pro Kopf und Jahr
im ganzen deutſchen Reichsgebiete bei einer Einwohnerzahl von rund
38 Millionen 6,58 Liter und ging infolge des Geſetzes auf 4,64 Liter
pro Kopf und Jahr zurück. Wie aber ſieht es trotz dieſer Beſſerung
ſelbſt jetzt noch mit dem Geſamtkonſum und den dafür verausgabten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/529>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.