Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Schreibkunst.
gefertigten Bildwerkes in beliebig großer Zahl mechanisch zu verviel-
fältigen. Natürlich fand diese Erfindung auch bei den neuesten der
oben genannten Methoden, die die Vervielfältigung eines Kunstwerkes
bezwecken, vielfach Anwendung.

Die ganze neuere Entwickelung drängt dahin, alle Körper der
Natur nicht körperlich, sondern nur scheinbar dadurch unzählige Male
zu vervielfältigen, daß man einen Apparat, einen Fernseher, erfindet,
mit dem man sich das Bild eines mit rein optischen Mitteln nicht
sichtbaren Gegenstandes vor das Auge zaubern kann. Die Erfindung
dieses Gegenstückes zum Telephon, das es beispielsweise ermöglichen
würde, einen in Amerika weilenden Verwandten in Berlin wirklich zu
sehen, wie er dort steht und geht, wird hoffentlich in nicht zu ferner
Zukunft wieder ein glänzendes Zeugnis menschlichen Erfindungsgeistes
liefern.

a) Die Schreibkunst.
1. Die Schreibschrift.

Welch' ungeheurer Fortschritt von der Erfindung der Sprache, die
in ihren ersten Anfängen wohl aus instinktiven, fast tierischen Natur-
lauten bestand, bis zur Erfindung der Schrift, bei der von der Aus-
übung instinktiver Fähigkeiten gar keine Rede mehr sein kann, vielmehr
der von Bewußtsein getragene Verstand des Menschen in deutlichem
Gegensatz zu den dumpfen Instinkten der Tiere tritt. Von wem und
wo diese große Erfindung zuerst gemacht ist, durch die es dem Menschen
möglich wurde, seine Gedanken und Gefühle anderen Menschen mitzu-
teilen, darüber herrscht völliges Dunkel. Aller Wahrscheinlichkeit nach
ist sie bei verschiedenen Volksstämmen zu verschiedenen Zeiten unab-
hängig ans Licht der Welt getreten, erst als schüchternes Knösplein,
um später allmählich auf meist gleichartigem Wege zu dem gewaltigen
Kulturmittel zu erstarken, das sie in den letzten beiden Jahrtausenden ge-
worden ist. Daß wir es aber mit einer wirklichen Erfindung zu thun
haben, nicht mit einer jedem Menschen angeborenen Fähigkeit, die nur einer
gewissen Zeit der Entwicklung bedurfte, das sehen wir daraus, daß man
noch in der jüngsten Zeit manche wilde Völkerschaften gefunden hat,
die sich noch immer nicht zu dieser Erfindung emporgeschwungen haben
und sich daher noch heute in einem Zustande des gesellschaftlichen
Lebens befinden, in den sich nur in Gedanken zurückzuversetzen für
uns Civilisierte fast zur Unmöglichkeit geworden ist.

Die ersten Anfänge der Schrift scheinen auf dem Gedanken zu be-
ruhen, die vergangenen Ereignisse im Gedächtnis lebendig zu erhalten,
indem körperliche Gegenstände, in bestimmter Weise angeordnet, eine
geschichtliche Begebenheit darzustellen bestimmt wurden, oder indem rohe
bildliche Darstellungen demselben Zwecke dienten. Ein weiter Sprung
von außerordentlicher Wichtigkeit bestand darin, daß man sich nicht

Die Schreibkunſt.
gefertigten Bildwerkes in beliebig großer Zahl mechaniſch zu verviel-
fältigen. Natürlich fand dieſe Erfindung auch bei den neueſten der
oben genannten Methoden, die die Vervielfältigung eines Kunſtwerkes
bezwecken, vielfach Anwendung.

Die ganze neuere Entwickelung drängt dahin, alle Körper der
Natur nicht körperlich, ſondern nur ſcheinbar dadurch unzählige Male
zu vervielfältigen, daß man einen Apparat, einen Fernſeher, erfindet,
mit dem man ſich das Bild eines mit rein optiſchen Mitteln nicht
ſichtbaren Gegenſtandes vor das Auge zaubern kann. Die Erfindung
dieſes Gegenſtückes zum Telephon, das es beiſpielsweiſe ermöglichen
würde, einen in Amerika weilenden Verwandten in Berlin wirklich zu
ſehen, wie er dort ſteht und geht, wird hoffentlich in nicht zu ferner
Zukunft wieder ein glänzendes Zeugnis menſchlichen Erfindungsgeiſtes
liefern.

a) Die Schreibkunſt.
1. Die Schreibſchrift.

Welch’ ungeheurer Fortſchritt von der Erfindung der Sprache, die
in ihren erſten Anfängen wohl aus inſtinktiven, faſt tieriſchen Natur-
lauten beſtand, bis zur Erfindung der Schrift, bei der von der Aus-
übung inſtinktiver Fähigkeiten gar keine Rede mehr ſein kann, vielmehr
der von Bewußtſein getragene Verſtand des Menſchen in deutlichem
Gegenſatz zu den dumpfen Inſtinkten der Tiere tritt. Von wem und
wo dieſe große Erfindung zuerſt gemacht iſt, durch die es dem Menſchen
möglich wurde, ſeine Gedanken und Gefühle anderen Menſchen mitzu-
teilen, darüber herrſcht völliges Dunkel. Aller Wahrſcheinlichkeit nach
iſt ſie bei verſchiedenen Volksſtämmen zu verſchiedenen Zeiten unab-
hängig ans Licht der Welt getreten, erſt als ſchüchternes Knöſplein,
um ſpäter allmählich auf meiſt gleichartigem Wege zu dem gewaltigen
Kulturmittel zu erſtarken, das ſie in den letzten beiden Jahrtauſenden ge-
worden iſt. Daß wir es aber mit einer wirklichen Erfindung zu thun
haben, nicht mit einer jedem Menſchen angeborenen Fähigkeit, die nur einer
gewiſſen Zeit der Entwicklung bedurfte, das ſehen wir daraus, daß man
noch in der jüngſten Zeit manche wilde Völkerſchaften gefunden hat,
die ſich noch immer nicht zu dieſer Erfindung emporgeſchwungen haben
und ſich daher noch heute in einem Zuſtande des geſellſchaftlichen
Lebens befinden, in den ſich nur in Gedanken zurückzuverſetzen für
uns Civiliſierte faſt zur Unmöglichkeit geworden iſt.

Die erſten Anfänge der Schrift ſcheinen auf dem Gedanken zu be-
ruhen, die vergangenen Ereigniſſe im Gedächtnis lebendig zu erhalten,
indem körperliche Gegenſtände, in beſtimmter Weiſe angeordnet, eine
geſchichtliche Begebenheit darzuſtellen beſtimmt wurden, oder indem rohe
bildliche Darſtellungen demſelben Zwecke dienten. Ein weiter Sprung
von außerordentlicher Wichtigkeit beſtand darin, daß man ſich nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0953" n="935"/><fw place="top" type="header">Die Schreibkun&#x017F;t.</fw><lb/>
gefertigten Bildwerkes in beliebig großer Zahl mechani&#x017F;ch zu verviel-<lb/>
fältigen. Natürlich fand die&#x017F;e Erfindung auch bei den neue&#x017F;ten der<lb/>
oben genannten Methoden, die die Vervielfältigung eines Kun&#x017F;twerkes<lb/>
bezwecken, vielfach Anwendung.</p><lb/>
          <p>Die ganze neuere Entwickelung drängt dahin, alle Körper der<lb/>
Natur nicht körperlich, &#x017F;ondern nur &#x017F;cheinbar dadurch unzählige Male<lb/>
zu vervielfältigen, daß man einen Apparat, einen Fern&#x017F;eher, erfindet,<lb/>
mit dem man &#x017F;ich das Bild eines mit rein opti&#x017F;chen Mitteln nicht<lb/>
&#x017F;ichtbaren Gegen&#x017F;tandes vor das Auge zaubern kann. Die Erfindung<lb/>
die&#x017F;es Gegen&#x017F;tückes zum Telephon, das es bei&#x017F;pielswei&#x017F;e ermöglichen<lb/>
würde, einen in Amerika weilenden Verwandten in Berlin wirklich zu<lb/>
&#x017F;ehen, wie er dort &#x017F;teht und geht, wird hoffentlich in nicht zu ferner<lb/>
Zukunft wieder ein glänzendes Zeugnis men&#x017F;chlichen Erfindungsgei&#x017F;tes<lb/>
liefern.</p><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">a)</hi> Die Schreibkun&#x017F;t.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">1. Die Schreib&#x017F;chrift.</hi> </head><lb/>
              <p>Welch&#x2019; ungeheurer Fort&#x017F;chritt von der Erfindung der Sprache, die<lb/>
in ihren er&#x017F;ten Anfängen wohl aus in&#x017F;tinktiven, fa&#x017F;t tieri&#x017F;chen Natur-<lb/>
lauten be&#x017F;tand, bis zur Erfindung der Schrift, bei der von der Aus-<lb/>
übung in&#x017F;tinktiver Fähigkeiten gar keine Rede mehr &#x017F;ein kann, vielmehr<lb/>
der von Bewußt&#x017F;ein getragene Ver&#x017F;tand des Men&#x017F;chen in deutlichem<lb/>
Gegen&#x017F;atz zu den dumpfen In&#x017F;tinkten der Tiere tritt. Von wem und<lb/>
wo die&#x017F;e große Erfindung zuer&#x017F;t gemacht i&#x017F;t, durch die es dem Men&#x017F;chen<lb/>
möglich wurde, &#x017F;eine Gedanken und Gefühle anderen Men&#x017F;chen mitzu-<lb/>
teilen, darüber herr&#x017F;cht völliges Dunkel. Aller Wahr&#x017F;cheinlichkeit nach<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie bei ver&#x017F;chiedenen Volks&#x017F;tämmen zu ver&#x017F;chiedenen Zeiten unab-<lb/>
hängig ans Licht der Welt getreten, er&#x017F;t als &#x017F;chüchternes Knö&#x017F;plein,<lb/>
um &#x017F;päter allmählich auf mei&#x017F;t gleichartigem Wege zu dem gewaltigen<lb/>
Kulturmittel zu er&#x017F;tarken, das &#x017F;ie in den letzten beiden Jahrtau&#x017F;enden ge-<lb/>
worden i&#x017F;t. Daß wir es aber mit einer wirklichen Erfindung zu thun<lb/>
haben, nicht mit einer jedem Men&#x017F;chen angeborenen Fähigkeit, die nur einer<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Zeit der Entwicklung bedurfte, das &#x017F;ehen wir daraus, daß man<lb/>
noch in der jüng&#x017F;ten Zeit manche wilde Völker&#x017F;chaften gefunden hat,<lb/>
die &#x017F;ich noch immer nicht zu die&#x017F;er Erfindung emporge&#x017F;chwungen haben<lb/>
und &#x017F;ich daher noch heute in einem Zu&#x017F;tande des ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
Lebens befinden, in den &#x017F;ich nur in Gedanken zurückzuver&#x017F;etzen für<lb/>
uns Civili&#x017F;ierte fa&#x017F;t zur Unmöglichkeit geworden i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Die er&#x017F;ten Anfänge der Schrift &#x017F;cheinen auf dem Gedanken zu be-<lb/>
ruhen, die vergangenen Ereigni&#x017F;&#x017F;e im Gedächtnis lebendig zu erhalten,<lb/>
indem körperliche Gegen&#x017F;tände, in be&#x017F;timmter Wei&#x017F;e angeordnet, eine<lb/>
ge&#x017F;chichtliche Begebenheit darzu&#x017F;tellen be&#x017F;timmt wurden, oder indem rohe<lb/>
bildliche Dar&#x017F;tellungen dem&#x017F;elben Zwecke dienten. Ein weiter Sprung<lb/>
von außerordentlicher Wichtigkeit be&#x017F;tand darin, daß man &#x017F;ich nicht<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[935/0953] Die Schreibkunſt. gefertigten Bildwerkes in beliebig großer Zahl mechaniſch zu verviel- fältigen. Natürlich fand dieſe Erfindung auch bei den neueſten der oben genannten Methoden, die die Vervielfältigung eines Kunſtwerkes bezwecken, vielfach Anwendung. Die ganze neuere Entwickelung drängt dahin, alle Körper der Natur nicht körperlich, ſondern nur ſcheinbar dadurch unzählige Male zu vervielfältigen, daß man einen Apparat, einen Fernſeher, erfindet, mit dem man ſich das Bild eines mit rein optiſchen Mitteln nicht ſichtbaren Gegenſtandes vor das Auge zaubern kann. Die Erfindung dieſes Gegenſtückes zum Telephon, das es beiſpielsweiſe ermöglichen würde, einen in Amerika weilenden Verwandten in Berlin wirklich zu ſehen, wie er dort ſteht und geht, wird hoffentlich in nicht zu ferner Zukunft wieder ein glänzendes Zeugnis menſchlichen Erfindungsgeiſtes liefern. a) Die Schreibkunſt. 1. Die Schreibſchrift. Welch’ ungeheurer Fortſchritt von der Erfindung der Sprache, die in ihren erſten Anfängen wohl aus inſtinktiven, faſt tieriſchen Natur- lauten beſtand, bis zur Erfindung der Schrift, bei der von der Aus- übung inſtinktiver Fähigkeiten gar keine Rede mehr ſein kann, vielmehr der von Bewußtſein getragene Verſtand des Menſchen in deutlichem Gegenſatz zu den dumpfen Inſtinkten der Tiere tritt. Von wem und wo dieſe große Erfindung zuerſt gemacht iſt, durch die es dem Menſchen möglich wurde, ſeine Gedanken und Gefühle anderen Menſchen mitzu- teilen, darüber herrſcht völliges Dunkel. Aller Wahrſcheinlichkeit nach iſt ſie bei verſchiedenen Volksſtämmen zu verſchiedenen Zeiten unab- hängig ans Licht der Welt getreten, erſt als ſchüchternes Knöſplein, um ſpäter allmählich auf meiſt gleichartigem Wege zu dem gewaltigen Kulturmittel zu erſtarken, das ſie in den letzten beiden Jahrtauſenden ge- worden iſt. Daß wir es aber mit einer wirklichen Erfindung zu thun haben, nicht mit einer jedem Menſchen angeborenen Fähigkeit, die nur einer gewiſſen Zeit der Entwicklung bedurfte, das ſehen wir daraus, daß man noch in der jüngſten Zeit manche wilde Völkerſchaften gefunden hat, die ſich noch immer nicht zu dieſer Erfindung emporgeſchwungen haben und ſich daher noch heute in einem Zuſtande des geſellſchaftlichen Lebens befinden, in den ſich nur in Gedanken zurückzuverſetzen für uns Civiliſierte faſt zur Unmöglichkeit geworden iſt. Die erſten Anfänge der Schrift ſcheinen auf dem Gedanken zu be- ruhen, die vergangenen Ereigniſſe im Gedächtnis lebendig zu erhalten, indem körperliche Gegenſtände, in beſtimmter Weiſe angeordnet, eine geſchichtliche Begebenheit darzuſtellen beſtimmt wurden, oder indem rohe bildliche Darſtellungen demſelben Zwecke dienten. Ein weiter Sprung von außerordentlicher Wichtigkeit beſtand darin, daß man ſich nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/953
Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 935. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/953>, abgerufen am 22.11.2024.