te, müssige, auch vornehme Leute, mit den Fuhrleuten, Wagenknechten, Schuhputzern und Peruckenmachern, da sammeln, essen, tanzen, und huren. Das Essen sieht appetitlich aus, der Wein ist nicht so lieblich, wie man ihn in der Stadt bekömmt, aber er ist natürlicher und wohl- feiler, die Bouteille zu 8. Sous. Hof und Gartenplatz sind mit lauter Stühlen und kleinen Tischchen besetzt. Ue- berall herrscht die gröste Wildheit, und alle nur erdenkli- che Ausgelassenheit. Ein Fremder, ein Deutscher er- staunt über die Schamlosigkeit der Französinnen. Zur Ehre der deutschen Nation ists doch bei uns *) so weit noch nicht gekommen. Die Dirnen reissen selber die Fremden zum Tanz auf, embrassiren jeden, der herein- kommt, setzen sich zu jedem, der Essen oder Trinken fo- dert, und lassen etwas bringen, wenn man auch nichts verlangt, machen sich gleich aufs genauste bekannt, erzäh- len ihre Geschichte, ihre Kindbetten, ihre Siege von heu- te, von gestern, bieten Blumen an, und machen allerlei häsliche Geberden mit den Stielen, trinken Wein wie Wasser ohne Brot, legen sich auf die Bank lang aus- gestreckt hin, nehmen die Bouteille, biegen sich bis auf den andern Tisch zurück, trinken sie aus, und schwören ein Sacre Dieu, wenn nichts mehr darin ist, singen gar- stige Zoten, ziehen sich an und aus, heben den Fuß auf den Tisch und sagen: Voila ma jambe, qui est bien faite, mais la cuisse etc. lassen die Leute nicht fort, stellen sich unter die Thüre, nennen einen: O mon bon Enfant, ah! tu cher, sagen, sie hätten einen schon
hundert-
*) Eine der grösten Städte Deutschlands vielleicht aus- genommen. Herausgeber.
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te, muͤſſige, auch vornehme Leute, mit den Fuhrleuten, Wagenknechten, Schuhputzern und Peruckenmachern, da ſammeln, eſſen, tanzen, und huren. Das Eſſen ſieht appetitlich aus, der Wein iſt nicht ſo lieblich, wie man ihn in der Stadt bekoͤmmt, aber er iſt natuͤrlicher und wohl- feiler, die Bouteille zu 8. Sous. Hof und Gartenplatz ſind mit lauter Stuͤhlen und kleinen Tiſchchen beſetzt. Ue- berall herrſcht die groͤſte Wildheit, und alle nur erdenkli- che Ausgelaſſenheit. Ein Fremder, ein Deutſcher er- ſtaunt uͤber die Schamloſigkeit der Franzoͤſinnen. Zur Ehre der deutſchen Nation iſts doch bei uns *) ſo weit noch nicht gekommen. Die Dirnen reiſſen ſelber die Fremden zum Tanz auf, embraſſiren jeden, der herein- kommt, ſetzen ſich zu jedem, der Eſſen oder Trinken fo- dert, und laſſen etwas bringen, wenn man auch nichts verlangt, machen ſich gleich aufs genauſte bekannt, erzaͤh- len ihre Geſchichte, ihre Kindbetten, ihre Siege von heu- te, von geſtern, bieten Blumen an, und machen allerlei haͤsliche Geberden mit den Stielen, trinken Wein wie Waſſer ohne Brot, legen ſich auf die Bank lang aus- geſtreckt hin, nehmen die Bouteille, biegen ſich bis auf den andern Tiſch zuruͤck, trinken ſie aus, und ſchwoͤren ein Sacre Dieu, wenn nichts mehr darin iſt, ſingen gar- ſtige Zoten, ziehen ſich an und aus, heben den Fuß auf den Tiſch und ſagen: Voilà ma jambe, qui eſt bien faite, mais la cuiſſe etc. laſſen die Leute nicht fort, ſtellen ſich unter die Thuͤre, nennen einen: O mon bon Enfant, ah! tu cher, ſagen, ſie haͤtten einen ſchon
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*) Eine der groͤſten Staͤdte Deutſchlands vielleicht aus- genommen. Herausgeber.
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te, muͤſſige, auch vornehme Leute, mit den Fuhrleuten,
Wagenknechten, Schuhputzern und Peruckenmachern, da
ſammeln, eſſen, tanzen, und huren. Das Eſſen ſieht
appetitlich aus, der Wein iſt nicht ſo lieblich, wie man ihn
in der Stadt bekoͤmmt, aber er iſt natuͤrlicher und wohl-
feiler, die Bouteille zu 8. Sous. Hof und Gartenplatz
ſind mit lauter Stuͤhlen und kleinen Tiſchchen beſetzt. Ue-
berall herrſcht die groͤſte Wildheit, und alle nur erdenkli-
che Ausgelaſſenheit. Ein Fremder, ein Deutſcher er-
ſtaunt uͤber die Schamloſigkeit der Franzoͤſinnen. Zur
Ehre der deutſchen Nation iſts doch bei uns *) ſo weit
noch nicht gekommen. Die Dirnen reiſſen ſelber die
Fremden zum Tanz auf, embraſſiren jeden, der herein-
kommt, ſetzen ſich zu jedem, der Eſſen oder Trinken fo-
dert, und laſſen etwas bringen, wenn man auch nichts
verlangt, machen ſich gleich aufs genauſte bekannt, erzaͤh-
len ihre Geſchichte, ihre Kindbetten, ihre Siege von heu-
te, von geſtern, bieten Blumen an, und machen allerlei
haͤsliche Geberden mit den Stielen, trinken Wein wie
Waſſer ohne Brot, legen ſich auf die Bank lang aus-
geſtreckt hin, nehmen die Bouteille, biegen ſich bis auf
den andern Tiſch zuruͤck, trinken ſie aus, und ſchwoͤren
ein Sacre Dieu, wenn nichts mehr darin iſt, ſingen gar-
ſtige Zoten, ziehen ſich an und aus, heben den Fuß auf
den Tiſch und ſagen: Voilà ma jambe, qui eſt bien
faite, mais la cuiſſe etc. laſſen die Leute nicht fort,
ſtellen ſich unter die Thuͤre, nennen einen: O mon bon
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/161>, abgerufen am 16.02.2025.
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