bar in einander gewirkt. Man sieht Stücke, die so voll sind, wie das feinste Gemälde. Einige glänzen mit Gold und Silber, daß das Auge geblendet wird. Auf allen sind oben oder unten die Königl. Lilien in einem herrlichen blauen Felde. Die meisten Vorstellungen ste- hen unten in eingenähten Buchstaben. Sie sind entwe- der aus der Mythologie, oder vom Theater, oder aus der biblischen, oder aus der französischen Geschichte, oder aus der Natur genommen. In Gesichtern ist man nicht gar glücklich, wenigstens unter den weiblichen Figuren, ist es selten vorzüglich; männliche sind viele herrlich. Aber was die andern Gliedmaßen, besonders Schenkel, Füsse, was Stellungen, was Kinder, Blumen, Laub- werk etc. betrift, und antike Trachten, das ist alles unbe- schreiblich schön. Pferde, grosse Thiere, Vögel sind herrlich, Schlangen und kleinere Thiere aber mittelmäs- sig: über die Nachahmung des Laubwerks der Blu- men, der Früchte hingegen, geht nichts. Fast alle Stü- cke sind mit solchen Kränzen, an denen ich mich nicht satt sehen konnte, eingefaßt. Unter den Stücken, die ich sah, gefielen mir folgende am besten: Die Jahrszei- ten; und Jason und Medea; man sieht ihr die auf- wallende Liebe, das schüchterne Mistrauen, und die Zwei- fel an seiner Treue an, und er liegt so vor ihr, als wenn er schon Willens wäre, untreu zu werden; Medea er- mordet ihre Kinder; die beiden Schlachtopfer liegen ganz vortreflich da, und die erhitzte Furie stützt sich trotzig auf ihren blutigen Dolch. Ewig Schade, daß das Ge- sicht nicht noch mehr ausgedrückt! Die kriegerischen Auf- tritte von LudwigXIV. wie er 1660 -- 1672. bei der Armee in Flandern und Lothringen war, kommen ei- nem lächerlich vor; er reitet auf Schimmeln, in so son-
derbarer
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bar in einander gewirkt. Man ſieht Stuͤcke, die ſo voll ſind, wie das feinſte Gemaͤlde. Einige glaͤnzen mit Gold und Silber, daß das Auge geblendet wird. Auf allen ſind oben oder unten die Koͤnigl. Lilien in einem herrlichen blauen Felde. Die meiſten Vorſtellungen ſte- hen unten in eingenaͤhten Buchſtaben. Sie ſind entwe- der aus der Mythologie, oder vom Theater, oder aus der bibliſchen, oder aus der franzoͤſiſchen Geſchichte, oder aus der Natur genommen. In Geſichtern iſt man nicht gar gluͤcklich, wenigſtens unter den weiblichen Figuren, iſt es ſelten vorzuͤglich; maͤnnliche ſind viele herrlich. Aber was die andern Gliedmaßen, beſonders Schenkel, Fuͤſſe, was Stellungen, was Kinder, Blumen, Laub- werk ꝛc. betrift, und antike Trachten, das iſt alles unbe- ſchreiblich ſchoͤn. Pferde, groſſe Thiere, Voͤgel ſind herrlich, Schlangen und kleinere Thiere aber mittelmaͤſ- ſig: uͤber die Nachahmung des Laubwerks der Blu- men, der Fruͤchte hingegen, geht nichts. Faſt alle Stuͤ- cke ſind mit ſolchen Kraͤnzen, an denen ich mich nicht ſatt ſehen konnte, eingefaßt. Unter den Stuͤcken, die ich ſah, gefielen mir folgende am beſten: Die Jahrszei- ten; und Jaſon und Medea; man ſieht ihr die auf- wallende Liebe, das ſchuͤchterne Mistrauen, und die Zwei- fel an ſeiner Treue an, und er liegt ſo vor ihr, als wenn er ſchon Willens waͤre, untreu zu werden; Medea er- mordet ihre Kinder; die beiden Schlachtopfer liegen ganz vortreflich da, und die erhitzte Furie ſtuͤtzt ſich trotzig auf ihren blutigen Dolch. Ewig Schade, daß das Ge- ſicht nicht noch mehr ausgedruͤckt! Die kriegeriſchen Auf- tritte von LudwigXIV. wie er 1660 — 1672. bei der Armee in Flandern und Lothringen war, kommen ei- nem laͤcherlich vor; er reitet auf Schimmeln, in ſo ſon-
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bar in einander gewirkt. Man ſieht Stuͤcke, die ſo voll
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Gold und Silber, daß das Auge geblendet wird. Auf
allen ſind oben oder unten die Koͤnigl. Lilien in einem
herrlichen blauen Felde. Die meiſten Vorſtellungen ſte-
hen unten in eingenaͤhten Buchſtaben. Sie ſind entwe-
der aus der Mythologie, oder vom Theater, oder aus
der bibliſchen, oder aus der franzoͤſiſchen Geſchichte, oder
aus der Natur genommen. In Geſichtern iſt man nicht
gar gluͤcklich, wenigſtens unter den weiblichen Figuren,
iſt es ſelten vorzuͤglich; maͤnnliche ſind viele herrlich.
Aber was die andern Gliedmaßen, beſonders Schenkel,
Fuͤſſe, was Stellungen, was Kinder, Blumen, Laub-
werk ꝛc. betrift, und antike Trachten, das iſt alles unbe-
ſchreiblich ſchoͤn. Pferde, groſſe Thiere, Voͤgel ſind
herrlich, Schlangen und kleinere Thiere aber mittelmaͤſ-
ſig: uͤber die Nachahmung des Laubwerks der Blu-
men, der Fruͤchte hingegen, geht nichts. Faſt alle Stuͤ-
cke ſind mit ſolchen Kraͤnzen, an denen ich mich nicht ſatt
ſehen konnte, eingefaßt. Unter den Stuͤcken, die ich
ſah, gefielen mir folgende am beſten: Die Jahrszei-
ten; und Jaſon und Medea; man ſieht ihr die auf-
wallende Liebe, das ſchuͤchterne Mistrauen, und die Zwei-
fel an ſeiner Treue an, und er liegt ſo vor ihr, als wenn
er ſchon Willens waͤre, untreu zu werden; Medea er-
mordet ihre Kinder; die beiden Schlachtopfer liegen
ganz vortreflich da, und die erhitzte Furie ſtuͤtzt ſich trotzig
auf ihren blutigen Dolch. Ewig Schade, daß das Ge-
ſicht nicht noch mehr ausgedruͤckt! Die kriegeriſchen Auf-
tritte von Ludwig XIV. wie er 1660 — 1672. bei der
Armee in Flandern und Lothringen war, kommen ei-
nem laͤcherlich vor; er reitet auf Schimmeln, in ſo ſon-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/173>, abgerufen am 21.11.2024.
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