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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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kömmt auch hinab, sie bittet ihn, zurück zu gehen, end-
lich ruft sie Charon, und ehe man's sich versieht, führt
sie Herkules unten zwischen lauter Feuer und Felsen
herauf etc. Ich bin müde, aber Rousseau's Stelle fällt
mir noch ein: Les passions violentes ont tou-
jours dans leurs exces quelque chose de puerile,
qui nous amuse, seduit, et nous fait aimer ce
qui seroit a craindre. Voila pourquoi nous
aimons tous le theatre, et plusieurs entre nous
les romans.

Den 14ten Jun.

Mr. Delor und ich wolten heute Mr. de Bomare
besuchen, um sein Kabinet, Rue Ferrerie zu sehen; er
war aber für den ganzen Sommer in Chantilly beim
Prinz von Conde'. Es ist unglaublich, was das für
eine Last ist, in Paris des Morgens Stundenlang her-
um zu laufen und doch seinen Zweck nicht zu erreichen.
Alles läuft auf und vom Markt, beständig glitscht man
aufm Pflaster, ganze Strassen lang muß man oft hinter
den Lastwagen herkriechen, die mit Steinen, Ziegel,
Holz etc. so beschwert sind, daß sie alle Augenblicke bre-
chen und 50. Menschen die Füsse entzwei schlagen können.
Man bekömmt Kopfweh nur von dem ewigen Schlagen,
und Trampeln der Pferde, und dem Schreien und Fluchen
der Leute. Wer strepitum tumultumque urbis
nicht kennt, kan's hier erfahren. Sieht man's nicht an
den Einwohnern von Paris selber, daß ihnen das be-
ständige Getümmel zur Last ist, da sie aufs Land gehen,
sobald die Natur wieder schön wird? Wie arbeiten oft
Menschen, um die besten natürlichen Vergnügungen zu

verjagen!
O 5

koͤmmt auch hinab, ſie bittet ihn, zuruͤck zu gehen, end-
lich ruft ſie Charon, und ehe man’s ſich verſieht, fuͤhrt
ſie Herkules unten zwiſchen lauter Feuer und Felſen
herauf ꝛc. Ich bin muͤde, aber Rouſſeau’s Stelle faͤllt
mir noch ein: Les paſſions violentes ont tou-
jours dans leurs excès quelque choſe de puerile,
qui nous amuſe, ſeduit, et nous fait aimer ce
qui ſeroit à craindre. Voilà pourquoi nous
aimons tous le theatre, et pluſieurs entre nous
les romans.

Den 14ten Jun.

Mr. Delor und ich wolten heute Mr. de Bomare
beſuchen, um ſein Kabinet, Rue Ferrerie zu ſehen; er
war aber fuͤr den ganzen Sommer in Chantilly beim
Prinz von Conde’. Es iſt unglaublich, was das fuͤr
eine Laſt iſt, in Paris des Morgens Stundenlang her-
um zu laufen und doch ſeinen Zweck nicht zu erreichen.
Alles laͤuft auf und vom Markt, beſtaͤndig glitſcht man
aufm Pflaſter, ganze Straſſen lang muß man oft hinter
den Laſtwagen herkriechen, die mit Steinen, Ziegel,
Holz ꝛc. ſo beſchwert ſind, daß ſie alle Augenblicke bre-
chen und 50. Menſchen die Fuͤſſe entzwei ſchlagen koͤnnen.
Man bekoͤmmt Kopfweh nur von dem ewigen Schlagen,
und Trampeln der Pferde, und dem Schreien und Fluchen
der Leute. Wer ſtrepitum tumultumque urbis
nicht kennt, kan’s hier erfahren. Sieht man’s nicht an
den Einwohnern von Paris ſelber, daß ihnen das be-
ſtaͤndige Getuͤmmel zur Laſt iſt, da ſie aufs Land gehen,
ſobald die Natur wieder ſchoͤn wird? Wie arbeiten oft
Menſchen, um die beſten natuͤrlichen Vergnuͤgungen zu

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[217/0241] koͤmmt auch hinab, ſie bittet ihn, zuruͤck zu gehen, end- lich ruft ſie Charon, und ehe man’s ſich verſieht, fuͤhrt ſie Herkules unten zwiſchen lauter Feuer und Felſen herauf ꝛc. Ich bin muͤde, aber Rouſſeau’s Stelle faͤllt mir noch ein: Les paſſions violentes ont tou- jours dans leurs excès quelque choſe de puerile, qui nous amuſe, ſeduit, et nous fait aimer ce qui ſeroit à craindre. Voilà pourquoi nous aimons tous le theatre, et pluſieurs entre nous les romans. Den 14ten Jun. Mr. Delor und ich wolten heute Mr. de Bomare beſuchen, um ſein Kabinet, Rue Ferrerie zu ſehen; er war aber fuͤr den ganzen Sommer in Chantilly beim Prinz von Conde’. Es iſt unglaublich, was das fuͤr eine Laſt iſt, in Paris des Morgens Stundenlang her- um zu laufen und doch ſeinen Zweck nicht zu erreichen. Alles laͤuft auf und vom Markt, beſtaͤndig glitſcht man aufm Pflaſter, ganze Straſſen lang muß man oft hinter den Laſtwagen herkriechen, die mit Steinen, Ziegel, Holz ꝛc. ſo beſchwert ſind, daß ſie alle Augenblicke bre- chen und 50. Menſchen die Fuͤſſe entzwei ſchlagen koͤnnen. Man bekoͤmmt Kopfweh nur von dem ewigen Schlagen, und Trampeln der Pferde, und dem Schreien und Fluchen der Leute. Wer ſtrepitum tumultumque urbis nicht kennt, kan’s hier erfahren. Sieht man’s nicht an den Einwohnern von Paris ſelber, daß ihnen das be- ſtaͤndige Getuͤmmel zur Laſt iſt, da ſie aufs Land gehen, ſobald die Natur wieder ſchoͤn wird? Wie arbeiten oft Menſchen, um die beſten natuͤrlichen Vergnuͤgungen zu verjagen! O 5

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/241>, abgerufen am 24.11.2024.