des Franzosen. Aber nun höre man J. J. Rousseau in seinen Pensees, Amsterd. 1763. 8 v o. S. 188. art. Gout. "Il paroit peu de livres estimes dans "l'Europe, dont l'Auteur n'ait ete se former a "Paris. -- Si vous avez une etincelle de genie, "allez passer une annee a Paris: bientot vous "serez tout ce que vous pouvez etre, ou vous "ne serez jamais rien." Ist's möglich, daß ein Mann, der sonst in vielen Sachen so scharf sah, so was Dummes, Kindischstolzes, so was Unsinniges, was das Gepräge der tiefen Unwissenheit, und des unbändigsten Nationalstolzes an der Stirne trägt, schreiben konnte? und das in eben dem Buche, wo er oft gegen Paris und London Invektiven schreibt?
Man sagt den Franzosen nach, daß sie sehr mäs- sig im Essen und Trinken seyn. Und in der That ißt der Deutsche, der Engelländer etc. hier dreimahl mehr, als sonst, besonders im Anfange. Indessen sollte man sagen, die Franzosen können nicht kochen wie die Deut- schen. Man gehe in Kaufmannshäuser, in grosse Ho- tels oder in kleine, ihr Bouilli, ihr gekochtes Rindfleisch, das ist ewig ihre Speise. Schon ihre Braten sind schlecht, gemeiniglich noch etwas blutig, roth etc. und das Gemüse ist auch bei weitem nicht, wie bei uns. Ihr Brot ist auch nicht alles genug ausgebacken. Es ist hier, wie in Sachsen. Man wendet alles an den Klei- derstaat und Häuserputz; zum Tisch hat man nicht viel übrig. Der Franzos setzt sich geputzt, im prächtigsten Kleide, an den elendesten Tisch. Von einem Bröt- chen und einem Stücke Käse leben viele, die man auf der Gasse für die grösten Leute halten sollte. Und ihre Mäs-
sigkeit
des Franzoſen. Aber nun hoͤre man J. J. Rouſſeau in ſeinen Penſées, Amſterd. 1763. 8 v o. S. 188. art. Gout. „Il paroit peu de livres eſtimés dans „l’Europe, dont l’Auteur n’ait été ſe former à „Paris. — Si vous avez une étincelle de génie, „allez paſſer une année à Paris: bientôt vous „ſerez tout ce que vous pouvez être, ou vous „ne ſerez jamais rien.“ Iſt’s moͤglich, daß ein Mann, der ſonſt in vielen Sachen ſo ſcharf ſah, ſo was Dummes, Kindiſchſtolzes, ſo was Unſinniges, was das Gepraͤge der tiefen Unwiſſenheit, und des unbaͤndigſten Nationalſtolzes an der Stirne traͤgt, ſchreiben konnte? und das in eben dem Buche, wo er oft gegen Paris und London Invektiven ſchreibt?
Man ſagt den Franzoſen nach, daß ſie ſehr maͤſ- ſig im Eſſen und Trinken ſeyn. Und in der That ißt der Deutſche, der Engellaͤnder ꝛc. hier dreimahl mehr, als ſonſt, beſonders im Anfange. Indeſſen ſollte man ſagen, die Franzoſen koͤnnen nicht kochen wie die Deut- ſchen. Man gehe in Kaufmannshaͤuſer, in groſſe Ho- tels oder in kleine, ihr Bouilli, ihr gekochtes Rindfleiſch, das iſt ewig ihre Speiſe. Schon ihre Braten ſind ſchlecht, gemeiniglich noch etwas blutig, roth ꝛc. und das Gemuͤſe iſt auch bei weitem nicht, wie bei uns. Ihr Brot iſt auch nicht alles genug ausgebacken. Es iſt hier, wie in Sachſen. Man wendet alles an den Klei- derſtaat und Haͤuſerputz; zum Tiſch hat man nicht viel uͤbrig. Der Franzos ſetzt ſich geputzt, im praͤchtigſten Kleide, an den elendeſten Tiſch. Von einem Broͤt- chen und einem Stuͤcke Kaͤſe leben viele, die man auf der Gaſſe fuͤr die groͤſten Leute halten ſollte. Und ihre Maͤſ-
ſigkeit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0300"n="276"/>
des Franzoſen. Aber nun hoͤre man <hirendition="#aq"><hirendition="#i">J. J. Rouſſeau</hi></hi><lb/>
in ſeinen <hirendition="#aq">Penſées, Amſterd. 1763. 8 v o.</hi> S. 188.<lb/><hirendition="#aq">art. <hirendition="#i">Gout</hi>. „Il paroit peu de livres eſtimés dans<lb/>„l’Europe, dont l’Auteur n’ait été ſe former à<lb/>„Paris. — Si vous avez une étincelle de génie,<lb/>„allez paſſer une année à Paris: bientôt vous<lb/>„ſerez tout ce que vous pouvez être, ou vous<lb/>„ne ſerez jamais rien.“</hi> Iſt’s moͤglich, daß ein<lb/>
Mann, der ſonſt in vielen Sachen ſo ſcharf ſah, ſo was<lb/>
Dummes, Kindiſchſtolzes, ſo was Unſinniges, was das<lb/>
Gepraͤge der tiefen Unwiſſenheit, und des unbaͤndigſten<lb/>
Nationalſtolzes an der Stirne traͤgt, ſchreiben konnte?<lb/>
und das in eben dem Buche, wo er oft gegen <hirendition="#fr">Paris</hi> und<lb/><hirendition="#fr">London</hi> Invektiven ſchreibt?</p><lb/><p>Man ſagt den <hirendition="#fr">Franzoſen</hi> nach, daß ſie ſehr <hirendition="#fr">maͤſ-<lb/>ſig</hi> im Eſſen und Trinken ſeyn. Und in der That ißt<lb/>
der Deutſche, der Engellaͤnder ꝛc. hier dreimahl mehr,<lb/>
als ſonſt, beſonders im Anfange. Indeſſen ſollte man<lb/>ſagen, die Franzoſen koͤnnen nicht kochen wie die Deut-<lb/>ſchen. Man gehe in Kaufmannshaͤuſer, in groſſe Ho-<lb/>
tels oder in kleine, ihr <hirendition="#aq">Bouilli,</hi> ihr gekochtes Rindfleiſch,<lb/>
das iſt ewig ihre Speiſe. Schon ihre Braten ſind<lb/>ſchlecht, gemeiniglich noch etwas blutig, roth ꝛc. und<lb/>
das Gemuͤſe iſt auch bei weitem nicht, wie bei uns. Ihr<lb/>
Brot iſt auch nicht alles genug ausgebacken. Es iſt<lb/>
hier, wie in <hirendition="#fr">Sachſen.</hi> Man wendet alles an den Klei-<lb/>
derſtaat und Haͤuſerputz; zum Tiſch hat man nicht viel<lb/>
uͤbrig. Der Franzos ſetzt ſich geputzt, im praͤchtigſten<lb/>
Kleide, an den elendeſten Tiſch. Von einem Broͤt-<lb/>
chen und einem Stuͤcke Kaͤſe leben viele, die man auf der<lb/>
Gaſſe fuͤr die groͤſten Leute halten ſollte. Und ihre Maͤſ-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſigkeit</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[276/0300]
des Franzoſen. Aber nun hoͤre man J. J. Rouſſeau
in ſeinen Penſées, Amſterd. 1763. 8 v o. S. 188.
art. Gout. „Il paroit peu de livres eſtimés dans
„l’Europe, dont l’Auteur n’ait été ſe former à
„Paris. — Si vous avez une étincelle de génie,
„allez paſſer une année à Paris: bientôt vous
„ſerez tout ce que vous pouvez être, ou vous
„ne ſerez jamais rien.“ Iſt’s moͤglich, daß ein
Mann, der ſonſt in vielen Sachen ſo ſcharf ſah, ſo was
Dummes, Kindiſchſtolzes, ſo was Unſinniges, was das
Gepraͤge der tiefen Unwiſſenheit, und des unbaͤndigſten
Nationalſtolzes an der Stirne traͤgt, ſchreiben konnte?
und das in eben dem Buche, wo er oft gegen Paris und
London Invektiven ſchreibt?
Man ſagt den Franzoſen nach, daß ſie ſehr maͤſ-
ſig im Eſſen und Trinken ſeyn. Und in der That ißt
der Deutſche, der Engellaͤnder ꝛc. hier dreimahl mehr,
als ſonſt, beſonders im Anfange. Indeſſen ſollte man
ſagen, die Franzoſen koͤnnen nicht kochen wie die Deut-
ſchen. Man gehe in Kaufmannshaͤuſer, in groſſe Ho-
tels oder in kleine, ihr Bouilli, ihr gekochtes Rindfleiſch,
das iſt ewig ihre Speiſe. Schon ihre Braten ſind
ſchlecht, gemeiniglich noch etwas blutig, roth ꝛc. und
das Gemuͤſe iſt auch bei weitem nicht, wie bei uns. Ihr
Brot iſt auch nicht alles genug ausgebacken. Es iſt
hier, wie in Sachſen. Man wendet alles an den Klei-
derſtaat und Haͤuſerputz; zum Tiſch hat man nicht viel
uͤbrig. Der Franzos ſetzt ſich geputzt, im praͤchtigſten
Kleide, an den elendeſten Tiſch. Von einem Broͤt-
chen und einem Stuͤcke Kaͤſe leben viele, die man auf der
Gaſſe fuͤr die groͤſten Leute halten ſollte. Und ihre Maͤſ-
ſigkeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/300>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.