Viele sind oft zu predigen genöthigt, und lesen dann Freitags und Sonnabends nicht. Die meisten Vorle- sungen werden lateinisch gehalten, selbst die Physik, und Moral. Leztre wird in lauter Definitionen von den Tu- genden vorgetragen, und diese lernen die Zuhörer aus- wendig. Man bemerkt an den jungen Kandidaten eine grosse Unbekanntschaft mit der Bibel, die Quellen wer- den fast gar nicht studirt. Die Prediger sind sehr mit- telmässig. Schwulst und Gallimathias heist hier Be- redsamkeit. Im Iure wird über den Heineccius gele- sen, und die Abweichungen des französischen Rechts wer- den dazu diktirt. Die Professoren am Gymnasium bleiben oft lange an der Kette der niedern Schulen liegen, weil bei Besetzungen der Stellen auf der Universität, Fa- milienverbindungen gemeiniglich den Ausschlag geben. Ausländer können hier nie Professoren werden. Die Studenten studiren sehr bequem, hören 1. bis 2. Kolle- gia des Tags und geben etliche Stunden Information (vulgo schanzen), wofür sie Geld oder den herrlichsten Tisch haben können, und die Leute glaubens nicht, daß durch die elenden gedungenen Informatores, die Jugend nothwendig von einem Menschenalter zum andern, immer mehr verdorben wird. Von Licentiaten, die sich von Repetenten zu einer juristischen Disputation haben präpa- riren lassen, wimmelt die Stadt. Besonders sollen die Lothringer sehr unwissende Leute seyn. Vom Geschmack in der Theologie können einige Dissertationen zeugen, difficile est, Satyram non scribere. -- Sehr viele junge Leute wollen mit etwas Belliteratur und französi- scher Geschwätzigkeit, und Facon Professores werden. Viele Professores setzen in den Lektionskatalog, daß sie dieses Halbjahr nicht lesen werden.
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Viele ſind oft zu predigen genoͤthigt, und leſen dann Freitags und Sonnabends nicht. Die meiſten Vorle- ſungen werden lateiniſch gehalten, ſelbſt die Phyſik, und Moral. Leztre wird in lauter Definitionen von den Tu- genden vorgetragen, und dieſe lernen die Zuhoͤrer aus- wendig. Man bemerkt an den jungen Kandidaten eine groſſe Unbekanntſchaft mit der Bibel, die Quellen wer- den faſt gar nicht ſtudirt. Die Prediger ſind ſehr mit- telmaͤſſig. Schwulſt und Gallimathias heiſt hier Be- redſamkeit. Im Iure wird uͤber den Heineccius gele- ſen, und die Abweichungen des franzoͤſiſchen Rechts wer- den dazu diktirt. Die Profeſſoren am Gymnaſium bleiben oft lange an der Kette der niedern Schulen liegen, weil bei Beſetzungen der Stellen auf der Univerſitaͤt, Fa- milienverbindungen gemeiniglich den Ausſchlag geben. Auslaͤnder koͤnnen hier nie Profeſſoren werden. Die Studenten ſtudiren ſehr bequem, hoͤren 1. bis 2. Kolle- gia des Tags und geben etliche Stunden Information (vulgo ſchanzen), wofuͤr ſie Geld oder den herrlichſten Tiſch haben koͤnnen, und die Leute glaubens nicht, daß durch die elenden gedungenen Informatores, die Jugend nothwendig von einem Menſchenalter zum andern, immer mehr verdorben wird. Von Licentiaten, die ſich von Repetenten zu einer juriſtiſchen Diſputation haben praͤpa- riren laſſen, wimmelt die Stadt. Beſonders ſollen die Lothringer ſehr unwiſſende Leute ſeyn. Vom Geſchmack in der Theologie koͤnnen einige Diſſertationen zeugen, difficile eſt, Satyram non ſcribere. — Sehr viele junge Leute wollen mit etwas Belliteratur und franzoͤſi- ſcher Geſchwaͤtzigkeit, und Façon Profeſſores werden. Viele Profeſſores ſetzen in den Lektionskatalog, daß ſie dieſes Halbjahr nicht leſen werden.
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Viele ſind oft zu predigen genoͤthigt, und leſen dann
Freitags und Sonnabends nicht. Die meiſten Vorle-
ſungen werden lateiniſch gehalten, ſelbſt die Phyſik, und
Moral. Leztre wird in lauter Definitionen von den Tu-
genden vorgetragen, und dieſe lernen die Zuhoͤrer aus-
wendig. Man bemerkt an den jungen Kandidaten eine
groſſe Unbekanntſchaft mit der Bibel, die Quellen wer-
den faſt gar nicht ſtudirt. Die Prediger ſind ſehr mit-
telmaͤſſig. Schwulſt und Gallimathias heiſt hier Be-
redſamkeit. Im Iure wird uͤber den Heineccius gele-
ſen, und die Abweichungen des franzoͤſiſchen Rechts wer-
den dazu diktirt. Die Profeſſoren am Gymnaſium
bleiben oft lange an der Kette der niedern Schulen liegen,
weil bei Beſetzungen der Stellen auf der Univerſitaͤt, Fa-
milienverbindungen gemeiniglich den Ausſchlag geben.
Auslaͤnder koͤnnen hier nie Profeſſoren werden. Die
Studenten ſtudiren ſehr bequem, hoͤren 1. bis 2. Kolle-
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(vulgo ſchanzen), wofuͤr ſie Geld oder den herrlichſten
Tiſch haben koͤnnen, und die Leute glaubens nicht, daß
durch die elenden gedungenen Informatores, die Jugend
nothwendig von einem Menſchenalter zum andern, immer
mehr verdorben wird. Von Licentiaten, die ſich von
Repetenten zu einer juriſtiſchen Diſputation haben praͤpa-
riren laſſen, wimmelt die Stadt. Beſonders ſollen die
Lothringer ſehr unwiſſende Leute ſeyn. Vom Geſchmack
in der Theologie koͤnnen einige Diſſertationen zeugen,
difficile eſt, Satyram non ſcribere. — Sehr viele
junge Leute wollen mit etwas Belliteratur und franzoͤſi-
ſcher Geſchwaͤtzigkeit, und Façon Profeſſores werden.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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