ser und den Rath werden keine Formalitäten gebraucht. Es geschehen hier viele Fürbitten und alle mit Reichsstäd- tischen Weitläuftigkeiten. Nachher singt ein Diakon die Kollekte, halb lateinisch und macht das Kreuz dazu; dies warten aber die wenigsten Zuhörer ab. Das Gesang- buch ist 1750. zum letztenmal revidirt worden. Der Meßner geht hier gekleidet, wie die Geistlichen in mei- nem Vaterlande. Ich bemerkte viel äusserliche Andacht.
Mittags aß ich bei Hrn. Spörl dem ältern, an den ich empfohlen war. -- Im Anfange sind die lieben Nürnberger etwas förmlich. -- Er kan weder Bier noch Wein trinken, wenn's nicht wenigstens durch ein Licht er- wärmt ist. Nach der Predigt spricht er eine Viertel- stunde gar nichts, predigt aber gleichwohl nicht lebhaft; auch muß er des Morgens einen kritischen Schweis ab- warten. Nach Tische besuchte ich den
Hrn. von Mure. Er ist hier Oberwagamtmann, ist ledig und haßt das Heirathen eben so, wie Hrn. Ni- kolai in Berlin. Er beschuldigt denselben, er sei ihm feind worden, weil er's mit Klotzen gehalten. Er sam- melt viel alte Bücher, schimpft auf alle deutsche Litteratur, schätzt blos die alte und die ausländische, und pralt mit grosser Korrespondenz. Vormahls hat er eine Wochen- schrift, der Zufriedene, geschrieben. Die angekündig- te Revision der Allg. deutschen Bibl. hat er im 8ten Theil seines Journals wieder aufgegeben. Als ich mich wegen der Reichskleinodien bei ihm erkundigte, sagte er mir, die Reichsstadt lasse sie Niemanden sehen, als Reichsfürsten; nicht einmal apanagirten Prinzen: doch habe man beim Herzog Ferdinand von Braunschweig eine Ausnahme gemacht. Einem Privatmanne zeige man
sie
ſer und den Rath werden keine Formalitaͤten gebraucht. Es geſchehen hier viele Fuͤrbitten und alle mit Reichsſtaͤd- tiſchen Weitlaͤuftigkeiten. Nachher ſingt ein Diakon die Kollekte, halb lateiniſch und macht das Kreuz dazu; dies warten aber die wenigſten Zuhoͤrer ab. Das Geſang- buch iſt 1750. zum letztenmal revidirt worden. Der Meßner geht hier gekleidet, wie die Geiſtlichen in mei- nem Vaterlande. Ich bemerkte viel aͤuſſerliche Andacht.
Mittags aß ich bei Hrn. Spoͤrl dem aͤltern, an den ich empfohlen war. — Im Anfange ſind die lieben Nuͤrnberger etwas foͤrmlich. — Er kan weder Bier noch Wein trinken, wenn’s nicht wenigſtens durch ein Licht er- waͤrmt iſt. Nach der Predigt ſpricht er eine Viertel- ſtunde gar nichts, predigt aber gleichwohl nicht lebhaft; auch muß er des Morgens einen kritiſchen Schweis ab- warten. Nach Tiſche beſuchte ich den
Hrn. von Mure. Er iſt hier Oberwagamtmann, iſt ledig und haßt das Heirathen eben ſo, wie Hrn. Ni- kolai in Berlin. Er beſchuldigt denſelben, er ſei ihm feind worden, weil er’s mit Klotzen gehalten. Er ſam- melt viel alte Buͤcher, ſchimpft auf alle deutſche Litteratur, ſchaͤtzt blos die alte und die auslaͤndiſche, und pralt mit groſſer Korreſpondenz. Vormahls hat er eine Wochen- ſchrift, der Zufriedene, geſchrieben. Die angekuͤndig- te Reviſion der Allg. deutſchen Bibl. hat er im 8ten Theil ſeines Journals wieder aufgegeben. Als ich mich wegen der Reichskleinodien bei ihm erkundigte, ſagte er mir, die Reichsſtadt laſſe ſie Niemanden ſehen, als Reichsfuͤrſten; nicht einmal apanagirten Prinzen: doch habe man beim Herzog Ferdinand von Braunſchweig eine Ausnahme gemacht. Einem Privatmanne zeige man
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ſer und den Rath werden keine Formalitaͤten gebraucht.
Es geſchehen hier viele Fuͤrbitten und alle mit Reichsſtaͤd-
tiſchen Weitlaͤuftigkeiten. Nachher ſingt ein Diakon die
Kollekte, halb lateiniſch und macht das Kreuz dazu; dies
warten aber die wenigſten Zuhoͤrer ab. Das Geſang-
buch iſt 1750. zum letztenmal revidirt worden. Der
Meßner geht hier gekleidet, wie die Geiſtlichen in mei-
nem Vaterlande. Ich bemerkte viel aͤuſſerliche Andacht.
Mittags aß ich bei Hrn. Spoͤrl dem aͤltern, an den
ich empfohlen war. — Im Anfange ſind die lieben
Nuͤrnberger etwas foͤrmlich. — Er kan weder Bier noch
Wein trinken, wenn’s nicht wenigſtens durch ein Licht er-
waͤrmt iſt. Nach der Predigt ſpricht er eine Viertel-
ſtunde gar nichts, predigt aber gleichwohl nicht lebhaft;
auch muß er des Morgens einen kritiſchen Schweis ab-
warten. Nach Tiſche beſuchte ich den
Hrn. von Mure. Er iſt hier Oberwagamtmann,
iſt ledig und haßt das Heirathen eben ſo, wie Hrn. Ni-
kolai in Berlin. Er beſchuldigt denſelben, er ſei ihm
feind worden, weil er’s mit Klotzen gehalten. Er ſam-
melt viel alte Buͤcher, ſchimpft auf alle deutſche Litteratur,
ſchaͤtzt blos die alte und die auslaͤndiſche, und pralt mit
groſſer Korreſpondenz. Vormahls hat er eine Wochen-
ſchrift, der Zufriedene, geſchrieben. Die angekuͤndig-
te Reviſion der Allg. deutſchen Bibl. hat er im 8ten
Theil ſeines Journals wieder aufgegeben. Als ich mich
wegen der Reichskleinodien bei ihm erkundigte, ſagte er
mir, die Reichsſtadt laſſe ſie Niemanden ſehen, als
Reichsfuͤrſten; nicht einmal apanagirten Prinzen: doch
habe man beim Herzog Ferdinand von Braunſchweig
eine Ausnahme gemacht. Einem Privatmanne zeige man
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/113>, abgerufen am 25.11.2024.
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